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Und dann antwortete die Bestie! Das Monstrum aus Metall konnte sprechen! Seine Stimme wurde von einem merkwürdigen Klicken und Surren begleitet. Sie sprach langsam und behäbig.

Adrien dachte, wie viel größer die Macht des Bücherwissens doch war. Mit dem Schwert hätte er dieses metallene Ungeheuer gewiss nicht bezwungen.

»Er wird uns helfen, durch das Loch in der Decke zu steigen«, sagte Jules.

»Was? Er hilft uns? Was ist das für ein Geschöpf?«

»Noch ein Geschenk der alten Götter an die sieben Könige. Er hält dich für einen König, weil du diese Rüstung trägst. Er wollte das Loch vergrößern, um mit dir in den Himmel zu reiten. Ihr Verstand besteht aus Zahnrädern und Magie. Sie sind mit dem Denken manchmal etwas langsam.«

Adrien vermochte sich ein Rad mit Zähnen nicht vorzustellen. Dann dachte er, wie es wohl wäre, ein solches Reittier zu haben ... »Du hättest ihm ruhig sagen können, dass ich ein König bin. So ein Reittier wäre doch wunderbar!«

»Es wäre dein Tod, du Narr. Es würde die Welt der Menschen in Unordnung bringen und sehr bald die Aufmerksamkeit der Elfen erwecken. Sie haben gewiss nicht vergessen, dass die geflügelten Löwen erschaffen wurden, um ihnen den Himmel streitig zu machen und die Wolkensammler zu schützen. Wenn ein solcher Löwe erscheint, dann werden sie nicht ruhen, bis er und sein Reiter vernichtet sind. Von einem glorreichen Ritter, der zum Ruhme

der Tjuredkirche kämpft und unbesiegbar erscheint, werden sie hingegen kaum Notiz nehmen. Bescheidenheit ist mehr als nur eine Tugend, Adrien. In diesem Fall rettet sie dir dein Leben.«

»Wenn du es sagst, Meister«, entgegnete er zerknirscht und malte sich doch in Gedanken aus, wie es sein würde, auf einem fliegenden Löwen zu reiten und damit mitten auf dem Heumarkt von Nantour zu landen.

»Komm!« Jules war halb um den Löwen herumgegangen. Das metallene Ungeheuer war gesattelt. Der Priester setzte seinen Fuß auf die unterste Sprosse einer kleinen Leiter. Um ihn wie ein Pferd nur über einen Steigbügel zu besteigen, war der Löwe entschieden zu groß.

Bewundernd sah sich Adrien die Flügel an. Jede einzelne Feder war für sich allein gearbeitet und in die Flügel eingesetzt. Wie viele Goldschmiede an diesem absonder-lichen Geschöpf wohl gearbeitet hatten? Oder vermochten die alten Götter solch eine Kreatur kraft eines einzigen Gedankens zu erschaffen?

Adrien entdeckte einige Beulen und tiefe Schrammen in der Flanke des Löwen. »War er in der Schlacht? Hat er gegen Elfen und Drachen gekämpft?«

Jules war indessen hoch auf den Sattel gestiegen. Von dort konnte man mit ausgestreckten Armen nach dem Stiel der Spitzhacke greifen und sich nach draußen ziehen. Der Priester blickte zu ihm hinab und lächelte in mildem Tadel. »Natürlich hat er gekämpft. Er und all seine Brüder und Schwestern. Was glaubst du, warum sich die Elfen nach all den Jahrtausenden noch an die geflügelten Löwen erinnern? Sie haben ihnen schwer zugesetzt!«

Während Adrien die kleine Leiter erklomm, versuchte er sich vorzustellen, wie man einen Kampf im Himmel führte.

Jules war schon durch das Loch gestiegen. Er räumte die Hacke zur Seite und streckte ihm die Hand entgegen. Adrien staunte immer wieder, wie stark der Priester war.

Sein Meister zog ihn scheinbar ohne Mühe zu sich herauf.

Der Junge blickte durch das Loch zurück zum Löwen. »Ist er nicht einsam dort unten?«

»Nein. Solche Gefühle kennt er nicht. Und er ist nicht der Einzige.«

»Es gibt noch mehr von ihnen?«

»Ja«, entgegnete der Priester in dem Tonfall, den er jedes Mal anschlug, wenn für ihn ein Gespräch beendet war. »Ihr Tag ist noch nicht gekommen. Sie werden warten, bis die Elfen schwach sind. Dann werden sie das Werk vollenden, das sie zu Zeiten der alten Götter begonnen haben. Zeit hat für sie keine Bedeutung. Ein Jahrhundert ist für sie wie ein Tag. Sie sind für die Ewigkeit geschaffen.«

Adrien winkte dem Löwen zu. »Lebe wohl«, sagte er leise. Was für Schätze das Tal wohl noch verbarg? So viele Jahre hatte er hier gelebt, und er wusste gar nichts.

Jules stieg zwischen den Schutthügeln vergangener Grabungen zu seiner Hütte hinauf.

Er blickte nicht ein einziges Mal zurück.

Der Junge achtete darauf, den Pfützen aus dem Weg zu gehen. Er machte sich Sorgen, seine prächtige weiße Lederrüstung zu beschmutzen. Wie lange sie wohl ihren Glanz behalten würde? Weiße Rüstungen zu tragen, konnten sich wahrlich nur Fürsten und Könige leisten, die über etliche Diener verfügten, die die ganze Nacht arbeiteten, damit ihre Herren am nächsten Tag wieder in strahlendem Weiß in die Schlacht ziehen konnten.

Der Priester war nur kurz in die Hütte getreten. Als er wieder herauskam, trug er einen weißen Schild, auf den in Schwarz ein verdorrter Baum gemalt war. »Du bist der erste Ritter des Ordens vom Aschenbaum, Michel Sarti. Oft haben wir darüber gesprochen, wie ein Ritterorden beschaffen sein müsste, um dem Ruhm der Tjuredkirche zu dienen. Dies sei mein letztes Geschenk an dich, Ritterbruder. Trage den Schild mit Würde und mache mir Ehre. Es ist nun ganz deine Aufgabe, den Orden erstehen zu lassen, von dem wir nur träumten.

Kein alter Mann wird dir mehr hereinreden. Ich vertraue dir. Ich weiß, du wirst deine Sache gut machen.«

Adrien steckte vor Rührung ein Kloß im Hals. Er brachte kein Wort hervor.

»Ich bin nicht gut im Abschiednehmen«, sagte Jules. Seine Mundwinkel zuckten. »Es wird hier einsam werden ohne dich.«

»Ich komme dich besuchen«, brachte Adrien hervor.

»Ich glaube, die Welt wird dich nicht mehr loslassen, wenn du erst einmal dort draußen bist. Aber ich weiß, dass dein Versprechen aufrichtig gemeint war.« Er reichte ihm einen Brotbeutel und eine Wasserflasche. »Erinnerst du dich an die Stel e, an der wir im letzten Sommer das Reh erlegt haben? Dort ganz in der Nähe verläuft ein Wild-pfad, der dich hinab zum Fluss bringen wird. Wenn du diesen Weg wählst, wirst du noch vor Einbruch der Nacht das Wasser erreichen.«

Adrien nickte. »Wie werde ich von dort weiterkommen? Wohin soll ich gehen?«

Jules lächelte, und feine Fältchen erschienen in seinen Augenwinkeln. »Gottvertrauen ist die stärkste Waffe eines Ordensritters. Von nun an wird Tjured dein Gefährte sein.

Glaube einfach an ihn, und du wirst nicht enttäuscht werden. Er wird gut auf dich achten, denn du bist sein einziger Ritter. Nun lebe wohl, Ritterbruder Michel Sarti. Ich werde jetzt in die Hütte gehen. Ich möchte nicht, dass das letzte Bild, das du von mir in deinem Herzen trägst, das eines rührseligen alten Mannes ist.«

Jules nahm ihn in die Arme, drückte ihn fest an sich und klopfte ihm mit der flachen Hand auf den Rücken. »Du wirst dich gut schlagen, mein Junge. Ich weiß das.«

Abrupt löste er sich. Dann trat er in ihre Hütte und schloss die Tür. Adrien hörte, wie der Riegel vorgeschoben wurde. Eine Weile blieb der Junge stehen und starrte verständnislos auf die Tür. Jules würde ihm für immer ein Rätsel bleiben!

Schweren Herzens machte Adrien sich schließlich auf den Weg. Dabei wünschte er sich, er hätte den Einstieg zu der Schatzkammer nicht gefunden und würde nun mit Jules in der Hütte sitzen und über Philosophie streiten. Zum ersten Mal seit vielen Jahren fühlte er sich einsam.

Pferdegedanken

Jules lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür und atmete schwer aus. Endlich war er gegangen! Es hatte ihm etwas ausgemacht! Er war zutiefst verblüfft über die Gefühle, die er empfand. Der Junge war ihm in all den Jahren zu nahe gekommen. Sein Sohn ...

Er hatte Dutzende wie ihn gezeugt, dachte er ärgerlich. Aber diesen einen hatte er zu sich geholt. Und er war ein guter Schüler gewesen, für einen Menschen.

Vielleicht lag es auch daran, noch einmal dort unten im Saal der Könige gewesen zu sein. Und die Bilder an der Wand des Tunnels gesehen zu haben. Bilder aus einer Zeit, in der er nicht der einzige seiner Art gewesen war.