»Ach, hört doch auf«, mischte sich Zargub ein. Der stämmige Troll lehnte lässig am Mast der König Gilmarak und kaute an einem Kentaurenschinken. »Diese Gäule sind einfach dämlich!« Er spuckte ein Stück Knorpel aus. »Was für Schlachtenlenker sollte ein Volk hervorbringen, das sein Leben damit beschäftigt ist, dummem Viehzeug in der Steppe hinterherzulaufen? Die werden wieder und wieder gegen unsere Schiffsburg anlaufen. Und wir schießen sie ab. Ich habe an allen Feldzügen seit Vahan Calyd teilgenommen und noch nie so viel frischen Kentaurenschinken zu futtern bekommen. Nehmen wir es als ein Geschenk!« Er machte eine lässige Geste hinaus zur Steppe. Hunderte von Geiern und Raben hockten im hohen Gras. So vollgefressen, dass sie nicht mehr fliegen konnten. »Der Tisch ist reich gedeckt. Nie haben wir sie so einfach geschlagen. Wir sollten noch mehr Armbrustschützen anfordern.«
Orgrim sagte nichts dazu. Er schätzte Zargub als guten Rudelführer und tapferen Krieger. In der Schlacht war er ein zuverlässiger Gefährte, der seine Befehle ausführte, ohne Fragen zu stel en, aber ein Feldherr war er nicht. Und wie bei so vielen Trollen hatten die Jahre der Herrschaft auch ihn überheblich gemacht. Orgrim war nicht geneigt, seinen Gedankengängen zu folgen. Der Trollfürst war sich sicher, dass Nestheus einen geheimen Plan verfolgte.
Nachdenklich blickte er über die weite Schiffsburg. Die Steppenschiffe, die ihr König Gilmarak ersonnen hatte, waren zu einer gewaltigen Festung aufgefahren. Der äußere Kreis umfasste mehr als zweihundertfünfzig der großen Karren. Den inneren Kreis bildeten die fünfzig größten Gefährte mit Ausnahme der König Gilmarak, die Orgrim als seinen Befehlsstand nutzte. Sie hatten die Schiffsburg um einen Albenstern aufgefahren, in dem sich sechs Albenpfade kreuzten. Das magische Portal befand sich in der Mitte des inneren Kreises. Er war bestens geschützt. Dort lagerten die Trolle des Heeres. Die wichtigsten Versorgungsgüter waren in der Nähe untergebracht und eine Reserve mit dreißig Wasserwagen.
Orgrim kratzte sich nachdenklich die Schnauze. Wenn sie nicht den Albenstern mitten im Lager hätten, dann würde er die Strategie der Kentauren begreifen. Dann wäre die Snaiwamark-Karawane abgeschnitten. Die Übermacht der Kentauren machte es unmöglich, Vorräte durchzubringen. Die Steppenreiter könnten sie aushungern. Oder besser gesagt austrocknen, denn zuerst würden ihnen die Wasservorräte ausgehen. Allein die mehr als fünftausend Karrenochsen soffen jeden Tag einen kleinen Teich leer. Die ganzen Karren voller Wasserfässer würden für zwei Tage reichen. Drei Tage, wenn sie das Wasser rationierten. Sieben Tage, wenn ihm egal wäre, dass die Ochsen verdursteten.
An jedem anderen Ort als diesem hätte die Belagerung Sinn gemacht.
Ihre Schiffsburg hatte einen Durchmesser von knapp einer Meile, was bedeutete, dass die Außenlinie der Verteidigung mehr als drei Meilen lang war. Um diese Linie zu halten, verfügte er über mehr als sechstausend Kobolde und eintausendsiebenundachtzig Trolle. Viel zu wenig, wäre da nicht diese Flotte von Steppenschiffen, die auf König Gilmaraks Wunsch gebaut worden war. Orgrim hielt das ganze Unternehmen für völlig verrückt, aber wie sagte man so etwas einem König?
Die Steppenschiffe waren Karren, die zwischen zehn und fünfzehn Schritt lang waren.
Einige vereinzelte Gefährte maßen auch mehr als fünfundzwanzig Schritt. Diese ungelenken Ungeheuer machten nichts als Ärger. Dauernd gab es bei ihnen Achs- oder Radbrüche!
Ein Steppenschiff einen Karren zu nennen, war, gemessen an normalen Karren, eine gewaltige Untertreibung, und doch waren sie trotz ihres Namens den Karren ähnlicher als Schiffen.
Nahm man einen normalen Karren und schlug die Bodenbretter der Pritsche heraus, um dann die Zugochsen ins Innere des Karrens zu stellen, statt an eine Deichsel davor, dann hatte man die Grundidee des Steppenschiffs vor Augen. Als der junge Trollkönig die Steppenschiffe ersann, war er sich dessen bewusst, dass seine Snaiwamark-Karawane mit Sicherheit von den Kentauren angegriffen würde. Die Kentauren aber galten als begnadete Bogenschützen. Ein einziger erschossener Zugochse würde ei nen ganzen Karren lahmlegen. Man konnte also nicht mit gewöhnlichen Ochsenkarren durch die weiten Steppen der Snaiwamark ziehen.
Gilmarak hatte dafür die Lösung ersonnen, die Ochsen im Inneren des Fuhrwerks unterzubringen. Und um sie zu schützen, umgab er sie mit einem Schutzwall aus einen Zoll dicken Eichenbrettern. Man hätte auch sagen können, er sperrte sie in eine Holzhütte ohne Boden, aber mit großen Karrenrädern.
Selbst die kleinsten Steppenschiffe waren noch fünf Schritt weit. Mindestens drei Ochsen gingen nebeneinander, um ein Steppenschiff zu bewegen. Und mindestens drei dieser Gespanne waren in so einem Gefährt untergebracht. Die Zahl der Ochsen schwankte zwischen neun und sechsunddreißig wie bei der König Gilmarak.
Die Räder der Steppenschiffe waren fast zwei Schritt hoch. Um sie leichter zu machen, verwendete man Speichenräder. Nur versanken gewöhnliche Speichenräder zu leicht im Boden. Gilmaraks Lösung für dieses Problem war, jeweils zwei Räder durch fünfzehn Zoll breite Eisenplatten miteinander zu verbinden. Die Eisenplatten waren auf die Eisenreifen genietet, die wiederum den hölzernen Radkranz umfassten.
Zwischen den Platten ließ man je einen Zoll Platz, so dass keine glatte Metallaußenhaut entstand und die Eisenplatten besser ins Erdreich fassen konnten.
Manche munkelten über König Gilmarak, er habe einen Koboldverstand. Freilich wagte das niemand zu sagen, wenn Skanga in der Nähe war. Unbestreitbar war jedoch, dass es noch nie zuvor einen Trollherrscher gegeben hatte, der sich mit solcher Begeisterung an den Bau von etwas Vergleichbarem gewagt hätte.
Unter den Mechanikern, Bastlern, Zimmerleuten und Sonderlingen in den Völkern der Kobolde hatte sich Gilmarak mit dem Bau seiner Flotte aus Steppenschiffen sehr beliebt gemacht. Sie hatten sich in Scharen aus allen Ge genden Albenmarks bei Burg Elfenlicht eingefunden, um an der gewaltigen Aufgabe des Flottenbaus teilzunehmen.
Selbst die kleineren unter den Steppenschiffen waren fünfeinhalb Schritt hoch. Über dem Ochsendeck, in dem neben den Ochsen auch ein Teil der Koboldbesatzung untergebracht war, gab es noch drei weitere Decks. Orgrim würde niemals begreifen, wie man darauf kommen konnte, sich ein schwankendes Netz über den Köpfen von stinkenden Ochsen als Schlafplatz auszusuchen, aber soviel er wusste, waren es die Kobolde selbst gewesen, die diese Art der Unterbringung für einen Teil der Schiffsbe-satzung gewählt hatten. Über dem Ochsendeck lag das Frachtdeck. Hier war in unzähligen Truhen die geheime Fracht der Karawane verstaut. Allerdings gab es auch einen Raum für Vorräte und einige große Wasserfässer auf diesem Deck.
Über dem Frachtdeck lag das Geschützdeck. Zum einen befanden sich hier weitere Koboldquartiere sowie die Segelkammer, in der das große, dreieckige Segel untergebracht war, mit dessen Hilfe die Steppenschiffe auf den weiten Schnee- und Eisflächen der Snaiwamark segeln sollten. Vor allem aber war hier eine Reihe von Torsionsgeschützen untergebracht. Im Grunde handelte es sich dabei um größere und durchschlagskräftigere Varianten der Windenarmbrüste, die unter Koboldkriegern so beliebt waren. Je nach Ausführung des Geschützes konnten große Bolzen, kurze Speere oder Steinkugeln unterschiedlicher Größe verschossen werden.