»Es wäre erfreulich, wenn du mich das nächste Mal an deinen Gedanken teilhaben lässt«, murrte Orgrim. Er kam sich ein wenig einfältig vor, weil der Kobold diesen Einfall schon vor ihm gehabt hatte. Aber Baidan war der Sohn des Herrn der Wasser von Vahan Calyd. Vermutlich hatte er seine halbe Kindheit in den Kanälen unter der Stadt verbracht. Es war naheliegend, dass er auf solche Gedanken kam, und es war wünschenswert, dass ein Anführer von sich aus Verantwortung übernahm.
»Du hast deine Sache gut gemacht«, schob Orgrim in freundlicherem Tonfall nach.
»Ich hoffe, du bist ein ebenso guter Redner wie Krieger. Du sollst den König davon überzeugen, dass wir uns von hier zurückziehen müssen!«
Verblassender Ruhm
Katander preschte zur Hügelkuppe hinauf und blickte auf das Heerlager der Trolle. Es war eindrucksvoll, das ließ sich nicht von der Hand weisen. Genauso wie die Straße, die sie bauten. Er hatte etwas andere Ansichten als die Steppenkentauren. Seine Krieger griffen keine Brücken an.
Die Straße würde vielleicht eines Tages nützlich sein. Sie führten Krieg gegen die Trolle und nicht gegen die Dinge, die sie bauten. Aber es war unabdinglich, sie hier beschäftigt zu halten. Wenn Orgrim tun könnte, was er wollte, dann würde er mit Sicherheit Uttika angreifen. Sie hatten vor fünf Monden ihre Trollstatthalter davongejagt und sich dem Aufstand der Steppenkentauren angeschlossen. Dieser verdammte Nestheus war so beliebt geworden, dass er keine andere Wahl gehabt hatte, wenn er Herrscher in Uttika bleiben wollte, dachte Katander wütend. Seine Männer wollten gegen die Trolle kämpfen wie ihre Vettern in der Steppe. Sie hatten den Verstand verloren! Die Kentauren von Uttika waren keine herumziehenden Vagabunden. Sie besaßen große Höfe und Stadthäuser. Sie waren angreifbar! Wenn die Trolle kamen, dann könnten sie nicht einfach in die Steppe ausweichen. Und sie würden kommen, das war sicher. Aber er hatte einfach keine Wahl gehabt. Die Wirtschaft seines Fürstentums war ruiniert. Die Abschaffung des Geldhandels und die Beschlagnahme aller greifbaren Edelmetalle waren ein weit härterer Schlag gewesen als die Tatsache, dass diese Dreckskerle ein paar tote Ahnen ihrer Vettern in der Steppe verspeist hatten. Aber es hörte sich natürlich besser an, deshalb in die Schlacht zu ziehen. Damit war es eine Sache der Ehre und nicht die Fortführung eines Wirtschaftskriegs mit militärischen Mitteln.
»Herr, sie haben uns entdeckt«, warnte ihn sein Schildträger.
»Ja, ja!« Er sah selbst, wie die schweren Torsionsgeschütze einiger Steppenschiffe auf ihren Hügel ausgerichtet wurden. Diese Wagenfestung war wirklich das mit Abstand Eindrucksvollste, was er je gesehen hatte. Er würde gerne wissen, ob sie mit ihren herunterklappbaren Kufen tatsächlich auch als Lasteissegler zu verwenden waren.
Die Brustwehren mehrerer Wagen wurden umgelegt. Katander biss die Zähne zusammen. Er würde nicht davonlaufen wie ein geprügeltes Hündchen.
»Herr, bitte!« Sein Schildträger duckte sich, was bei einem Kentauren überaus lächerlich aussah und fast gar nichts nutzte. Ihre Anatomie ließ es einfach nicht zu, in die Hocke zu gehen oder ihren Leib weit vorzubeugen.
Eine Steinkugel zog über sie hinweg. Sie machte im Flug ein Geräusch wie ein wuchtiger Keulenhieb. »Steh gerade, Junge! Wenn eine Kugel oder ein Pfeil für dich bestimmt sind, dann werden sie treffen, egal, ob du herumhampelst oder dem Feind entgegenblickst wie ein Mann.«
Sein Schildträger richtete sich auf. Er war noch sehr jung, der Bart auf seinen Wangen nur zarter, blonder Flaum. Er wurde rot wie eine Jungfer, mit der Krieger ihre derben Spaße trieben. »Herr, warum willst du dein Leben wagen?«
»Weil ich der Fürst bin. Die da unten sollen wissen ...« Eine Steinkugel schlug nur ein paar Schritt vor Katander ein. Sie riss die Grasnabe auf und rollte gemächlich auf ihn zu. Er wich ohne Eile aus, wohl wissend, welche Kraft noch immer in der Kugel steckte.
»Die da unten sollen wissen, dass wir keine Angst vor ihnen haben. Wenn sie das erkennen, dann wird die Angst zu ihnen kommen, nicht zu uns.«
Zwei weitere Kugeln durchpflügten das Gras.
»Gehen wir, Junge. Das war genug für heute.«
Katander trabte langsam den Hang hinab, jedoch nicht auf der sicheren Seite. Er hielt stattdessen genau auf das riesige Lager zu. Der Schildträger hielt sich dicht an seiner Seite.
Eine Steinkugel streifte den Haarbusch auf seinem Helmkamm. Katander zuckte leicht zusammen, während der Junge leise aufschrie. Überall um sie herum schlugen nun Kugeln ein. Sie konnten die Rufe von der Schiffsburg hören. Weitere Geschützmannschaften machten ihre Waffen bereit. Die ganze Front ihnen gegenüber war in helle Aufregung geraten. Katander war sich sicher, dass die Kobolde miteinander wetteten und ihre Anführer eine Prämie für den ausriefen, der ihn von den Hufen holte. Der Fürst schätzte, dass vielleicht fünfzig Schuss notwendig sein würden, um ihn zu treffen. Aber sicher war er sich nicht. Es war ein Glücksspiel. Und seine Stunde war noch nicht gekommen. Darauf vertraute er einfach.
Der Boden unter ihren Hufen erbebte, als mehrere Steinkugeln gleichzeitig in den Hang einschlugen. Dreck und ausgerissene Grasbüschel spritzten gegen seine Kuppe.
Aber der Junge an seiner Seite hielt sich jetzt besser. Er machte wenigstens keine jämmerlichen Versuche mehr, sich zu ducken.
Katander konnte hören, wie dem Jungen die Zähne klapperten, aber er hielt sich aufrecht. Sie passierten die sterblichen Überreste des Schildträgers, den es drei Tage zuvor auf diesem Hang erwischt hatte. Der Fürst betrachtete den entstellten Leichnam gleichmütig. Es war immer wieder erstaunlich, was Hitze und Maden in so kurzer Zeit aus einem stattlichen Krieger machten.
Er bemerkte, wie sein junger Gefährte den Atem anhielt.
»Atme ruhig durch, Junge. Das ist der Duft des Schlachtfelds, das Parfüm des Kriegers.
Besser, du gewöhnst dich frühzeitig daran. Diesen Geruch wirst du nie mehr aus der Nase bekommen, wenn du einmal mittendrin gesteckt hast.«
»Mitten in was?«
»In der Schlacht. Im Töten. Wenn du erlebst, wie sich dein bester Freund neben dir noch im Sterben die Hinterläufe bescheißt. Du wäschst dich. Du trinkst, um zu vergessen. Du lässt den Kampf hinter dir. Wochen und Monde vergehen. Aber den Geruch, den wirst du nicht mehr los. Er schleicht sich immer wieder in deine Nase. So wie die Erinnerung an das, was du gesehen hast, dich nachts aus dem Schlaf reißt. Das ist unser Preis für den Ruhm. Und nur wer einmal selbst mittendrin gewesen ist, kann ermessen, wie hoch dieser Preis ist.«
Der Hügel krümmte sich von der Schiffsburg fort. Sie zeigten dem Feind jetzt den Rücken. Das war der schwerste Teil, denn so sahen sie die Geschosse nicht mehr kommen. Katander musste sich zusammenreißen, um nicht über die Schulter zu blicken oder seinen Trab zu beschleunigen. Jedes Mal, wenn das Zischen einer Kugel so nah kam, dass er den Luftzug spürte, zogen sich seine Gedärme zusammen. Früher war er kaltblütiger gewesen. Je älter er wurde, desto vertrauter wurde ihm die Angst.
Er kämpfte gegen sie an. Mit diesen Ausritten. Er musste sich selbst beweisen, dass er noch immer der unerschrockene Krieger von einst war. Und er wollte seinen Ruf festigen. Er wusste, dass seine Männer ihn respektierten. Aber Nestheus verehrten sie.
Nestheus, dieser kleine Bastard, der es abgelehnt hatte, seine Tochter zu heiraten, und mit irgendeiner Schlampe in die weite Steppe geflohen war - der war zur lebenden Legende geworden.
Katander lächelte mürrisch. Nestheus war begabt. Er hatte sich seinen Ruhm verdient.
Er sollte nicht eifersüchtig auf den verdammten Mistkerl sein. Aber es war hart, schon zu Lebzeiten Zeuge zu werden, wie der eigene Ruhm verblasste und von den Taten eines anderen weit überstrahlt wurde.