Das ist ein direkter Befehl Skangas. Es sollen immer mindestens vier Lutin im Thronsaal sein.« Er deutete auf die hohe Pforte. »Geh dort entlang bis zum Drachenbrunnen. Da findest du den Hauptmann der Wache. Er wird einen Boten abstellen, der dich zum Kronrat im Südflügel der Burg bringt.« Der Lutin verneigte sich knapp und zog sich zurück, während der Albenstern eine Herde Rinder ausspie, die von verwegen aussehenden Kobolden geritten wurden, die ihre Reittiere laut schreiend in den angrenzenden Saal trieben.
Baidan folgte den Rindviechern und wich den Kuhfladen auf dem zerschlagenen Mosaikboden aus. Die Halle, die sich an den Thronsaal anschloss, war noch größer.
Hoch über seinem Kopf wölbte sich eine vom Ruß unzähliger Lagerfeuer geschwärzte Decke. Eines der Rinder war ausgeglitten und hatte sich ein Bein gebrochen. Ungeachtet der lautstarken Proteste eines Kobolds wurde es gleich vor Ort geschlachtet.
Ein mächtiger Brunnen beherrschte den großen Saal. Nur aus zweien seiner Fontänen tröpfelte noch Wasser, das sich in einem großen Becken sammelte, in dem allerlei Unrat lag. Die Gestalt eines turmhohen Sonnendrachen beherrschte die Figurengruppe des Brunnens. Er holte zu einem tödlichen Prankenhieb aus, während ein Elfenritter eine andere Elfe zur Seite stieß, um an ihrer Stelle zu sterben. Das Bildnis der geretteten Elfe war enthauptet. Der Kopf fehlte. Vielleicht lag er irgendwo am Brunnengrund.
Vom Hals des Sonnendrachen hing an einem Strick der Kadaver eines Gelgerok.
Vielleicht wollten die Trolle damit zeigen, dass auch sie Drachentöter waren, wenngleich ein Gelgerok neben einem Sonnendrachen wie eine Katze neben einem Löwen aussah.
Baidan war in der verfallenden Pracht Vahan Calyds aufgewachsen. Er mochte die Steinbilder und anderen Kunstwerke, die ganze Generationen von Künstlern im Dienst der Elfen erschaffen hatten. Für die Barbarei der Trolle hatte er nur Verachtung übrig.
Niedergeschlagen sah er sich um, bis er einen Kobold entdeckte, dessen übertrieben üppiger Helmschmuck ihn als Befehlshaber der Wache auswies.
Kurz dachte Baidan daran, einfach nach seinem Vater zu fragen. Anderan, der Herr der Wasser, gehörte dem ständigen Rat an, dem Elija Glops vorstand. Der innere Zirkel um den Lutin nannte seinen Vater auch Kommandant Wasserbringer. Sie alle erfanden so eigentümliche Namen für sich.
Baidan ging zu dem Helmträger. »Herzog Orgrim schickt mich mit einer dringenden Nachricht für den König! Es geht um Leben und Tod von Tausenden Kobolden!« Das hätte er vorhin schon sagen sollen. Dieser kleine Zusatz zeigte große Wirkung. Der Befehlshaber der Wache führte ihn persönlich zum Kronrat. Vorbei an den langen Reihen der Wartenden, die ihn verfluchten, weil er sich nicht wie sie geduldete, bis er aufgerufen wurde.
Auf einen Wink des Kobolds wurde die Tür zum Versammlungssaal des Thronrats aufgerissen. Der Raum war kleiner als der Thronsaal. Auch er hatte sichtlich unter der jahrelangen Nutzung durch Trolle gelitten. Alle Möbel waren entfernt worden. Die Mitglieder des Rates saßen auf Kissen oder Fellen entlang der Wände. Selbst König Gilmarak!
Inmitten des Saals stand ein Elf, der offenbar ein Anliegen vorgetragen hatte. Er wandte sich zur Tür. Nur im Funkeln seiner Augen mochte man Ärger ablesen. Ansonsten hatte er sich vollkommen in der Gewalt.
»Mein König, Nachrichten von der Snaiwamark-Karawane!«
Gilmarak erhob sich und entließ den Elfen. »Wir wer den über eine Entschädigung für das Gold, das aus deinem Wohnsitz entfernt wurde, morgen weiter beraten, doch mache ich dich darauf aufmerksam, dass laut Zusatz sieben zu den allumfassenden Grundgesetzen jegliches Gold Albenmarks allein dem König gehört.«
»Man könnte dich auch des Diebstahls am König anklagen, da du das Gold nicht freiwillig abgegeben hast«, fügte ein Lutin mit leicht ergrauter Schnauze und einer randlosen Brille hinzu. Baidan vermutete, dass es sich bei ihm um Elija Glops handelte.
Der junge Kobold sah sich weiter um. Die Mehrheit der Anwesenden entstammte den verschiedensten Koboldvölkern. Er entdeckte auch seinen Vater. Der blieb sitzen. Diese Unhöflichkeit verunsicherte Baidan.
»Nun, junger Freund, was für Nachrichten hast du uns zu überbringen?«, fragte der König. Baidan wusste, wie viel Gilmarak an den Steppenschiffen und der Karawane gelegen war. Und er würde sich hüten, ehrlich zu sagen, was er davon hielt.
Der Elf wurde von zwei Trollwachen durch die Tür geschoben.
»Der König hat das Wort an dich gewandt!«, blaffte ihn Elija Glops an. »Antworte!«
Baidan legte die Gedanken Orgrims dar, vermied aber sorgfältig, das Wort Rückzug zu gebrauchen. Als er seinen Bericht beendet hatte, wagte er es nicht, zum König aufzusehen.
»Orgrim möchte also davonlaufen.« Das war die Stimme Elija Glops’.
Auch ihn wagte Baidan nicht anzusehen. »Orgrim sprach von einem taktischen Rückzug, um sich an günstigerer Stelle neu zu formieren. Nicht von Flucht!«
»Glaubst du, ich kenne die Phrasen von euch Kriegshelden nicht? Was du da sagst, bedeutet nichts anderes, als dass Orgrim fliehen will. Ich verstehe sehr gut, dass er nicht abkömmlich ist, um diese Nachricht selbst zu über bringen! Und sieh mich gefälligst an, wenn du mit mir sprichst!«
Baidan gehorchte. Sein Vater hatte ihm einiges über Elija erzählt. Er wusste, dass man sich seiner nie wirklich sicher sein konnte. Seine Höflichkeit mochte ebenso gespielt sein wie sein harscher Auftritt jetzt. Vor Trollen zeigte er stets eine Maske. Sie sollten nie im Zweifel sein, dass Kobolde fügsame Diener waren. Heimlich aber übte Elija mehr Macht aus als selbst König Gilmarak.
»Es war hilfreich, wenn wir Reiter hätten«, sagte Baidan sachlich. »Im Augenblick bestimmen allein die Kentauren, wann und wo gekämpft wird. Wenn wir uns vom Albenstern entfernen, werden sie den Nachschub blockieren. Daran besteht kein Zweifel.«
»Aber umgekehrt können sie auch nicht die Schiffsburg erstürmen«, wandte der Trollkönig ein. »Unsere Stellung ist für sie uneinnehmbar, und sie werden sich in sinnlosen Angriffen aufreiben.«
»Nur befürchtet Orgrim, dass ein verborgener Sinn hinter dem steckt, was sie tun.
Wenn wir dort bleiben, sind wir in die Rolle des Verteidigers gezwungen, und wer nur das zu tun vermag, was der Feind ihm diktiert, der wird auf Dauer verlieren. Eine Entscheidung drängt!«
»Wir werden über die Lage beraten«, sagte Gilmarak schroff, und Baidan wurde bewusst, dass es nicht klug war, einem König gegenüber ein Wort wie drängt in den Mund zu nehmen.
»Du kannst gehen, Bruder.« Elija entließ ihn mit einer großspurigen Geste.
Baidan war erleichtert, als sich die Türen des Ratssaals hinter ihm schlossen.
Aufatmend trat er auf den Flur hinaus und stellten sich den missgünstigen Blicken all der anderen, deren Anliegen seinetwegen übergangen worden waren.
Ein wenig steif ging er zurück zum Brunnensaal und von dort weiter auf einen der Höfe. Er brauchte frische Luft! Obwohl die Hallen des Palastes hoch waren, erschienen sie ihm stickig. Zu viele Albenkinder waren dort versammelt!
Endlich fand er auf einen Balkon. Doch was er vor der Burg sah, steigerte nur sein Gefühl der Beklemmung. Er hatte das Heerlager in der Wagenburg immer für groß gehalten. Doch es war nichts im Vergleich zum Lager vor den Mauern von Burg Elfenlicht. Es erstreckte sich fast bis zum Horizont. Tausende und Abertausende Zelte und Baracken umstellten die Mauern. Es machte den Anschein, als werde die Burg belagert. Nirgends sah man mehr grüne Wiesen. Die Pfade zwischen den Zelten waren Schlammbahnen. Kein Baum oder Busch war weit und breit zu sehen. Dafür erhob sich der Rauch unzähliger Lagerfeuer. Viehherden waren in Pferche gesperrt, dazu Pferde und alle erdenklichen Reittiere der Bittsteller und Gesandten. Im Westen waren Baukräne und Gerüste zu erkennen. Dort wurden weitere Steppenschiffe gezimmert.
»Wer hätte gedacht, dass dieses Gemäuer ausgerechnet unter der Herrschaft von Trollen zum lebendigen Herzen Albenmarks werden würde.«
Es tat gut, diese Stimme zu hören. »Vater.«