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Emerelle führte ihn über ein weites Schneefeld bis an den Rand eines urwüchsigen, dichten Walds. Der Schnee ließ die Äste knarren, obwohl es fast windstill war. Die weit ausladenden Baumkronen griffen so dicht ineinander, dass selbst jetzt, wo die Blätter gefallen waren, nur wenig Licht bis zum Boden des Waldes drang.

Kaum hatten sie den Wald betreten, hatte Falrach das Gefühl, dass sie beobachtet wurden. Doch sosehr er sich auch bemühte, die heimlichen Späher zu entdecken, sie blieben im Verborgenen. Zuletzt fragte er sich, ob es die Bäume selbst waren, die ihnen nachstellten. Ob die knarrenden Äste geheime Botschaften weitertrugen. Oder waren es doch die Maurawan, jene Meister der Tarnung? Das Wilde Volk, wie viele ihrer Elfenbrüder sie nannten. Halb abfällig, halb ehrfürchtig. Jene, die nicht in Palästen leben mochten, sondern sich die weiten Wälder am Fuß des Albenhaupts zu ihrer Heimat erwählt hatten. Einzelgänger, die sich der Magie der Wälder verschrieben hatten. Die das Werk der Alben nicht verändern mochten, sondern mit den Wäldern im Einklang lebten, ohne je eine Hütte zu erbauen oder einen ihrer Bäume gefällt zu haben.

Emerelle schien genau zu wissen, wohin sie wollte. Sie ließ sich allem Anschein nach nicht von der unheimlichen Atmosphäre des Waldes beeindrucken. Sie führte sie zu einem tief eingeschnittenen Tal, dessen felsige Hänge von sich schlangengleich windendem Wurzelwerk bedeckt waren.

Falrach empfand den Wald als immer unheimlicher. Hier auf dem grauen Stein hätten die Bäume nicht mehr so dicht wachsen dürfen. Das war wider die Natur. Das waren keine Bäume, wie er sie kannte! Ein Zauber schien das Tal zu schützen. Selbst der Schnee war nur vereinzelt durch das Astwerk bis auf den Boden gelangt. Immer steiler wurde der Weg hinab. Falrach klammerte sich an Wurzeln und vermied es, auf die trügerischen Moospolster auf den Felsen zu treten. Verwundert sah er, dass viele Bäume ihre Blätter nicht abgeworfen hatten, obwohl es tiefster Winter war. Manche trugen Blüten und Früchte zur selben Zeit, als vereinten sie alle Jahreszeiten in sich.

Durch das dichte Blätterdach änderte sich das spärliche Licht des Wintertages. Es schien grün. Wie Pfeile stach es in das Zwielicht des Waldes hinab und riss nur winzige Flecken aus dem Dunkel. Der Geruch modernden Laubs hing schwer in der Luft. Eine schillernde Libelle schoss auf Silberflügeln an ihm vorbei.

Jetzt erst bemerkte Falrach, dass ihm nicht mehr kalt war. Dieser seltsame Ort duldete keinen Winter. Ein kleines Stück voraus erhob sich ein Monolith aus dem Hang. Ein einzelner aufrecht stehender Stein, mehr als vier Schritt hoch. Einer der Lichtpfeile, die das Blätterdach der Baumkronen durchdrangen, hüllte ihn in kaltes, graues Winterlicht.

Emerelle blieb vor dem Monolithen stehen. Sie neigte ihr Haupt, so dass ihre Stirn den zerfurchten Stein berührte. Reglos verharrte sie. Ihre Lippen bewegten sich lautlos.

»Was willst du, gefallene Königin?«

Falrach unterdrückte den Instinkt, nach seinen Schwertern zu greifen. Er vermochte nicht zu sagen, aus welcher Richtung die Stimme gekommen war. Nervös drehte er sich um und spähte ins Zwielicht. Nebel stieg zwischen dem verschlungenen Wurzelwerk auf. Obwohl es hier, tief im Wald, völlig windstill war, bewegte er sich in wogenden Spiralen, so als sei er nicht nur Wasserdampf, sondern etwas von Leben Erfülltes.

»Ich suche Melvyn, den Sohn Silwynas.«

»Er ist keiner mehr von uns. Er hat sich entschieden, diese Welt zu verlassen.«

Der Nebel kroch jetzt um Fairachs Füße. Zwischen den Bäumen erschienen schattenhafte Gestalten. Nervös ballte der Elf die Hände zu Fäusten und streckte sie wieder. Die Maurawan galten als launisch und grausam. Selbst Elfen gegenüber.

»Wohin ist er gegangen?«

»Warum sollten wir dir das sagen?« Noch immer schien die Stimme von überall und nirgends zu kommen. Es war unmöglich, sie einem der Schattenkrieger zuzuordnen.

»Weil er mich auf den Gipfel des Albenhauptes führen wird.«

Falrach schloss die Augen. Was war das für eine Argumentation! Stille lastete auf dem Wald. Der Nebel reichte ihm nun schon bis zu den Knien.

»Er sucht lieber im Schoß seines Weibes Zuflucht, als seine Freiheit im Kampf gegen die Trolle zu behaupten. Was lässt dich glauben, dass er dich zum Albenhaupt führen wird, um dort mit dir den Tod zu finden?«

»Ich werde ihm versprechen, dass er dort seinem Vater begegnen wird. Ich weiß, wie sehr es ihn quält, seinen Vater nie gesprochen zu haben. Er wird mit mir kommen.«

»Sein Vater ist tot. Wie sollte er ihm auf dem Gipfel eines Berges begegnen können?«

»Wir werden dort die Alben finden«, sagte Emerelle mit einer Selbstsicherheit, die Falrach fassungslos machte. Der Orakelspruch der Gazala mochte alles Mögliche bedeuten. Ihn so auszulegen, war reine Wil kür.

Eine der Schattengestalten trat vor. Eine Elfe, die ihr Gesicht mit dem rotbraunen Saft des Dinko-Busches bemalt hatte. Ihr Haar war streng zurückgekämmt und zu einem schweren Zopf geflochten. Sie trug abgewetzte Jagdkleidung. Ihre Augen waren von kaltem, hellem Blau. Die Iris umgeben von einem feinen, schwarzen Rand. Wolfsaugen, dachte Falrach.

»Mein Sohn lebt in den Bergen nahe der Menschensiedlung Firnstayn«, sagte sie. »Es wird gut für ihn sein, wenn er endlich seinen Frieden findet, auf die eine oder andere Art. Wenn er versucht, auf das Albenhaupt zu steigen, wird man sich an ihn nicht als den Maurawan erinnern, der vor dem Kampf mit den Trollen davongelaufen ist.«

Falrach traute seinen Ohren nicht. Da lieferte die eigene Mutter ihren Sohn aus! Sie waren verrückt, die Maurawan! Ohne Zweifel verrückt!

»Was willst du hier, Ollowain?«

Auf das Albenhaupt würde er Emerelle nicht folgen. Er hatte sich geopfert, um sie vor dem Feuerodem eines Drachen zu bewahren; darin hatte er einen Sinn gesehen. Aber diese Suche nach den Alben ... Sie jagte nur einem Hirngespinst nach. Da es den Maurawan offensichtlich gefiel, Verrückten zu helfen, sollte er in dieselbe Kerbe schlagen. »Ich suche Verbündete, die mir helfen, den König der Trolle zu stürzen und Albenmark wieder in die Hände eines Elfen zu geben.«

»Warum sollte dir gelingen, was uns in mehr als elf Jahren nicht glückte?«

»Weil ihr bisher keinen Anführer hattet, der eure Schwächen zu euren Stärken gemacht hat.«

Spätherbstnachmittag

Cabezan saß auf einem aufgepolsterten Lehnstuhl auf der Terrasse seines Palastes und blickte zu den nahen Weinbergen. Wie fleißige Ameisen krochen die Weinbauern und ihre Helfer die Hänge entlang. Es war ein guter Sommer gewesen, dieses Jahr. Es hatte viel Sonne, aber auch genug Regen gegeben. Ein Sommer, der kräftige, süße Trauben hervorgebracht hatte. Dieses Jahr würde einen vorzüglichen Wein hervorbringen.

Der König hatte ein schweres Bärenfell auf den Knien liegen. Er streckte sein Gesicht der Sonne entgegen und genoss die milde Wärme des Spätherbstnachmittags. Er hatte sich schon lange nicht mehr so gut gefühlt. Aber ein Blick in Balduins Gesicht genügte, um ihn ahnen zu lassen, dass dieses Glück nicht mehr lange währen würde. Außer seinem Hofmeister war nur noch Tankret anwesend. Aber Cabezan war sich sicher, dass sie von mindestens einem Dutzend Fenstern heimlich beobachtet wurden.

»Also heraus damit, Balduin. Welche schlechten Nachrichten bringst du?«

»Der Mordanschlag auf den weißen Ritter ist fehlgeschlagen. Der Attentäter galt als sehr fähig. Man munkelt, Tjured selbst habe den tödlichen Streich gegen den Ritter abgewehrt. Unser Plan hat sich in das Gegenteil verkehrt. Michel Sarti ist so beliebt wie noch nie, mein König.«

»Und auch deine Sympathien liegen bei diesem Ritter Gottes, oder irre ich mich?«

Balduin erlaubte sich ein Lächeln. »Ich muss gestehen, dass ich diesem jungen Mann gern einmal begegnen würde.«

»Und würdest du ihm dann gleich empfehlen, nach meinem Thron zu greifen?« »Herr, ich habe nie ... «

»Ich weiß, was du von mir hältst. Verschone mich mit deinen Lügen! Also die Drusnier konnten ihn mit Pfeilen nicht umbringen. Dein Meuchler scheiterte daran, diesen Wunderritter mit einer Sichel zu fällen. Wie ich das sehe, sollten wir einen ganz anderen Weg beschreiten. Gegen Stahl scheint der Mann gefeit zu sein. Vergiften wir ihn! Ich möchte, dass du ihm dieses Mädchen schickst ...« Er schnippte ärgerlich mit den Fingern. In letzter Zeit verließ ihn immer öfter sein Namensgedächtnis. Er sah das Gesicht der kleinen Hure noch vor sich. »Du weißt schon ... Das Mädchen, das in Iskendria war.«