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Erinnerungen an mächtige Schwingen, Feueratem und kalte Angst. Solche Waffen waren einst für jene Tapfersten der Tapferen geschmiedet worden, die es wagten, sich den Drachen zu stellen. Auch er hatte einmal so ein Schwert besessen. Aber seines war nicht so schwer gewesen ... Alles wurde schlechter, dachte er. Plötzlich musste er schmunzeln. Er führte sich auf wie ein griesgrämiger, alter Kobold. Er sollte mehr wie früher sein. Das hier war nicht mehr die Welt, aus welcher der Tod ihn gerissen hatte.

Es lag nicht in seiner Macht, dies zu ändern. Er sollte den Fährnissen des Schicksals mit einem trotzigen Lächeln begegnen! Ob er sich veränderte oder nicht, es war seine Wahl.

Er atmete schwer aus. Wieder standen ihm die Bilder des Kampfes vor Augen. So etwas würde er nie wieder tun!

Emerelle war stehen geblieben und er so tief in Gedanken, dass er sie fast angerempelt hätte. Verwundert sah er sich um. Weit reichte sein Blick nicht. Er konnte kei nen besonderen Grund ausmachen, warum sie angehalten hatte. Sie waren irgendwo südlich von Feylanviek, wo flache Hügel sich wie sanfte Meeresbrandung bis zum Horizont hinzogen. Für ihn gab es keinerlei Orientierungspunkte. Ein Hügel sah aus wie der andere. Insbesondere da sie alle unter Schnee begraben lagen.

Emerelle kniete nieder und zeichnete eine verschlungene Linie in das Weiß. »Wir stehen auf einem niederen Albenstern. Nur vier Pfade kreuzen sich hier. Das muss genügen.«

Eine Kälte, die tief aus seinem Inneren kam, erfasste Falrach. »Nur vier Albenpfade«, sagte er müde. Ihm war klar, dass sie nach dem, was in Feylanviek geschehen war, fliehen mussten. Aber warum hier? Es hatte einen Albenstern inmitten der Stadt gegeben. Einen sicheren Stern!

Emerelle blickte zu ihm auf und wartete auf seine Frage. Sie war so schön. So unglaublich schön. Die Jahrhunderte hatten ihr ebenso wenig etwas anzuhaben vermocht wie der schneidende Wind und das Schneetreiben. War eine Marmorstatue so lange den Elementen ausgesetzt, dann wurden ihre Züge weicher. Wind und Zeit schliffen harte Kanten rund. Bei Emerelle war das Gegenteil geschehen. Ihre Züge wirkten einprägsamer. Härter. Und doch war nichts von dem verschwunden, was ihn einst so sehr angezogen hatte. Noch immer konnte er sich in den Tiefen ihrer hellbraunen Augen verlieren. Sie wirkten unschuldig. Ihre Farbe erinnerte an das Fell eines Rehkitzes. Die gefallene Königin war zart, ja von zierlicher Gestalt. Das Haar trug sie offen. Es fiel in Wellen auf den weißen Umhang, der ihre Schultern bedeckte. Wer sie von Ferne sah, mochte sich in ihr täuschen ... Stand man ihr jedoch von Angesicht zu Angesicht gegenüber, dann spürte man jene Kraft, vor der einst sogar Drachen zurückgeschreckt waren. Sie war ungebrochen. Auch wenn sie ihre Krone verloren hatte.

»Warum nehmen wir diesen Weg?«

»Weil uns hier nur Narren folgen werden.«

Er rang sich ein Lächeln ab, obwohl ihm nicht danach zumute war. »Sind wir mehr als Narren, wenn wir versuchen, durch diesen Albenstern zu gehen?«

Auch um ihre Lippen spielte ein flüchtiges Lächeln. Doch ihre Augen blieben hart.

»Wir werden es wissen, wenn wir unseren Weg gegangen sind. Nach einer Weile ...«

Es war zum Verzweifeln mit ihr! Das war dasselbe Verhalten wie in Feylanviek! War ihr denn ganz gleich, was mit ihnen geschah? Musste sie das Schicksal herausfordern?

War das alles, was das Leben ihr noch zu bieten hatte? Einen niederen Albenstern zu durchqueren, war ein unnötiges Risiko. Ein winziger Fehler mochte sie auf ihrer Reise durch das goldene Netz mehr als Hunderte von Meilen von hier fortführen. Und es bestand zudem die Gefahr, dass sie weit in der Zeit voranschritten. Ein Jahr, ein Jahrzehnt, ein Jahrhundert... Oft dauerte es eine Weile, bis man wusste, wie groß der Schaden war. Albensterne, an denen sich sieben Wege kreuzten, waren sicher. Je weniger Wege es wurden, desto größer war die Gefahr, sich zu verlieren. Jeder Fehler war unumkehrbar. Zeitsprünge führten stets nur in die Zukunft. Es gab keinen Weg mehr zurück.

»Vertrau mir.« Emerelle griff nach seiner Hand. »Ich bringe uns in Sicherheit. Nicht in Gefahr.«

»Und Feylanviek? Warum?«

»Ich musste wissen, ob sie es wirklich tun.«

Falrach sah auf die Hand, die ihn hielt. Die Hand, die ihr neu gewachsen war, obwohl dies gegen die Gesetze der Magie war. Kein Zauber konnte ein verlorenes Glied neu erschaffen. Nicht aus Fleisch und Blut.

»Ekelst du dich vor mir?« Emerelle zog ihre Hand zurück.

»Du hast dich so sehr verändert ...« Nein, es war kein Ekel, den er empfand. Sie machte ihm Angst. Und zugleich war er ihr verfallen. »Dieses Blutbad ... Früher hättest du nicht ... «

»Ich musste ganz sicher wissen, dass sie die Strafe voll ziehen.« Sie senkte den Blick. »Ich hätte Shandral bestrafen müssen. Das versäumt zu haben, ist unverzeihlich. Ich hatte es verdient ... «

»Aber warum diese Morde? Wenn du allein Dalmag getötet hättest. Oder auch noch diesen Trollfürsten. Aber alle!«

»Sie alle waren dabei, als Unrecht gesprochen wurde. Und keiner hat gegen das Urteil Beschwerde erhoben. So haben sie selbst den Stab über sich gebrochen. Doch das war nicht ausschlaggebend für ihren Tod. Unter den Kobolden waren sieben, die gar nicht anwesend waren, als über uns verhandelt wurde. Sie hatten Pech. Sie waren zur falschen Zeit am falschen Ort.« Sie sagte all das ohne eine Spur des Bedauerns, aber auch ohne Zorn.

»Wir sind doch nicht besser als Dalmag und Gharub, wenn wir ...«

»Darum geht es nicht, Falrach. Sie haben entschieden, den Schrecken zum Mittel ihrer Herrschaft zu machen. Dieser Schrecken musste auf sie zurückfallen.«

»Aber es hätte doch völlig genügt, Dalmag und Gharub zu bestrafen. Warum all die anderen?«

»Weil es so eine bessere Geschichte ist.«

Er sah sie fassungslos an. »Eine Geschichte?«

»Ja. Siebzehn tote Trolle und zweiundvierzig Kobolde. Davon wird man noch im entferntesten Winkel Albenmarks hören. Und genau deshalb musste es geschehen. All die Unterdrückten werden wieder hoffen können, denn sie wissen nun, dass der Schrecken auf die Tyrannen zurückfallen kann. Was glaubst du, wie viele Städte es gibt, in denen nun Kobolde und Trolle herrschen? Hundert? Zweihundert? Auch ich kann es dir nicht sagen. Und glaubst du, Shandral war der Einzige seiner Art? Es gab noch ein halbes Dutzend anderer gewissenloser Schurken. Was glaubst du, wie viele Kobolde noch eine Rechnung mit ihren alten Elfenfürsten zu begleichen haben? Einige halten sich an das Gesetz. Andere herrschen wie Dalmag und Gharub. Ihnen wird die Geschichte über das Massaker in Feylanviek zu denken geben. Hätte ich nur Dalmag und Gharub getötet, dann würden all die anderen Tyrannen glauben, die beiden seien leichtfertig gewesen. Schlimmer noch, die Geschichte würde sich nicht mal verbreiten. So aber wissen alle Tyrannen, dass sie nicht einmal inmitten ihrer Leibwachen sicher sind. Ihr einziger Schutz besteht darin, gerechte Herrscher zu sein. Was vor drei Tagen geschah, wird künftig Hunderte Leben retten.«

Falrach vermochte sich der Logik dieser Worte nicht zu entziehen. Er war ein Spieler gewesen. Kühles Kalkül hatte ihm unzählige Siege eingebracht. Er war stets auch ein guter Rechner gewesen. Am Spieltisch! Wirkliche Leben hatte er noch nie gegeneinander aufgerechnet. »So also denken Königinnen«, sagte er schließlich.

»Früher hattest du eine romantische Ader. Ist sie dir völlig abhanden gekommen, Falrach? Fahrende Ritter denken so. Sie bekämpfen das Böse, wo sie ihm begegnen.«

»Und sieben Kobolde, die nicht einmal anwesend waren, als wir verurteilt wurden?

Was war ihr Verbrechen?«

Emerelle schüttelte ärgerlich den Kopf. »Du bist zu kleinlich.«

»Und du bist nicht mehr die fahrende Ritterin, die ich einmal kannte. Früher hättest du dir die Mühe gemacht, besser zu unterscheiden.«

Sie sah ihn auf eine Art an, die in ihm die Frage aufkeimen ließ, wie viel sein Leben wohl wert war, wenn er ihr widersprach.

»Gerade hast du wie Ollowain gesprochen«, sagte sie nach langem Schweigen. »Ich glaube, du bist auch nicht mehr der Falrach, den ich einmal kannte. Er hätte die Logik des Schreckens verstanden.«