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»Wir müssen in das Schiff hinein!«

»Das geht nicht«, protestierte der Maurawan.

»Geh!«, befahl sie harsch. Sie konnte spüren, wie er seine Armmuskeln anspannte.

»Bitte«, fügte sie versöhnlich hinzu. »Ich muss ihn finden. Da vorne, wo die Spanten aus dem aufgerissenen Rumpf ragen, da müssen wir es versuchen.«

Melvyn sagte nichts mehr. Er ging auf das Schiff zu. Plötzlich waren sie zwischen Felsen. Vor ihnen war ein Tuch als Sonnensegel aufgespannt. Darunter stand in einer Felsnische ein hochlehniger Stuhl. Ein Bein war abgebrochen und notdürftig durch eine Planke ersetzt worden. Ein Umhang war zwischen die Lehnen drapiert. Er verdeckte etwas. Ein schmaler, silberner Rand ragte unter dem Stoff hervor. Ein Schüsselrand? Die Form hatte Ähnlichkeit mit der Silberschüssel in ihrem Thronsaal.

Emerelle blickte über Melvyns Schulter. Der Schiffsrumpf lag jetzt hinter ihnen.

»Wie ich es dir gesagt hatte.« In Melvyns Stimme lag kein Triumph. Er klang müde.

»An diesem Ort war ich allerdings noch nicht.«

Über den Rand der Silberschüssel rann Blut. Etwas lag in der Schüssel! Verhüllt von dem Tuch. Emerelle keuchte auf. »Bring mich zu dem Stuhl!«

»Ich sehe keinen Stuhl.«

Sie bäumte sich in Melvyns Armen auf. »Der Stuhl da vorne! Unter dem Segel. Es sind doch nur drei Schritt.«

»Ich sehe keinen Stuhl«, beharrte er stur. »Da liegt ein Kissen zwischen den Felsen. Es ist schmutzig.«

»Dann bring mich zu dem Kissen!«

Er machte einen Schritt. Eisiger Wind peitschte ihnen ins Gesicht. Sie standen auf einem weiten Schneefeld.

Verzweifelt sah sich Emerelle um. Hinter ihnen erhob sich ein Felsen wie ein Turm. Sie waren dort, wo die Adler sie abgesetzt hatten. Es war alles vergebens gewesen.

Ein Grollen ließ Melvyn herumfahren. Weit oben am Hang löste sich der Schnee. Der Maurawan fluchte. Dann begann er zu laufen.

Der Spieler

Falrach drehte unschlüssig die kleine Spielfigur, die Emerelle darstellte, zwischen den Fingern. Wo sie wohl war? Er setzte die Figur am Rand des Falrach-Tischs ab. Wo immer sie auch steckte, sie war nicht im Spiel!

Er nahm noch einmal die abgegriffene Liste, die der Kobold ihm hatte zuspielen lassen.

Anfangs war er sehr skeptisch gewesen. Das war zu gut, um wahr zu sein. Ihre Spitzel hatten inzwischen die Geschütze rings um den Hafen ausfindig gemacht. Alle zwölf standen exakt an den Stellen, die benannt waren. Schwieriger war es, zu beurteilen, ob die Liste mit den Fürsten, die zur Kronwahl bestimmt werden sollten, auch der Wahrheit entsprach. Das würde sich erst zeigen, wenn sie sich auf der Prunkbarkasse versammelten. Er hatte lange gezögert. Alvias, Nestheus und Katander! Das klang zu unglaubwürdig. Warum sollten sie geschworene Feinde des Trollkönigs zur Königswahl berufen?

In dem Brief war ausführlich dargelegt, welche Pläne Elija verfolgte. Dennoch erschien es ihm unglaubwürdig ... Er verschob einige der Figuren auf dem Spieltisch. Es sah schlecht für sie aus. Ihre Gegner waren viel stärker.

»Und, mein Fürst?«

Falrach blickte auf. Vor ihm stand Silwyna. Die Elfe war dunkel gewandet, ihr Gesicht bemalt. Sie führte das Wort für alle Maurawan, die auf der Lichtung versammelt waren.

»Heute Nacht gehen die ersten zehn«, entschied er. »Du wählst sie aus.«

»Wie du befiehlst, mein Fürst.« Sie grinste unverschämt. Vor sieben Wochen hatten die Maurawan ihn zum Fürsten ausgerufen. Das hieß, sie hatten die Nachricht, dass Ollowain zum Fürsten ihres Volkes gewählt worden war, überall verbreiten lassen. Sie hatten sich für den Namen Ollowain entschieden, weil die Wahrheit zu kompliziert gewesen wäre. Nie zuvor hatten die Maurawan einen Fürsten über sich akzeptiert. Es widersprach zutiefst ihrem Lebensstil. Aber nur so konnte Falrach an der Königswahl teilnehmen. Er musste einen Fürstentitel besitzen.

Er war zwar Fürst der Snaiwamark, zumindest stand ihm der Titel nach dem Tod seines Vaters zu, aber da die Trolle die Snaiwamark besetzt hatten und ihr Herrscher auch den Titel König der Snaiwamark trug, wäre Ollowains Legitimation leicht anzufechten gewesen. Wenn die Maurawan ihn hingegen zu ihrem Fürsten ausriefen, gab es daran nichts zu rütteln.

»Sollten wir nicht mehr Krieger in die Stadt schicken? Es sind nur noch vier Tage bis zum Fest der Lichter. Die Stadt ist schon voller Gäste.«

»Nein. Die Gefahr, entdeckt zu werden, ist zu groß.«

Silwyna wandte nichts mehr ein. Falrach war überrascht gewesen, dass die Maurawan sich ihm so bereitwillig angeschlossen hatten, als er erklärt hatte, er wolle verhindern, dass Gilmarak noch einmal zum König gewählt würde. Man musste verrückt sein, um sich auf dieses Komplott gegen den König einzulassen. Sie waren nur eine Handvoll Krieger. Ihr Feind konnte leicht das Hundertfache an Kämpfern aufbieten. Falrach hatte den Verdacht, dass gerade diese Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens die Maurawan reizte.

Er verschob einige der Figuren auf dem Spieltisch vor sich. Silwyna sah ihm aufmerksam zu. Er sah die Frage in ihren Augen. »Ob wir gewinnen können?« Er blickte wieder auf den Tisch und schüttelte den Kopf. »Wir haben die Überraschung auf unserer Seite. Ich hoffe, sie ahnen nicht, wie gründlich wir ihre Pläne kennen.

Setzen wir also einmal voraus, dass nicht wir es sind, die betrogen werden ... Unter diesen Maßgaben habe ich bei einem von sieben Spielen einen Sieg für uns erzielt. Das alles gilt nur, wenn das Spiel damit endet, dass ich zum König gewählt werde. Erweitert man es dahingehend, dass ich anschließend auch noch lebend die Stadt verlasse, werden die Aussichten deutlich schlechter.«

»Warum lässt du dich darauf ein?«

Falrach zuckte die Schultern. »Wenn alle vernünftig denken, werden wir auch künftig von Trollen und Kobolden regiert. Man muss entweder ein Zeichen setzen oder den Kopf einziehen und den Mund halten.«

»Darin, den Kopf einzuziehen, waren wir Maurawan schon immer schlecht. Du hast dir den Respekt unseres Volkes verdient, Falrach. Falls du einmal nicht mehr weißt, wohin du gehen sollst, wirst du in unseren Wäldern immer willkommen sein.

Vorausgesetzt, du bestehst nicht darauf, noch einmal unser Fürst zu werden.«

Falrach lächelte sie an. Sie war auf eine herbe Weise anziehend. In seinem früheren Leben hätte er versucht, sie zu verführen. »Keine Sorge, du weißt ja, ich strebe nach Höherem. Entweder trage ich in vier Tagen die Krone Albenmarks, oder aber ich habe keinen Kopf mehr auf den Schultern - und die Frage des Kronentragens, seien sie nun für Fürsten oder Könige, hat sich ein für alle Mal erledigt.«

Fast eine Liebesgeschichte

»Er kommt, Herrin.«

»Dann verschwindet schnell!« Elodia suchte sich ein nicht zu schlammiges Stück Weg, während ihre beiden Diener ihr Pferd am Zügel packten und davonpreschten. Es gab viele Hufspuren auf dem Waldweg, die einander überlagerten. Ihre Spuren würden keinen Verdacht erregen.

Sie ließ sich auf den Weg fallen und achtete darauf, dass sie sich mit dem Kleid ein wenig im Brombeerdickicht am Wegesrand verhedderte. Die nadelspitzen Dornen drangen durch das Kleid und die Weste ihres Reitkostüms. Sie trug mit Bedacht keine Stiefel, sondern flache Schuhe, die zum Reiten eigentlich völlig ungeeignet waren. Vor zwei Stunden schon hatte sie mit einem Knüppel dafür gesorgt, dass sie reichlich blaue Flecken auf den Beinen hatte. Bis es soweit war, dass sie ihren Rock hob, würden noch ein paar Stunden vergehen. Er würde nicht bemerken, dass sie nicht von ihrem vorgetäuschten Sturz stammten!

Sie tastete nach dem Silberfläschchen in der kleinen Tasche an ihrem Gürtel. Es wäre das erste Mal, dass sie mit Gift töten würde. Sie fühlte sich etwas unsicher. Immer wieder griff sie nach dem Fläschchen. Es konnte nicht zerbrechen! Dennoch hatte sie Sorge.