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Elodia griff nach ihrem Becher. »Auf Tjured, der mir seinen edelsten Ritter schickte, um mich aus verzweifelter Lage zu retten.« Sie setzte an und trank ihren Becher bis zur Neige, wie es Brauch war, wenn man einen Trinkspruch ausbrachte. Nun war er an der Reihe, wenn er sie nicht brüskieren wollte.

Er nahm seinen Wein und verneigte sich. »Auf die namenlose Schöne aus dem Wald, die Tjured erschuf, um mich zu lehren, was vollkommene Schönheit ist.«

Elodia errötete. Er trank den Wein in einem Zug, so wie sie es getan hatte. Ein Schaudern überlief sie. Keiner ihrer Morde war so leicht vollbracht worden. Drei Tage blieben dem Ritter jetzt noch. Vielleicht auch nur zwei. Ihr Werk war vollbracht. Sie fühlte sich schäbig.

»Geht es Euch gut, edle Dame? Ich hoffe, ich habe Euch mit meinem Trinkspruch nicht in Verlegenheit gebracht. Für gewöhnlich bin ich nicht solch ein Draufgänger … Ich …«

Er lächelte sie an, dass ihr schier das Herz brechen wollte. »Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist.«

Sie riss einen Schenkel des Hähnchens ab. Jetzt bloß nicht sentimental werden! Sie schaffte es, sich zu einem Lächeln zu zwingen. »Das war das galanteste Kompliment, das mir je gemacht wurde«, sagte sie. Und es war keine Lüge. Promachos hatte ihr zwar mit geschliffeneren Worten geschmeichelt, doch hatten all seine Komplimente immer nur darauf abgezielt, sie in Stimmung zu versetzen, sich ihm hinzugeben. Bei dem Ritter war sie sich sicher, dass er ihr ganz ohne Hintergedanken geschmeichelt hatte. Er meinte, was er sagte.

»Das Hähnchen riecht köstlich«, sagte er ganz offensichtlich, um das Thema zu wechseln.

»Keine Sorge. Ihr habt mich nicht verlegen gemacht. Ganz im Gegenteil, Ihr habt mein Herz berührt, und das ist erst einem vor Euch gelungen.«

»Sicher ein glücklicher Mann ... «

»Ich weiß es nicht. Ich habe ihn seit mehr als elf Jahren nicht gesehen. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist.« Sie dachte an den Jungen, der ihr damals in Nantour heimlich nachgestellt hatte.

Er hatte gewusst, was sie tat. Und doch hatte es ihn nicht abgeschreckt. In seinen Augen hatte sie geglaubt, reine Liebe zu sehen. Nie hatte er es gewagt, sie anzusprechen.

Vielleicht ging er ihr deshalb nie aus dem Sinn. Nie hatten dumme Worte die Gefühle entweiht, die er so offensichtlich für sie empfunden hatte. Es war damals ein Leichtes gewesen, seinen Namen von den anderen Bettlerjungen zu erfahren. Manchmal hatte sie sich in den letzten Jahren Tagträumen von unschuldiger Liebe hingegeben.

Träumen davon, wie ihr Leben hätte sein können. Jedes Mal hatte sie dabei an ihn gedacht.

»Auch ich kenne den Schmerz unerfüllter Liebe. Ich war noch ein Junge, als mich die Liebe traf.« Er lächelte verlegen. »Ich habe mich nicht einmal getraut, sie anzusprechen. Ihr merkt, ich bin auch heute nicht gut mit Worten in Anwesenheit schöner Damen. Mein Schicksal hat mich in ein einsames Tal verschlagen. Jeden Tag habe ich an sie gedacht. Als ich endlich in meine Heimatstadt zurückkehren konnte, lebte sie nicht mehr dort. Zwei Jahre lang habe ich überall in Fargon nach ihr gesucht. Es wird nie eine andere für mich geben als meine Elodia, mein Blumenmädchen vom Heumarkt in Nantour.«

Ihr fiel der Weinbecher aus der Hand. Das konnte nicht sein!

»Ist Euch nicht gut, meine Dame? Ihr seid plötzlich weiß wie der Tod.«

»Ist dein Name Adrien?«

Er sah sie verwundert an. Dann lag plötzlich Misstrauen in seinem Blick. »Meine Mutter nannte mich so. Aber mein richtiger Name ist Michel Sarti.«

»Und dieses Blumenmädchen? Was tat sie, wenn sie kein Glück damit hatte, ihre Blumen zu verkaufen?«

»Darüber möchte ich nicht sprechen, meine Dame«, entgegnete er kühl.

»Ging sie zu dem Fleischhauer, der die köstlichen Würste machte? Und zu dem Bäcker bei der Flussbrücke und ... « »Kanntet Ihr sie?«

Sie suchte in dem Gesicht des Ritters nach den Zügen des Jungen. Sie hatte Adrien stets nur von weitem gesehen. Beide hatten sie dieselbe Haarfarbe. Und vielleicht auch dasselbe scheue Lächeln.

»Du bist doch auch Priester ...«

»Ich habe keine Weihe empfangen.«

»Das ist egal. Ich muss dir beichten.« Ihr standen jetzt Tränen in den Augen. Sie konnte es nicht hier drinnen tun. Sie hatte ihren Traum getötet. Den kleinen unschuldigen Jungen, der sie nie vergessen hatte, wenn die Worte des Ritters stimmten. »Lass uns hinter die Scheune gehen.« Sie stellte sich vor, wie er ihr den Kopf abschlagen würde, wenn er erfuhr, dass sie eine gemeine Mörderin war. Dass sie ihn getötet hatte, auch wenn ihm noch drei Tage blieben. Es gab kein Gegengift gegen das Loabo. Er war verloren!

Der Weg des Geldes

Anderan griff die Hand, die ihm entgegengestreckt wurde. Er war über zwanzig Stunden in den Kanälen gewesen und so erschöpft, dass er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Es war jene tief zufriedene Erschöpfung, die er in den letzten Jahren so oft vermisst hatte. Er hatte die Bauarbeiten nicht nur beaufsichtigt, er hatte auch selbst Hand angelegt.

Bedeckt mit Schlamm, nur mit einem Lendenschurz bekleidet und mit triefnassem Haar verabschiedete er die übrigen Holden. Sie hatten gute Arbeit geleistet und waren einen Tag früher als geplant fertig geworden. Die Männer standen noch kurz beisammen, machten Witze oder beklagten sich über ihre Frauen. Dann verliefen sie sich.

Anderan sah ihnen nach. Er wusste, dass es einen Tag wie diesen nie wieder in seinem Leben geben würde. Sie hatten sechs neue Abstiege ins steinerne Herz ihrer Stadt gebaut. Sechs Fluchtwege, die noch auf keiner Karte verzeichnet waren. Und sie hatten auch die goldenen Fluttore im Saal der Fallenden Wasser inspiziert und eine Änderung am Schließmechanismus der Tore vorgenommen. Anderan hatte es genossen, noch einmal diesen prächtigsten Saal des unterirdischen Systems aus Zisternen, Trinkwasser- und Abwässerkanälen zu besuchen. Es war der Thronsaal des Herrn der Wasser. Sein Vater Gondoran, der bei der letzten Königswahl der Herrscher der Holden gewesen war, hatte ihn gern so genannt. Anderan konnte sich noch gut erinnern, wie er mit ihm auf den Balkonen hoch im Saal der Fallenden Wasser gestanden hatte, um dem Lied des Wassers zu lauschen. Sein Vater war im fernen Phylangan gestorben. Sein Sohn in den Weiten des Windlands. Sein Zweig aus der Sippe der Bragan würde keine Blüten mehr tragen.

In melancholischer Stimmung ging er nach Hause. Seine Dienerinnen hatten ihm ein Bad bereitet. Er genoss es, im warmen Wasser zu ruhen. Es war still im Haus. Anderan war allein. Er betrachtete seine Hände und Füße, dachte kurz an die verlorenen Finger und Zehen. Die Wunden waren verheilt, aber es tat ihnen nicht gut, dass er immerzu im Wasser stand. Er sollte der König Albenmarks werden. Was sein Vater wohl dazu gesagt hätte? Gondoran hatte sein Leben gewagt, um die Königin zu retten, als die Trolle überraschend über Vahan Calyd herfielen. Und nun sollte sein Sohn durch List und Intrigen jene Krone gewinnen, die Gondoran für Emerelle verteidigt hatte. Sein Vater würde das nicht schätzen ... Und sein Sohn Baidan? An ihn zu denken, tat nicht mehr so weh. Baidan würde wahrschein lieh sagen, er habe zu viel Zeit im Kronrat verbracht. Und sein Sohn hätte damit Recht gehabt. Der Platz des Herrn der Wasser war in Vahan Calyd. In den Kanälen der Stadt!

Er dachte an die letzten Steine des Mosaiks, die sich in den vergangenen Wochen gefügt hatten. An all die Briefe und Rechnungen. Und an die kurze Mitteilung, die ihn erst gestern erreicht hatte. Im Fürstenpalast von Tanthalia war seit sechs Jahren kein einziger neuer Vorhang mehr aufgehängt worden. Das war der letzte Stein. Nun hatte sich das Mosaik zu einem klaren Bild gefügt. Nach dem Weg der Pfeile war er dem Weg des Geldes gefolgt.

Vor einem Jahr hatte Elija 10 000 Silberstücke an das Handelshaus Verrak überschreiben lassen. Silber, das mutmaßlich aus den Schatztruhen der Snaiwamark-Karawane abgezweigt worden war. Für diese Summe hätten seidene Vorhänge für seinen Palast geliefert werden sollen. Vermutlich hätte man dafür den halben Palast in Seide hüllen können. In den nächsten Monden waren vom Handelshaus Verrak Bestellungen an verschiedene Schmiede und Pfeilmacher herausgegangen. Und an einen Korbflechter. Anderan lagen all diese Rechnungen vor, denn er hatte seine Macht als Kronrat genutzt, um Abschriften der Kontorbücher der Verraks fertigen zu lassen.