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Und das ohne das Wissen der Kaufherren. Nahm man die Transportkosten noch dazu und die Gebühren der Lagerhäuser, dann fügte sich all das auf eine Summe von annähernd 10 000 Silberstücken. Ganz offensichtlich hatten die Verraks es nicht gewagt, bei diesem Geschäft einen Gewinn für sich herauszuschlagen.

Natürlich waren ihre Geldgeschäfte verwickelt und unübersichtlich. Vor einem Gericht, das nicht mit Trollen besetzt war, würden sie sich mit Sicherheit herausreden können. Die 10 000 Silberstücke machten nur einen Bruchteil der Warenwerte aus, die durch das große Handelshaus im Laufe eines Jahres bewegt wurden. Sicherlich ließ sich beweisen, dass die Münzen aus Tanthalia in die Finan zierung ganz anderer Geschäfte geflossen waren. Doch ebenso stand außer Zweifel, dass sich alle Summen des Pfeilgeschäfts letztlich zu einem Betrag von etwa 10 Silberstücken fügten.

Anderan streckte sich im Bad. In einer Mauernische stand zwischen Tiegeln mit Badeölen noch das kleine Holzschiff, das er vor Jahren für Baidan geschnitzt hatte.

Kein Bad war vergangen, ohne dass der Junge das Schiff zu Wasser gelassen hatte.

Baidan hatte Segel aus bunt bemalten Bananenblättern dafür gemacht. Segel, die längst vergangen waren.

Der Herr der Wasser tastete nach der Pfeilspitze, die auf seiner Brust ruhte. Lange betrachtete er das kleine Eisenstück, welches das Leben seines Sohnes beendet hatte. In drei Tagen wäre er der Herrscher Albenmarks. Aber wenn er Elija vor ein Gericht brachte, dann würde alles in den Schmutz gezerrt werden, wofür Hunderte Kobolde in den letzten Jahren ihr Leben gegeben hatten. Elija war unberührbar. Stürzte er, würde auch sein Lebenswerk fallen ...

Das Kind

Melvyn riss sie mit sich. Er stürmte in panischer Hast der Deckung des Felsturms entgegen, während sie immer noch zu der Pracht der Lawine hinaufschaute. Es sah aus, als habe sich eine Wolke auf den Hang des Berges gelegt, um nun in all ihrer Pracht an seiner Flanke hinabzugleiten. Majestätisches Grollen begleitete das wirbelnde Weiß. Ein Geräusch, das jeden anderen Laut erstickte.

Während des Laufens spürte sie, wie der Boden unter ihren Füßen bebte. Das Erzittern des Berges löste kleinere Lawinen aus, die dem großen Weiß vorauseilten wie Herolde, welche die Ankunft eines Königs verkündeten.

Klumpen aus verharschtem Schnee schlugen gegen ihre Beine. Sie strauchelte. Melvyn zog sie sofort wieder hoch. Die Lawine war schnell! Viel schneller als sie eilte sie dem Felsturm entgegen.

Melvyn eilte leichtfüßig dahin, während ihre Schritte leicht einsanken. Hatte denn all ihre Zauberkraft sie verlassen? Sie bekam keine Luft mehr. Sie atmete. Sie spürte die eisige Winterluft ihre Lungen füllen. Aber es schien nicht zu helfen. Sie hatte das Gefühl zu ersticken.

Wieder strauchelte sie. Die Lawine würde sie bald verschlingen. Die Bergflanke erzitterte. Der Berg wollte sie töten. Sie wusste das. Bald wäre sein Werk vollendet.

Melvyn packte sie. Er schrie sie an, doch sie verstand kein einziges Wort. Der Donner der Lawine war ein Tyrann, der keinen anderen Laut neben sich duldete. Melvyn hob sie auf die Arme.

Jetzt brach auch er in den verharschten Schnee ein. Sie war zu schwer. Sein Rettungsversuch würde nicht helfen. Jetzt war auch sein Tod unabwendbar.

Das brodelnde Weiß traf auf den Felsturm. Eine Wolke wirbelnder Eiskristalle verschlang sie. Melvyn lief immer noch weiter.

Emerelle kniff die Augen zusammen. Feine Eissplitter stachen nach jedem Zoll ungeschützter Haut. Sie prallten gegen etwas Hartes und stürzten. Melvyn kam nicht mehr auf die Beine. Schneemassen glitten rechts und links an ihnen vorbei. Aber er ließ sie nicht los. Er zerrte an ihr. Zog sie in eine scharfkantige Enge. Sie schlug sich den Kopf an. Alles um sie herum bebte. Das Brüllen des Berges löschte jeden anderen Gedanken.

Melvyn hielt sie fest an sich gedrückt. Sie spürte seinen warmen Atem in ihrem Nacken. Der einzige Trost in einer Welt aus Stein. Dann entfernte sich der Donner.

Noch immer war die Luft erfüllt von Pulverschnee. Sie konnte nichts sehen. Doch der Felsturm bebte nicht länger. Die Spannung ließ nach. Sie fühlte sich geborgen in der Umarmung. Sie ließ innerlich los.

Plötzlich stand das Kind vor ihr. Das Kind, das schon auf dem Berggipfel in ihren Träumen gewesen war. Ein Mädchen mit goldblondem, leicht gelocktem Haar und Augen in der Farbe, die das Fel eines jungen Rehkitzes hat.

Das Kind zu sehen, erfüllte sie mit tiefem Frieden. Die Kleine lächelte sie an, und ihr ging das Herz auf. Emerelle wusste, es war ihre Tochter, die sie sah. Die Tochter, die sie nie gehabt hatte. Sie winkte ihr zu und lief. Und während sie lief, wurde sie größer, wurde zur jungen Frau. Die Landschaft um sie herum veränderte sich. Sie war auf einer weiten Ebene. In einem Dschungel. Dann erkannte Emerelle Vahan Calyd. Die prächtigen Feuerblumen des Festes der Lichter schmückten den Himmel. Viermal kam ihre Tochter nach Vahan Calyd. Jedes Mal erstrahlten weniger Lichter am nächtlichen Himmel. Und die Stadt wirkte von Mal zu Mal verfallener. Plötzlich war ihre Tochter verschwunden. Inmitten eines brennenden Waldes. Emerelle schrie und weinte. Ihr Blick irrte umher. Überall war nur Feuer. Irgendwie schaffte sie es, den Flammen zu entkommen. Doch ganz gleich, wohin sie sich wandte, das Land war zu Asche geworden. Einmal glaubte sie den Schatten eines Drachen über den Himmel gleiten zu sehen. So lange sie auch suchte, sie fand kein Leben. Dann plötzlich stand sie hinter einer Gestalt, die über einem Feuer kauerte und Seiten aus einem eng beschrieben Büchlein riss, um sie den Flammen zu übergeben. Es war ein Lutin. Er erinnerte Emerelle an Elija Glops. Aber ganz sicher war sie sich nicht. Der Kobold blieb bei dem Feuer, bis auch der Einband des Buches vollständig verbrannt war. Dann eilte er davon. Kaum war er fort, fügten sich Einband und Seiten wieder aus der Asche zusammen. Sie erhoben sich aus den Flammen. Das Buch breitete seine Seiten aus, als seien es Vogelschwingen und stieg hoch in den Himmel hinauf.

Pfeilschnell zog es dahin, bis ein gewaltiger Berg vor ihm erschien. Es flog auf einen Felsturm in einem Schneefeld zu. Dort kauerte ein erfrorener Elf. Ganz deutlich sah Emerelle, dass das Buch unter seinem linken Fuß lag.

Dann war da wieder das Gesicht des Mädchens. Und das Ollowains. Ohne dass der Schwertmeister auch nur ein Wort sprach, erkannte sie an seinem verhaltenen Lächeln, dass er wieder ganz er selbst war. Er hielt das kleine Buch in der Hand. Seine Augen strahlten. Er winkte ihr zu ...

Das Bild änderte sich. Sie blickte auf Vahan Calyd hinab und sah das Fest der Lichter.

Immer und immer wieder. Viele Jahrhunderte vergingen. Einmal glitt ein bedrohlicher Schatten dicht unter ihr durch den Himmel. Plötzlich wehten fremde Banner über der Hafenstadt. Die Palasttürme lagen in Trümmern und überall waren Fahnen mit einem toten schwarzen Baum vor weißem Grund zu sehen. Sie sah sich und Skanga. Sie hatten einen dritten Albenstein! Und sie taten etwas Ungeheuerliches!

Wieder sah sie das Mädchen mit dem goldblonden Haar.

»Emerelle?«

Sie setzte sich mit einem Ruck auf. Ihr standen Tränen in den Augen. Ihr war kalt.

»Sie sind da«, sagte Melvyn leise. Er hielt sie noch immer in seinen Armen. Behutsam schob er sie von sich fort.

Noch immer von ihren Träumen benommen, stand sie auf. Wolkentaucher und Fleckfuß saßen in dem weiten Schneefeld. Vor der weiten, weißen Fläche wirkten sie klein wie Sperlinge. Auch sie fühlte sich klein. Sie sah den Berg hinauf. Der Gipfel entzog sich wie immer dem Blick. Es war ein klarer Tag. Der Berg war wunderschön.

Er sah gar nicht aus wie ein Mörder. Vielleicht lag die Schuld auch bei denen, die unbedingt den Gipfel erreichen wollten. Jenen einen Ort auf der Welt, der allen Albenkindern versagt war. Sie ahnte, dass der Sänger dort oben war. Aber er hatte sich nicht zwingen lassen, sich ihr zu zeigen, wann sie es wollte. Vielleicht hatte er ihr die Träume geschickt ... Die Alben sprachen nicht mit ihren Kindern. Aber das Schicksal der Welt, die sie erschaffen hatten, war ihnen nicht gleichgültig.