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»Etwas zu verstehen und etwas gutzuheißen, ist nicht dasselbe.«

»Haarspaltereien! Du weißt, dass ich Recht habe!« Was er wusste, war, dass es sinnlos wäre, noch weiter mit ihr darüber zu reden. Vielleicht brauchte man diese Halsstarrigkeit, um herrschen zu können. Die Gabe, unbeirrbar von sich und der Richtigkeit der eigenen Entscheidungen überzeugt zu sein. »Sind wir Narren, diesen Weg zu wählen?« Er deutete auf das Zeichen am Boden, das der stetig fallende Schnee bereits zu verwischen begann. »Sehe ich aus wie eine Närrin?«

Ihre Worte wurden von einem Lächeln begleitet, für das Falrach ihr bis in eine Drachenhöhle gefolgt wäre. Er war ein Narr, daran konnte es keinen Zweifel geben.

Ein verliebter Narr, der einem Traum hinterherlief, der vor mehr als tausend Jahren gestorben war.

»Was in Feylanviek geschah, wird sehr bald auch in Burg Elfenlicht bekannt sein. Die Trolle werden ihre besten Krieger, Fährtensucher und Schamanen schicken, um die Mörder von Gharub zu stellen. Tote Kobolde sind ihnen egal. Aber der Mord an einem Rudelführer wie Gharub stellt ihre Herrschaft infrage, wenn er ungesühnt bleibt. Sie werden große Anstrengungen unternehmen, um uns zu finden.«

Falrach konnte die Begeisterung nicht nachvollziehen, mit der Emerelle sprach. Er hätte sehr gut darauf verzichten können, ein Rudel von Kopfgeldjägern auf seinen Fersen zu haben.

»Sie werden Schwierigkeiten haben, unserer Spur im hohen Schnee zu folgen«, fuhr Emerelle fort. »Und sie werden davon ausgehen, dass wir durch einen der beiden großen Albensterne geflohen sind. Entweder durch den in Feylanviek oder den anderen, der nahe der Stadt liegt. Und sollten sie uns doch auf die Spur kommen und hierherfinden, dann werden ihre Schamanen zögern, uns auf diesem Weg zu folgen.

Wie gesagt, nur Narren durchschreiten einen niederen Albenstern.«

»Warum sind wir keine Narren, wenn wir diesen Weg beschreiten?«

Emerelle holte einen kleinen, unscheinbaren Anhänger unter ihrem Gewand vor. Einen grauen Stein mit unregelmäßiger Oberfläche. Dünne Linien waren darin eingekerbt. Falrach hatte den Eindruck, dass rote Glut in ihm gefangen war. Manchmal schien sie durch ihn hindurchzuschimmern. Ein Albenstein! Jedes der großen Völker hatte von den Alben einen solchen Stein zum Geschenk erhalten, bevor sie die Welt verließen. Auch wenn er sich kaum von einem Stück Bruchstein am Wegesrand unterschied, barg er doch gewaltige magische Macht. Es hieß, man könne Zauber weben, die ganz Albenmark verändern mochten, wenn eine Kundige wie Emerelle mehrere solche Steine besaß.

Jetzt war Falrach klar, wie sie es vollbracht hatte, ihre Hand nachwachsen zu lassen.

Mit Hilfe dieses Steins hätte sie wahrscheinlich ganz Feylanviek zerstören können.

»Wir werden nicht in Gefahr sein, wenn wir durch diesen Albenstern schreiten.«

Emerelle legte ihre Linke flach auf den Schnee. Mit der Rechten hielt sie den Albenstein umfasst. Ihre Lippen formten uralte, befehlende Worte. Ein Faden blauen Lichts brach aus dem Schnee. Wie eine Schlange wiegte er sich vor und zurück. Ein smaragdgrüner Faden folgte. Sie woben sich tanzend umeinander. Eine rote und eine gelbe Lichtschlange folgten. Sie wölbten sich hoch empor zu einem Bogen, den ein Reiter hätte passieren können, ohne auch nur den Kopf neigen zu müssen. Als der Torbogen aus Licht vollendet war, verblasste der Blick auf die Landschaft dahinter.

Stattdessen sah man einen leuchtend goldenen Weg, der durch die Finsternis führte.

»Komm!« Emerelle streckte ihm die Hand entgegen. Es war ihre Linke. Nicht jene neue, die durch die Macht des Albensteins gewachsen war.

Falrach nahm ihre Hand. Sie fühlte sich angenehm warm an. Sein Herz war voller Zweifel, aber dennoch folgte er ihr. Wohin brachte sie ihn?

Sie waren erst wenige Schritte gegangen, als sich vor ihnen auf dem Pfad ein neues Tor auftat. Gleißend helles Licht brannte sich in Fairachs Augen.

Ausgesetzt

Adrien schreckte auf und brauchte einen Augenblick, um sich zu erinnern, wo er war.

Ein klagender Ruf hatte ihn geweckt. Er war in dem Verhau des Lastkahns eingeschlafen. Und das Boot bewegte sich nicht mehr.

Hastig schlug er die Wolldecke zurück. Nebel lag über dem Fluss. Der Kahn war an einem felsigen Uferstreifen vertäut. Wieder zog der lange, klagende Ruf über das Wasser. Es war der Ruf des Eisvogels. Der Schiffer war gestern recht gesprächig gewesen für einen Toten. Er hatte von den Tieren am Fluss erzählt und vom Steinernen Wald.

Aber Adrien vertraute ihm immer noch nicht. Auf der ganzen Reise hatte er den Alten weder schlafen noch essen oder trinken sehen. Und der Bettler vor der Scheune des Silberstricks war tot gewesen. Daran gab es keinen Zweifel.

Adrien wusste nicht, was für ein Geschöpf der Schiffer war. Nur eines konnte er mit Bestimmtheit sagen: Ein lebender Mensch war er nicht. Allerdings musste er einräumen, dass ihm der Schiffer bisher kein Leid zugefügt hatte. Ganz im Gegenteil. Er hatte ihm zu essen und einen warmen Platz gegeben, und so, wie die Dinge standen, hatte er wohl auch dafür gesorgt, dass Adriens Füße nicht erfroren waren.

Der Alte stand am Bug wie eine Statue. Reglos blickte er in den Nebel, der über dem Wasser trieb.

Adrien wagte es nicht, ihn zu stören. Er war sich sicher, dass der Schiffer gehört hatte, wie er die Wolldecke zurückgeschlagen hatte. Würde der Alte reden wollen, hätte er schon etwas gesagt.

Adrien streckte die Glieder. Sein Rücken schmerzte. Warum der Schiffer wohl keinen Strohsack in seinem Verschlag hatte? Eigentlich war das klar. Wenn man nie schlief, brauchte man solche Bequemlichkeiten nicht.

Der Junge blies die Kohlen in der Feuerschale an und kramte in dem Sack mit den Äpfeln. Es wäre schön, mal etwas anderes zu essen. Die Äpfel waren der einzige Proviant an Bord. Und die Würmer in den Äpfeln. Weiß der Henker, woher die Äpfel kamen oder wie lange sie schon in dem Sack lagen. Jedenfalls hatte sich niemand die Mühe gemacht, sie mit Bienenwachs einzureiben, um sie haltbarer zu machen. Oder auch nur die fauligen herauszusuchen. Es waren noch drei Äpfel übrig, die man ohne allzu großen Ekel essen konnte.

Adrien legte sie in einer Reihe neben die Feuerschale. Sie alle hatten braune Stellen, aber wenigstens waren keine Schimmelflecken darauf.

Eine der Planken knarrte. Der Junge blickte auf und erschrak bis ins Herz. Der Schiffer stand fast unmittelbar vor ihm. Wie hatte er so lautlos durch das Boot gehen können?

»Deine Reise endet hier.«

Adrien wich ein Stück zurück, bis er die Schilfmatte des Verschlags im Rücken spürte und es kein Entkommen mehr gab. Wenn er wenigstens ein Messer hätte! Er hob die Fäuste. Er würde sich wehren, auch wenn es aussichtslos war.

Der Schiffer deutete über den Nebel hinweg zu einem nahen Berg. »Geh in diese Richtung und wenn du die weite Treppe findest, folge ihr, so gut du kannst. Sie wird dich zu Bruder Jules führen. Der Weg ist weit, und du solltest Jules besser vor Einbruch der Dunkelheit erreichen.« Der Alte trat zurück und kniete sich in der Mitte des Bootes nieder. Dort machte er sich an einer eisenbeschlagenen Kiste zu schaffen, die unter der Ruderbank gestanden hatte. Drei Schlösser musste er öffnen, um den Deckel zu heben.

Adrien sah ihm zu. Hier inmitten der Wildnis ausgesetzt zu sein, kam einem Todesurteil nahe. Wieder dachte er an die Geschichten über den Steinernen Wald. Wie sollte er bestehen, wo ein König mit einem ganzen Heer gescheitert war?

Der Alte zog ein Paar neuer Stiefel aus der Kiste und warf sie zu ihm herüber. »Die hat Jules für dich besorgt. Du solltest die Lappen um die Füße wickeln, sonst werden sie voller blutiger Blasen sein, bevor du auch nur den halben Weg geschafft hast. Nimm das Hemd dort hinten und zerreiß es.«

Adrien hob einen der Stiefel auf. Ehrfürchtig strich er über das polierte Leder. Die Stiefel waren neu. Sie wiesen nicht die kleinste Schramme auf. Man konnte noch den Leim riechen, den der Schuster verwendet hatte. Nie zuvor hatte er etwas besessen, das so kostbar wie diese Stiefel gewesen wäre.