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Der Attentäter

Alvias zog ein letztes Mal den Wetzstein über die Klinge. Der Elf blickte hinab auf die überfüllten Straßen. Der Pöbel feierte, statt gegen die Schreckensherrschaft der Trolle aufzubegehren. Es war verrückt. Emerelle hatte sich jahrhundertelang für sie aufgeopfert. Und was taten sie für ihre Königin? Er konnte ja verstehen, wenn sie nicht mit dem Schwert in der Hand den Palast des Trollkönigs stürmten. Aber wenn hier Stille herrschte statt ausgelassener Festlaune, dann wäre das ein Zeichen, das selbst Trolle verstünden. Schweigende Mengen, vereint in stummer Anklage.

Der ehemalige Hofmeister erhob sich. Ein flüchtiger Blick genügte ihm, um zu offenbaren, wie schlecht das Fest organisiert war. Überall lag Unrat auf den Straßen.

Er stieg die lange Treppenflucht hinab zur Straße. Es war ihm unangenehm, sich unter die Feiernden zu misehen. Er hatte kein Gefolge. Diesen Weg würde er allein gehen. Jeder, der mit ihm käme, wäre in Gefahr. Er schob den Dolch in die Scheide an seinem Gürtel. Es war eine reich verzierte Waffe. Sie war mehr zur Repräsentation von Macht und Wohlstand gedacht. Sie passte zu seinen fürstlichen Gewändern. Niemand würde sich daran stö-

ren. Ein Schwert hätte er nicht an Bord der Prunkbarkasse nehmen können. Aber den Dolch, den würden die Trolle nicht ernst nehmen.

Er wich einer Gruppe betrunkener Minotauren aus, die mitten auf der Straße einen Ringkampf veranstalteten. Scharen johlender Kobolde standen um sie herum und wetteten. Sogar ein paar Kentauren waren in der Stadt. Es hatte Alvias überrascht, sie hier zu sehen. Waren sie doch die Einzigen, die ernsthaft Widerstand gegen König Gilmarak leisteten. Aber zum Fest der Lichter ruhten traditionell überall in Albenmark die Waffen. Selbst die Trolle hatten sich bisher daran gehalten. Bei der letzten Königswahl hatten sie die halbe Stadt niedergebrannt. Nun waren sie die Herrscher und sorgten für Recht und Ordnung. Es war ein zynischer Witz. Eine Laune der Geschichte.

Und er würde dafür sorgen, dass sich diese Laune nicht wiederholte.

Alvias stellte sich vor, wie er neben Gilmarak trat. Er würde den König im Glauben lassen, dass er ihm zur Wiederwahl gratulierte. Er würde den ganzen Abend über ausgesucht höflich sein. Und dann würde er ihm den Dolch unter den Rippenbogen rammen, die Klinge schräg nach oben gerichtet, so dass sie das Herz treffen musste.

Und er würde mit Emerelles Namen auf den Lippen sterben.

Nein, das war zu melodramatisch. Das war nicht sein Stil. Er würde mit einem kühlen Lächeln sterben. Gedankenverloren strich er über den langen, mit einer Silberborte geschmückten, schwarzen Seidenmantel. Die Borte war nicht zu üppig. Darunter trug er eine dunkelrote Tunika, ebenfalls mit Silberborte gesäumt. Zwei Tage lang hatte er sich Gedanken über seine Garderobe gemacht. Es bedeutete ihm viel, gut gekleidet zu sterben. Auch damit würde er in diesen Zeiten der Barbarei ein Zeichen setzen.

Er wechselte die Straßenseite, um einer Horde grölender Kobolde auszuweichen, die einen Springbrunnen besetzt hatten und jeden, der vorüberkam, unter schallendem Gelächter mit Wasser bespritzten. Zwei hatten sich Gesichter auf ihre nackten Hintern gemalt und streckten sie der Straße entgegen.

Angewidert wandte er sich ab. Ein torkelndes Weib stolperte fast über eine Feuerschale, über der zwei Faune am Straßenrand unappetitliche Fleischklumpen brieten. Es war eine Elfe! Ungeheuerlich, wie wenig Selbstachtung manche Angehörige seines Volkes hatten! Sich hier an einem solchen Tag zu betrinken!

Die Faune warfen ihr fluchend Holzkohlestücke nach, doch die Elfe torkelte so sehr, dass sämtliche Geschosse sie verfehlten. Sie trug ein mit Schlangenmustern geprägtes Lederwams. Ihre Haare waren ungeordnet. Arme und Beine hatte sie sich mit Bandag bemalt. Jetzt kam sie in seine Richtung.

»Hallo, mein Schöner! Du siehst aus, als hättest du einen Besen verschluckt.«

Alvias bedachte sie mit einem finstren Blick. »Ich lege keinen Wert auf Umgang mit Kreaturen wie dir.«

Sie lachte ihn aus. Ungehobelte Person! Alvias wandte sich ab, da packte sie ihn bei der Schulter und versuchte ihn zu küssen. Sie stank nach billigem Branntwein und Heringen. Ekelhaft. Er wich vor ihr zurück und versuchte sie gleichzeitig von sich fortzustoßen.

Sie krallte eine Hand in seinen Gürtel. »Einen Kuss!«, lallte sie und ließ seinen Gürtel los.

»Ja, küss die Kleiderpuppe, und dann kotz ihm auf den Mantel«, brüllte einer der Kobolde vom Brunnen auf der anderen Straßenseite.

»Wenn du nicht augenblicklich von mir ablässt, sehe ich mich gezwungen, mich gewaltsam von dir zu befreien, du ... du Trunkenboldin!« Es war das erste Mal, dass es ihm leidtat, dass er über kein angemessenes Repertoire an Schimpfworten verfügte.

Sie ließ von ihm ab. »Uh, was für ein wilder Stier!« Die Elfe drehte sich zu den Faunen um. »Er wollte mir in den Schritt fassen, der Lüstling, habt ihr das gesehen?«

»Zugabe«, rief der Spaßvogel unter den Kobolden beim Springbrunnen, und auch die beiden Faune grinsten dümmlich.

»Diese Person lügt!«, empörte sich Alvias. »Niemals käme es mir in den Sinn, eine wie sie auch nur zu berühren! Sie ...« Die Betrunkene torkelte weiter die Straße hinab und beachtete ihn gar nicht mehr. Er seufzte erleichtert. Dann packte ihn der Schreck. Er griff nach seinem Dolch. Hatte sie ihn etwa bestehlen wollen?

Nein, die Waffe war noch dort. Er sah an sich hinab. Sie hatte ihn nicht besudelt. Etwas steckte in seinem Gürtel. Ein Blatt von irgendeinem Baum. Mit spitzen Fingern zupfte er es hervor. Etwas war mit bräunlicher Farbe darauf gekritzelt. Eine sehr undeutliche Handschrift!

Halte dich von Gilmarak fern, wenn dir dein Leben lieb ist, Alvias!

Er drehte sich um, um sie zur Rede zu stellen, doch die Elfe war spurlos verschwunden. Hielten sie ihn etwa für einen Verräter, weil er als einziger Elf an der Königswahl teilnahm? Wollten sie den Troll beschützen? Er würde sich nicht einschüchtern lassen, entschied er. Er hatte ohnehin mit seinem Leben abgeschlossen.

Er zerknüllte das Blatt und warf es in die Gosse.

Der Hinterhalt

»Du?« Elija sah ihn überrascht an. Der Lutin war alt geworden. Seine Schnauze war grau. Eine kleine Brille mit Stahlrand ließ seinen Blick noch härter erscheinen. Er trug denselben abgewetzten Ledermantel wie immer, dazu eine alte Hose und ein paar ungeputzter Stiefel. Auf seinem Hemd prangte dicht unter dem Kragen ein Soßenfleck.

Anders als die meisten Kobolde, die zu Gold und Ansehen gelangten, hatte er noch nie besonderen Wert auf prächtige Gewänder gelegt.

Elija maß ihn mit abschätzendem Blick. »Du wirst wohl als der am spärlichsten bekleidete König in die Geschichte Albenmarks eingehen. Ich muss gestehen, dein Aufzug überrascht mich ein wenig, Anderan.«

»So kleiden sich die Holden, seit Vahan Calyd besteht. Ich werde nicht am bedeutendsten Tag meines Lebens meine Herkunft verleugnen.«

Elija setzte noch eine Unterschrift unter ein Dokument. Dann legte er die Feder zur Seite und trat um seinen Schreibtisch. Wieder musterte er ihn. »Nur ein Lendenschurz ist wahrlich knapp ...« Er zuckte mit den Schultern. »Es ist deine Entscheidung.« Er blickte hinaus zum Fenster. Die Sonne stand tief über dem Meer. »Es ist wohl an der Zeit, zu gehen.«

Traditionell wurde die Königswahl durchgeführt, wenn der letzte Silberstreif über dem Meer verblasste. Sobald entschieden war, wer die Krone tragen würde, tauchten die Zauberweber aller Völker den Nachthimmel in ein Meer schillernder Farben.

»Unsere Spitzel haben Maurawan unter den Feiernden entdeckt«, sagte Anderan ruhig. »Ich bin hier, weil ich mir Sorgen mache.«

»Ich habe damit gerechnet, dass sie Meuchler schicken.«

Er blickte noch immer auf das Meer hinaus. »Vielleicht sind sie aber gar nicht unseretwegen hier. Die Maurawan sind ein stolzes Volk, dem jeglicher Sinn für Diplomatie abgeht. Möglicherweise halten sie Katander, Nestheus und Alvias für Überläufer und wollen Rache. Zutrauen würde ich ihnen so etwas.«