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Ein Schatten erschien zwischen den Schleiern. Ein großer, kahlrasierter Krieger. Der Kerl schrie ihn an, aber seine Stimme schien an Adriens Ohren abzuprallen. Ein silberner Bogen schnitt durch die Luft.

Adrien taumelte zurück. Eine Streitaxt verfehlte ihn knapp. Der Krieger rammte ihn mit der Schulter. »Dir prügel ich die Scheiße aus dem Leib, du aufgeblasener Wicht mit deiner Zauberrüstung!«

Adrien wurde nach hinten gerissen. Etwas schrammte kreischend über seinen Helm.

Er hei hart und lag halb auf seinem Schild. Der Krieger stand breitbeinig über ihm.

Sein Gesicht war eine Grimasse der Mordlust. Er hob seine Axt mit beiden Händen.

Dann sauste sie nieder.

Adrien kniff die Augen zu. Der Schlag war unglaublich. Sein Kopf hämmerte auf den Boden. Lichtpunkte tanzten ihm vor den Augen. Dann ließ der Druck in seinem Kopf nach. Der Krieger starrte ihn ungläubig an. Niemand hätte einen solchen Hieb überleben dürfen. Kein Helm hielt einem solchen Schlag stand. Kein Helm, den Menschenhände gefertigt hatten.

»Mach die Rüstung nicht kaputt«, erklang eine schwache Stimme irgendwo im Zimmer.

Adrien konnte das Schwert in seiner Hand wieder spüren. Er stieß die Klinge gerade nach oben, dem Krieger geradewegs ins Gemächt und weiter hinauf in die Därme. Sie glitt in den Körper, ohne dass er Widerstand gespürt hätte.

Der Krieger schrie. Er packte ihn beim Arm. Der Kerl war unglaublich stark; obwohl ein Strom von Blut aus ihm quoll, schaffte er es, Adriens Arm zu Boden zu drücken, so dass die Klinge wieder freikam. Er presste sich beide Hände auf die Wunde und ging in die Knie. Dabei starrte er ihn an.

Adrien rappelte sich auf. Er schaffte es, den Schild unter sich hervorzuziehen.

Schwankend kam er auf die Beine. Das Blut perlte vom weißen Leder seiner Rüstung, ohne Spuren zu hinterlassen. Es war unheimlich.

Zwischen den wogenden Vorhängen entdeckte er ein Lager. Eine schmale, ausgezehrte Gestalt lag dort. Der nackte Körper war von Krankheit gezeichnet. Der Kopf wenig mehr als ein Totenschädel. »Tu mir nichts«, wisperte die heisere Stimme. »Bitte. Ich bin der König.

Tu mir nichts. Ich werde dich reich machen.«

Adrien fühlte sich benommen. »Im Namen Tjureds erkläre ich deine Herrschaft für beendet, König Cabezan.« Er hob sein blutiges Schwert und senkte die Spitze auf die Brust des Königs. »Ich bin ein Ritter. Ich töte keine Wehrlosen.«

Er wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Unschlüssig blickte er dorthin, wo irgendwo hinter den wogenden Schleiern die Tür sein musste. Konnte er Cabezan durch dessen eigene Leibwachen in den Kerker bringen lassen? Würden sie sich fürchten? Würden sie ihn wieder freilassen, sobald er fort war? Er konnte den Alten nicht einfach so töten. Er konnte ihn nicht...

Ein scharfer Schmerz durchfuhr ihn. Etwas musste durch seine Rüstung gedrungen sein. Dicht über seiner rechten Hüfte. Das war doch unmöglich.

Seine Beine gehorchten ihm nicht mehr. Sie knickten ein. Der schwere Schild rutschte von seinem Arm. Er drehte sich halb um. Der Griff eines Dolches ragte aus seiner Hüfte. Ein dünner Blutfaden sickerte über den Lederpanzer. Das war doch unmöglich.

Keine Waffe konnte die Rüstung durchdringen.

Er atmete flach, und doch durchfuhr ihn bei jedem Atemzug neuer Schmerz. Er kippte vornüber und schlug mit dem Kopf auf den Boden. Die Finger seiner Rechten zuckten.

Er presste sie flach auf den Boden und versuchte sich wieder hochzustemmen. Aber seine Kraft reichte dazu nicht mehr.

Er dachte an Elodia. So durfte es nicht enden. Er hatte ihr versprochen, zu ihr zurückzukehren. Er schloss die Augen. Es galt, seine Kräfte zu sammeln. Er würde in ihren Armen sterben, nicht hier.

Stiefel erschienen vor ihm. Er versuchte den Kopf zu he ben, schaffte es aber nicht. Jemand nahm ihm das Schwert aus den schlaffen Fingern.

»Sehr gut, Hauptmann. Gebt ihm den Rest. Aber beschädigt die Rüstung dabei nicht.

Stecht ihm unter der Achsel hindurch ins Herz. Hauptmann ... Was ...« Ein gellender Schrei. Adrien hörte wuchtige Schwerthiebe. Immer neue Hiebe. Dann endlich herrschte Stille.

Die Stiefel standen wieder vor ihm. »Ich bringe Euch hier fort.« Der Hauptmann schob ihm sein blutiges Schwert in die Scheide. »Ihr müsst verzeihen, aber ich werde sagen, dass Ihr es wart, der Cabezan tötete. Ihr seid ein Held, der einen Tyrannen ermordet hat. Ich hingegen wäre womöglich nur ein Hauptmann, der sich gegen seinen Herrn gewandt hat, und würde dafür aufgeknüpft.«

Adrien hatte keine Kraft zu widersprechen. »Der Dolch ...«

»Ich kann ihn nicht aus der Wunde ziehen. Ihr würdet dann sehr schnell verbluten. Ich will Euch nichts vormachen. Auch wenn ich ihn nicht bewege, werdet Ihr verbluten.

Nur langsamer ... «

»Pferd ... «

»Ihr wollt zu Eurem Pferd? Ich glaube nicht, dass Ihr ... «

»Bitte.«

Raoul hob ihn vorsichtig auf seine Arme. »Ich hätte Euch nicht allein hier hineinlassen dürfen. Ihr seid krank, nicht wahr?«

Adrien hatte nicht mehr die Kraft zu sprechen. Er hätte gern seinen Helm abgenommen. Er wollte die kühle Nachtluft auf seinem Antlitz spüren. Und er wollte nicht hinter dieser starren Maske seinen letzten Atemzug tun.

Der Hauptmann bedrängte ihn nicht mehr. Er erfüllte ihm seinen letzten Wunsch und hob ihn in den Sattel. Behutsam schob Raoul seine Füße in die Steigbügel. Wachen und Höflinge standen um sein Pferd. Ihre Gesichter waren wie versteinert. Manche weinten.

»Lasst ihn durch!«, sagte der Hauptmann mit fester Stimme. »Lasst ihn.«

Adrien schaffte es, den Kopf ein wenig zu heben. Hoch im Weinberg leuchtete ein Fenster in goldenem Kerzenlicht. Die kleine Hütte. Er musste es bis dort schaffen. Er hatte es Elodia versprochen!

Emerelle

Emerelle blickte auf die Palasttürme Vahan Calyds. Nebel stieg aus den Reisfeldern vor der Stadt. Das letzte Abendlicht tauchte sie in Rosa und Gold. Hinter den Schleiern aus wogendem Licht sah die Stadt verwunschen aus. Sie verbargen die Narben des Angriffs vor achtundzwanzig Jahren. Seit achtundzwanzig Jahren herrschte Krieg. Sie musste dem ein Ende setzen in dieser Nacht! Doch sie wusste nicht wie ... Sie wünschte sich, der Traum, den der Sänger ihr gesandt hatte, wäre deutlicher gewesen.

Sie strich über den Hals der Stute, die ihr die Maurawan gegeben hatten. Etliche von ihnen waren jetzt irgendwo in der Stadt und kämpften vielleicht ihre letzte Schlacht.

Sie hatte es nicht glauben wollen, als man ihr erzählt hatte, dass Ollowain König werden wollte. Sie hatte ihn unterschätzt. Falrach war immer für eine Überraschung gut gewesen.

Ihre Stute tänzelte unruhig. Das Rumoren der Stadt drang über die weiten Reisfelder.

Jetzt sammelten sich die Fürsten, die den König wählen sollten. Sie schloss die Augen und hauchte ein Wort der Macht. Ein Wort, das der Nebel in die Wälder trug.

Sie hatte ein langes weißes Seidenkleid mit hochgeschlossenem Kragen und engen Ärmeln angelegt. Es war ganz ohne Schmuck und Stickerei.

Sie spürte, wie ihr Ruf gehört wurde. Spürte das Erwachen. Bald war leiser Flügelschlag zu hören. Fast lautlos. Ein Schmetterling landete auf ihrer Hand. Seine zarten Schwingen erstrahlten in allen Regenbogenfarben. Hunderte kamen aus dem Dschungel. Manche so klein wie ein Fingernagel. Andere groß wie zwei aneinandergelegte Hände. In unstetem Flug gaukelten sie durch den Nebel.

Glühwürmchen kamen mit ihnen und spendeten ihr grüngelbes Licht. Überall auf ihrem Kleid ließen sie sich nieder. Aneinandergekauert wurden sie zu einer lebenden Schleppe. Blütenduft haftete ihnen an. Der Duft des Frühlings. Des Erwachens. Sie sollten ihre Ehrengarde sein. Ihr festliches Geleit.

Das tausendfache Flügelsirren machte ihre Stute unruhig. Sie ließ sie in Schritt verfallen. Nebel griff wie Geisterfinger nach ihr. Sie wob ihn in ihren Zauber. Gab ihm das magische Leuchten der Glühwürmchen.

Die Stute ging in leichten Trab über. Die schmalen Wege zwischen den Reisfeldern waren verwaist. Alles, was Beine hatte, war in der Stadt.