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Das Wasser hob Anderan empor. Er kämpfte nicht dagegen an. Er ließ sich treiben.

Elija streifte seinen Ledermantel ab und die Stiefel. Er begann zu schwimmen.

Das Wasser war eisig. Anderan spürte, wie es seinem Körper langsam die Wärme des Lebens entzog. Immer schneller füllte sich der Saal. Die Barinsteine der Kuppel waren schon fast zum Greifen nahe.

»Du hast Albenmark der Willkür der Trolle ausgeliefert!«, schrie Elija.

Der Herr der Wasser dachte an den langen Brief, den er den Maurawan zugespielt hatte. Den Brief, in dem alles beschrieben war. Wer zur Königswahl berufen war, wo die Geschütze am Hafen verborgen standen, welche Intrigen Elija gesponnen hatte.

Selbst wenn die Maurawan nicht nach der Macht griffen, standen jetzt die Stimmen von Katander, Nestheus und Alvias gegen nur zwei Trolle. Nein, die Herrschaft der Trolle war vorüber. Er hatte alles bedacht. Er konnte jetzt in Frieden gehen.

Der strahlend helle Barinstein, der in der Mitte der Kuppel in die Decke eingelassen war, befand sich nun direkt über ihm. Als er ein Kind gewesen war, hatte er davon geträumt, den unerreichbaren Stein eines Tages zu berühren. Er hatte ihm sogar einen Namen gegeben. Regenbo-genstein. Sein Licht war das stärkste. In seiner Vorstellung war es vor allem dieser Barinstein gewesen, der die Regenbögen zwischen die Wasserkaskaden zauberte. Er hatte sich ausgemalt, dass dem, der es schaffte, diesen unerreichbaren Stein zu berühren, alle Wünsche in Erfüllung gingen. Anderan streckte die Hand nach dem Stein aus. Er fühlte sich warm an. Angenehm.

Das Wasser stand nur noch wenige Handbreit unter dem Zenit der Kuppel. Elija kämpfte noch immer darum, den Kopf über Wasser zu halten. Er würde niemals aufgeben. Das war nicht seine Art.

Anderan stieß sich mit beiden Armen vom großen Barinstein ab. Dann atmete er aus.

Er sah den Silberkugeln nach, die dem Licht entgegenstrebten. Er nahm all seinen Mut zusammen. Er war der Herr der Wasser. Er würde nicht kämpfen. Er würde sich ihm öffnen. Er atmete ein. Eisiges Wasser füllte seine Lungen.

Mit ausgebreiteten Armen ließ er sich sinken. Vorbei an goldenen Vogelköpfen. Dem Dunkel entgegen. Tiefer Frieden überkam ihn.

Ein penibler Buchhalter

Silwyna lugte vorsichtig über den Mauerrand hinweg. Es war geschafft. Die Geschütze auf der anderen Seite waren endlich zum Schweigen gebracht. Sie betrachtete die Überlebenden ihrer kleinen Schar. Niemand war unverwundet.

»Haltet euch weiterhin von den Fenstern fern«, sagte sie ruhig. »Es sind noch etliche Armbrustschützen auf den Dächern.« Aber ihre Waffen würden nicht bis zur Prunkbarkasse reichen. Die Schlacht war entschieden. Jetzt lag es nur noch an Falrach. Ihr Fürst war sich ganz sicher gewesen, dass er die Wahl gewinnen würde. Warum, das hatte er auch ihr nicht verraten. Er war ein seltsamer Mann. Unergründlich.

»Silwyna!« Fenryl hatte sich schon eine Weile an den Kisten zu schaffen gemacht. Jetzt winkte er ihr mit einem Blatt Papier. »Das musst du sehen! Es ist noch nicht vorbei. Es ist…«

Ärgerlich ging sie zu ihm hinüber. »Was hast du da?«

»Eine Frachtliste. Sie lag in einer der Kisten. Die Geschütze stammen von den Hafenbefestigungen in Meliamer. Ein Kobold hat sie angefertigt. Er war sehr verärgert, dass man ihm seine Geschütze wegnahm. Jetzt sieh dir einmal an, was dort steht.«

Silwyna stand nicht der Sinn nach irgendwelchen Listen von Buchhaltern. Sie wollte sehen, was an Bord der Prunkbarkasse geschah. Vielleicht sol te sie die Geschütze hier oben wieder gefechtsbereit machen lassen. Sie sah zu den ordentlich geschichteten Haufen aus Steinkugeln. Wer immer den Transport hierher organisiert hatte, er hatte dafür gesorgt, dass reichlich Munition vorhanden war.

»Silwyna!«

Sie sah sich das Papier an. Fenryl deutete auf die letzte Zeile.

».. bestätige ich hiermit die Leihgabe von dreizehn Torsionsgeschützen an den Hafen von Vahan Calyd.«

»Dreizehn! Es muss noch irgendwo eins geben. Eins, von dem wir nichts wissen! Eins, das den Ausgang der Königswahl mit einem einzigen Hebelruck verändern kann.

Falrach ist in höchster Gefahr!«

Silwyna trat ans nächste Fenster. Ohne auf ihre Deckung zu achten, blickte sie auf das weite Hafenrund. Sechs Palasttürme lagen in einer Entfernung zur Prunkbarkasse, die einen zielsicheren Schuss erlaubte. Es gab Hunderte von Fenstern, hintern denen sich das Geschütz verbergen konnte. Ganz zu schweigen von den Terrassen und Baikonen. Dutzende Häuser waren hoch genug, dass man das Geschütz auf ihr Dach hätte stellen können. Allein auf den ersten Blick sah sie sieben Schiffe, die die Prunkbarkasse überragten und ein freies Schussfeld auf ihr Deck hatten.

Ein Armbrustbolzen verfehlte sie um Armeslänge und schlug in die Rückwand des Saals ein. Sie duckte sich und betrachtete weiter den Hafen.

»Was sollen wir tun?«, drängte Fenryl.

»Ruhe bewahren und gut nachdenken.« Wo würde sie das Geschütz aufstellen, wenn sie ganz sicher sein wollte, dass es nicht entdeckt wurde?

Königswahl

Skanga hörte den Tumult und trat an die Reling. Die wogenden Auren von Hunderten Schaulustigen im Hafen vereinigten sich einem vielfarbigen Leuchten ohne Konturen.

Sie musste den Blick abwenden.

»Da unten steht Ollowain«, flüsterte Birga ihr ins Ohr.

»Das kann nicht sein«, fuhr sie ihre Schülerin an. »Das ist ... « Sie musste sich selbst überzeugen. »Er soll hochkommen!«

Birga rief den Wachposten etwas zu. Augenblicke später war der Elf an Bord. »Alvias und die beiden Kentauren starren ihn an.«

Skanga blickte zu den drei Fürsten. In ihren Auren spiegelte sich Überraschung. Die Ankunft des Elfen war also zumindest nicht Teil eines Komplotts, in das die drei mit verwickelt wären.

»Ollowain«, sagte sie forschend. Etwas an der Aura des Elfen war seltsam. Sie war durch ein leichtes Flackern gestört. Als sei da noch ein zweites Licht, das durch die kraftvolle Ausstrahlung des Elfen überlagert wurde.

»Was willst du hier?«

»Der Königswahl beiwohnen.«

Nicht die kleinste Spur vom Blau der Furcht zeigte sich in dem Licht, das ihn umgab.

»Er ist unbewaffnet, wie es scheint«, flüsterte Birga ihr zu.

Manchmal war ihre Schülerin in der Tat nützlich!

Skanga hatte davon gehört, dass die Maurawan ihn zu ihrem Fürsten gemacht hatten.

Zunächst war sie darüber verwundert gewesen. Aber jetzt lag klar auf der Hand, was er vorhatte. »Du machst dir Hoffnungen, König von Albenmark zu werden?«

»Zunächst einmal bin ich nur Gast bei der Königswahl«, entgegnete er höflich.

Die Schamanin blickte zu der Festtafel. Alle waren zugegen. Nur die beiden verdammten Kobolde fehlten noch! Wo steckten sie nur? In der Ferne erklangen Rufe.

Ein Name. Er war nur undeutlich zu hören.

»Siehst du die Kobolde?«

Birga streckte sich. Sie ließ sich Zeit mit der Antwort. »Nein, Herrin«, sagte sie schließlich.

Die Schamanin massierte mit Daumen und Zeigefinger ihre blinden Augen. Was ging da vor sich? Waren die beiden abgefangen worden, um der Wahl einen anderen Verlauf zu geben? Sie hatte so etwas befürchtet. Sie hätte niemals zustimmen dürfen, dass Feinde Gilmaraks zu den Fürsten gehörten, die über die Wiederwahl des Königs entschieden.