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Emerelle trat an seine Seite. Sie nahm sanft seine Hand. »Das sind Kobolde. Sie jagen die Echsen in den Bergen. Sonst gibt es hier nicht sehr viel Wild.«

Hatte sie seine Gedanken von seinem Gesicht abgelesen? »Große Echsen ...« Er sagte das langsam und gedehnt. Man könnte Drachen auch große Echsen nennen!

»Sollen wir einen anderen Ort suchen?«

Falrach straffte sich. Wunderbar, jetzt hielt sie ihn auch noch für einen Feigling! »Wie kommst du darauf, dass ich vor ein paar Echsen Angst hätte?« Seine Stimme hätte leicht und unbeschwert klingen sollen. Das war ihm gründlich missglückt.

»Du bist mein Ritter, Falrach. Ich glaube, deiner Seele ist es bestimmt, mich zu retten.

Du hast das mehr als einmal bewiesen. Es ist dein Schicksal. Dein Mut steht außer Frage. Ebenso wie deine Liebe!« Sie drückte seine Hand ein wenig fester.

Jetzt hätte sie ihn küssen sollen. Oder er sie ... Aber er konnte es nicht, nicht mehr. Sie waren kein Liebespaar mehr. Doch vielleicht konnten sie es wieder werden. Sie wollte von vorne beginnen. Sein Blick schweifte über die Einöde. Nichts würde sie hier stören.

Er kniete vor ihr nieder. »Lass mich dein Ritter sein, so wie Ollowain es war.«

»Ollowain ist tot«, sagte sie ernst. »Du bist Falrach, mein Feldherr in hoffnungslosem Kampf, und der Ritter, der sein Leben aus Liebe für mich gab. Lass uns beide diese Liebe wiederfinden und alles Vergangene vergessen.« Sie beugte sich vor und küsste ihn scheu auf die Stirn. So wie ein junges Mädchen, dem zum ersten Mal die Liebe begegnete.

Er schloss die Augen. Die drückende Hitze und das karge Land waren vergessen.

Viel zu schnell war der Augenblick verflogen. Emerelle kniete sich nieder. Doch sie beachtete ihn gar nicht mehr. Sie schob zwei Schalen mit Maiskolben zur Seite. Dazwischen lag, halb im Geröll vergraben, etwas Weißes. Ein Knochen, dachte Falrach, bis sie es hervorzog. Sie hielt einen dolchlangen, leicht nach innen gekrümmten Reißzahn in der Hand. Einen Drachenzahn!

»Die Kobolde spüren die Magie dieses Ortes«, sagte Emerelle. »Der Zahn hat nichts zu bedeuten! Er ist schon sehr alt.«

Sie sprach zu hastig. Wieder betrachtete er die Bilder der Echsen. Wem waren die Opfergaben dargebracht worden? Sie schienen noch nicht sehr lange hier zu liegen.

Ein Klirren im Wind

Der Schreck dauerte nur einen Augenblick. Der mächtige Fuß mit den weißen Krallen gehörte zu einer Statue. Ein Löwe, vermutete Adrien. Nicht, dass er so ein Vieh schon mal gesehen hätte. Aber er kannte Löwenstatuen. Wenn auch nicht solche. Er legte den Kopf in den Nacken. Moos wucherte in der Mähne. Schmutzschlieren liefen über den weißen Stein, aus dem der Löwe geschlagen war. Das Maul der Bestie war weit aufgerissen. Ein Vogel hatte darin sein Nest gebaut. Die meisten Reißzähne der marmornen Bestie waren abgebrochen. Auch der Rücken des Löwen war beschädigt.

Es sah aus, als hätte man dort etwas abgeschlagen und die steinernen Wundmale nur grob geglättet.

Adrien bückte sich nach der Saufeder. Was für eine Verschwendung, so eine prächtige Statue mitten in den Wald zu stellen. Sie würde sich gut auf dem Heumarkt von Nantour machen. Bestimmt würden viele Reisende kommen, um sich den größten Löwen Fargons anzuschauen.

Er tippte mit dem Speerschaft gegen den Krallenfuß. »Mach’s gut, Alter. Ich werde dich nicht länger bei deiner Wacht stören.«

Hinter dem Löwen war der Waldboden erstaunlich eben, wenn man einmal von den Wurzeln absah. Adrien hielt inne. Etwas stimmte nicht mit den Wurzeln! Weiter unten waren sie kreuz und quer durcheinandergelaufen. Hier aber wirkten sie geordnet.

Auch hatten sie eine andere Farbe. Sie waren heller. Silbergrau, mit Moosflecken gesprenkelt. Sie alle schienen einem Ort vor ihm im Nebel zuzustreben.

Er fasste seine Saufeder fester. Da war wieder das Klirren. Ganz nah. Das Geräusch kam ihm vertraut vor. Er hatte es auch in der Stadt schon gehört. Was war dort?

Ein leichter Luftzug ließ den Nebel in Spiralen über die Wurzeln tanzen. Schließlich siegte seine Neugier. Und dann fiel es ihm ein. So klirrten Ketten. Die Ketten der Wirtshausschilder in der Stadt. Oder die Kette am Henkersgerüst auf dem Fischmarkt, an die man den großen eisernen Käfig mit den grässlichen Dornen an den Boden-stangen hängte. Dornen, die es unmöglich machten, sich zu setzen oder auch nur einen Fuß auf die Stangen zu stellen. Wer in den Käfig kam, der versuchte sich an dem Gestänge über seinem Kopf festzuhalten oder auch an den Seitenstangen. Manche Verurteilte hielten das ziemlich lange durch.

Wer hatte wohl Ketten in den Wald gebracht? Vielleicht gehörten sie zu einem Flaschenzug, den die Krieger Cabezans aufgestellt hatten? Vielleicht gab es da vorne im Nebel noch einen steinernen Löwen? Einen, dem die Zähne nicht abgebrochen waren und den der König für seinen Palast hatte haben wollen.

Adrien bemerkte, dass viele kleine Höhlen unter die dicke Wurzel gegraben waren.

Mäuse! Dass es an einem so eigentümlichen Ort so viele Mäuse wie in einem Kornspei-cher gab, erleichterte ihn. Mäuse waren vorsichtig. Wenn hier eine Gefahr lauerte, dann gäbe es keine Mausehöhlen!

Wind streichelte sein Gesicht. Jetzt ertönte das Klirren über ihm. Er legte den Kopf in den Nacken. Es war schwer, in dem Dunst Entfernungen zu schätzen. Am Boden konnte er etwa acht bis zehn Schritt weit sehen. War der Nebel über ihm dichter? Sein Blick verlor sich im Dunst.

Jetzt hörte er es wieder. Ein leises Klirren.

Adrien fühlte sich betrogen. Was, zum Henker, war da oben? Ein Stück voraus bemerkte er eine Verfärbung auf einem Wurzelknoten. Ein ausgefranster, orangebrauner Fleck verunzierte das matte Silber der Wurzelhaut. Rost! Wieder blickte der Junge nach oben. Ob da irgendwo über ihm Äste waren? Warum hängte man so hoch eine Kette auf? Ein Flaschenzug war das wohl nicht. Er sah sich suchend um.

Nein, hier gab es nichts, was man hätte anheben können. Nur Waldboden und Wurzeln.

Ein leichter Windstoß ließ geisterhafte Nebelarme um ihn tanzen. Über ihm erklang vielstimmiges Klirren, als versuchten fremde Stimmen im weißen Nichts ihm etwas Drängendes mitzuteilen. Ein dumpfer Laut ließ Adrien erschrocken herumfahren.

Keine drei Schritt hinter ihm war etwas auf den Waldboden gefallen. Ein unförmiger, braungrüner Klumpen.

Seine Beine wollten losstürmen, blindlings in den Nebel laufen, aber Schrecken und Neugier hielten ihn in Bann. Vorsichtig näherte er sich dem Klumpen. Es war ein verzo gener Stiefel, mit Moos und hellgrünen Flechten bedeckt. Wie konnte ein Stiefel aus dem Himmel fallen?

Er hob den Stiefel an und ließ ihn fast sofort wieder fal en. Im Schaft steckten altersgelbe Knochen!

Adrien wich entsetzt zurück. Wo war er hier? War all das Elfenzauber? Hatte er sich im Nebel in ihre Welt verirrt? Er kannte viele Geschichten über Elfen und hatte sie in der Sicherheit der Stadtmauern stets als albernes Altweibergeschwätz abgetan. Aber hier draußen, ganz allein in der Wildnis, erschienen sie ihm in einem neuen Licht.

Hatte es nicht auch eine Geschichte gegeben, wie sie einen Heiligen an einen Baum banden, marterten und zuletzt verbrannten?

Der Wind frischte weiter auf und zerriss die Nebelschleier. Vor ihm erhob sich ein gewaltiger Baum. Der Stamm war mächtig wie ein Turm. Alle Wurzeln liefen auf diesen Baum hin. Er beherrschte die Lichtung. Kein anderes Grün gedieh in seinem Schatten.

Die Zeit hatte dem Baum sichtlich zu schaffen gemacht. Seine silbrig graue Rinde war vernarbt. Wo Äste abgebrochen waren und sich Fäulnis ins Holz gefressen hatte, klafften tiefe Höhlen, umschlossen von wulstigen Rindenlippen. Knochen schimmerten blass in den Baumhöhlen. Mit hölzernen Pflöcken waren Skelette an den Stamm genagelt. Adrien schätzte, dass es wohl mehr als ein Dutzend Opfer gewesen sein mussten, die man dem Baum dargebracht hatte. Und das einzig Beruhigende an diesem Anblick war, dass ganz offensichtlich alle schon sehr lange tot waren.