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»Hier sind unsere beiden Mörder geflohen«, sagte Nikodemus überzeugt.

Der Troll sah ihn an. Was er wohl dachte? Seine Miene blieb reglos. Trolle!

»Dein Schwanz sieht merkwürdig aus. Bist du krank?«

Es war zum Aus-dem-Fell-Fahren! »Was interessiert dich meine Rute! Ich sagte, die Elfen sind von hier geflohen!« Er stampfte mit dem Fuß in den Schnee, dort, wo sich die vier Albenpfade kreuzten, auch wenn für einen Troll ohne jegliches Gespür für Magie dort nichts zu sehen war. »Hier ist es!«

»Warum?«

»Weil es unlogisch ist, Madra!«

Der Troll legte die Stirn in Falten. Dabei bleckte er die Zähne, was ein überaus beunruhigender Anblick war. »Was?«

»Es ist dumm, Madra. Unlogisch heißt so viel wie dumm.«

»Du glaubst, Elfen sind dumm.« Die Stimme des Trolls klang, als rieben große Felsbrocken aneinander.

»Nein, sie sind sehr schlau. Sieh doch, sie werden damit rechnen, dass wir vermuten, sie würden diesen Weg nehmen. Also hätten sie dann doch einen der großen Albensterne nehmen müssen. Und weil sie überzeugt sind, dass wir zu eben diesem Schluss kommen, nehmen sie doch diesen hier.«

Madra sagte nichts, aber an seinem Blick war deutlich abzulesen, was er dachte. »Du kannst ja zu Skanga zurücklaufen, wenn du mir nicht vertraust. Ich weiß, wie Elfen denken. Ich habe sie jahrelang studiert. Ich kenne sie!«

Nikodemus kniete sich in den Schnee. Es tat gut, die Kälte zu spüren. Er hatte zu heißes Blut. Er musste sich beherrschen. Wenn er nach der Macht der Albenpfade griff, durfte ihm kein Fehler unterlaufen. Nicht jetzt! Er hielt den Atem an und ließ ihn dann ganz langsam entweichen. Dann öffnete er sich der Macht der Magie. Obwohl er die Augen geschlossen hatte, vermochte er die Pfade der Alben zu sehen. Tief in seinem Kopf.

Selbstbewusst und voller Stolz sprach er die Worte der Macht, die ihn einst Meister Gromjan gelehrt hatte. Auch wenn der Alte es nie gesagt hatte, so wusste Nikodemus doch, dass Gromjan sehr stolz auf ihn gewesen war. Er war sein bester Schüler gewesen. Nach Elija natürlich ...

Ein Bogen aus Licht erwuchs aus dem Schnee. Der Lutin richtete sich auf und klopfte seine Kleider ab. Madra sah ihn mürrisch an. Oder hatte der Troll vielleicht Angst?

Zumindest bleckte er nicht mehr die Zähne, und das war sehr beruhigend.

»Komm«, sagte Nikodemus und trat dicht vor die magische Pforte.

Der Troll rührte sich nicht.

»Sie sind hier entlang! Je länger wir warten, desto größer wird ihr Vorsprung. Ich würde Skanga nur ungern erzählen müssen, dass du gezögert hast. Aber du weißt ja, ihr verschweigt man nichts.«

Das hätte er besser nicht gesagt. Madra bleckte wieder die Zähne.

»Woran siehst du, dass sie hier waren?«

Wie sollte man das erklären? Es war ein Gefühl. Und seinen Gefühlen konnte er meistens vertrauen. Ein anderes Gefühl warnte ihn allerdings davor, das dem Troll so offen zu sagen. »Der Pfad sieht benutzt aus. Kannst du das nicht erkennen?«

Der Troll betrachtete den Weg aus warmem, goldenem Licht. »Da ist nichts.«

»Du siehst nichts, weil dir die Pfade der Magie nicht vertraut sind. Du hast ja wohl auch kein Tor gesehen, bevor ich es geöffnet habe.«

Wieder dieses erschreckende Stirnrunzeln, verbunden mit dem freien Blick auf viel zu viele, viel zu scharfe Reißzähne. »Wenn du mich betrügst, Kobold, reiße ich dir den rechten Arm aus und sorge dafür, dass du an der Wunde nicht stirbst.«

Madras ganze Art ließ keinen Zweifel aufkommen, dass dies nur leere Worte waren.

Natürlich konnte man nicht sehen, ob jemand den Pfad betreten hatte. Aber er spürte, dass dieses Tor hier vor kurzem geöffnet worden war. Und er würde auch spüren, wo sie den Albenpfad verlassen hatten ... Wenn er sich für den richtigen entschied. Immerhin kreuzten sich hier vier Wege. Das hieß, es gab acht Richtungen, in die die beiden Elfen gegangen sein konnten.

Nikodemus dachte an die Worte des Trolls. Warum hatte ihm Skanga einen schweigsamen Armausreißer mit auf den Weg gegeben? War das das Beste, was die Trollbrut hervorgebracht hatte? Verdammter Mistkerl. Vielleicht ging er ja auf den Albenpfaden verloren. Ein Schritt vom Weg genügte. Wer in das Nichts stürzte, war unrettbar verloren. Der Lutin wusste, was dort lauerte.

Zögerlich trat er auf den Albenpfad. Hinter sich hörte er Schnee knirschen. Der Troll folgte ihm also. Aber das beruhigte ihn nicht. Er musste seinen Verstand beieinander-halten. Ein kleiner Fehler, und er würde seinen Urenkeln begegnen, wenn er nach Burg Elfenlicht zurückkehrte. Verdammter Troll! Wie sollte er den richtigen Weg finden, wenn er immerzu daran dachte, wie es wohl sein würde, einen Arm ausgerissen zu bekommen!

Der falsche Weg

Stunde um Stunde führte die weite Treppe Adrien höher in die Berge. Seine Beine schmerzten. In seinen Waden schien ein Feuer zu brennen. Und dennoch hielt er nicht inne. Die Angst saß ihm im Nacken. Er wollte bei Einbruch der Nacht auf keinen Fall allein sein. Aber einen Steinernen Wald hatte er bislang nicht entdecken können. Und die Dämmerung war nicht mehr fern!

Eisiger Wind zerrte an seinen Kleidern. Der Nebel war längst verflogen. Und wenn er zurückblickte, konnte er manchmal den Fluss weiter unter sich sehen. Wie ein silbernes Band zog er sich durch die Berglandschaft. Jetzt erschien es Adrien dumm, dass er sich vor diesem Fluss einmal gefürchtet hatte.

Er wandte sich ab und erklomm die nächsten Treppenstufen. Längst hatte er seine Wurst gegessen und sein letztes Wasser getrunken. Aber nicht Hunger oder Durst quälten ihn. Zuallererst kam die Erschöpfung. Er hatte das Gefühl, keine zehn Treppenstufen mehr zu schaffen. Unterwegs hatte er sich einen Stecken gesucht, auf den er sich nun schwer stützte. Aber auch das half nicht mehr. Er ging so krumm wie ein alter Mann.

Manchmal, wenn er schnaufend innehielt, fragte er sich, ob es den Steinernen Wald überhaupt gab. Oder hatte er einen falschen Weg eingeschlagen? Seit er zwischen den Löwen hindurchgegangen war, hatte es keinen Abzweig gegeben. Aber vielleicht hatte er seine Reise ja am falschen Punkt begonnen. Achte auf die Löwen! Konnte das bedeutet haben, dass er dort auf keinen Fall hätte entlanggehen sollen?

Der Weg führte Adrien um einen Felsvorsprung; unvermittelt stand er vor einem Abgrund. Seit einer halben Stunde war die Treppe der Flanke eines Steilhangs gefolgt.

An einigen Stellen hatte Steinschlag den weißen Stufen zugesetzt. Felsbrocken, groß wie Heuschober, hatten auf den Stufen gelegen. Ein Abschnitt war ganz von einer Lawine verschüttet worden, aber er hatte es geschafft, über das Geröll hinwegzuklettern. Doch hier hatte eine Lawine die Stufen einfach mit sich in den Abgrund gerissen. Ein kleiner Bach stürzte sich in der klaffenden Lücke am Steilhang vorbei in den Abgrund. Gefrorenes Spritzwasser funkelte rötlich im Abendlicht.

Hinter dem Abbruch verschwand die Treppe in einer Höhle. Lag dort das Ziel?

Adrien schlang schlotternd die Arme um den Leib. Ein eisiger Wind pfiff hier oben. Es war viel zu spät, um noch an einen Abstieg zu denken. Der Schatten der Berge wanderte mit jedem Herzschlag ein sichtbares Stück dem Abbruch entgegen. Er musste jetzt handeln. Es gab kein Zurück mehr. Länger zu zögern, bedeutete nur, dass er im Dunkeln würde klettern müssen, und wenn er umkehrte, würde er erfrieren. Wenn er weiterwollte, dann müsste er seinen Spieß zurücklassen. Und was, wenn es auf der anderen Seite doch noch Löwen gab? Solche ohne Flügel ... Schweren Herzens lehnte er die Waffe an den Fels.

Der Fels war nicht völlig glatt. Kleine Vorsprünge, Risse und Spalten boten Halt. Aber an mindestens zwei Stellen waren die Abstände zwischen den Griffen so weit, dass niemand, der bei Verstand war, freiwillig diesen Weg gewählt hätte.

Vorsichtig stieg Adrien in die Wand. Als Dieb hatte er Erfahrung darin, Häuserwände zu erklimmen. Seine Hände waren voller Schwielen, die Finger stark und sehnig. Er konnte es schaffen. Er drückte sich fest an die Felswand. Wie eine Schnecke wollte er am Stein haften. Langsam jedes Hindernis überwinden. Ein Gaukler hatte ihm einmal gezeigt, wie eine Schnecke über die Schneide eines Schwertes kroch, ohne sich zu verletzen. Seitdem sah Adrien die Tiere mit anderen Augen.