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Von Unrast gepackt, erhob er sich und trat neben Emerelle. Jetzt sah er, was sie in Händen hielt. Ein Bündel kleiner Pfeile, das von einer Schnur aus Pflanzenfasern zusammengehalten wurde. Die Spitzen waren aus schwarzem Stein. Sie sahen klebrig aus. Staub haftete an ihnen.

»Hattah«, sagte Emerelle, als könne das alles erklären.

Falrach hob die Pfeile an die Nase. Ein leicht süßlicher Geruch haftete ihnen an. Ein Geruch, der ein pelziges Gefühl auf der Zunge hinterließ.

»Hattah ist ein Gift, das aus dem Fleisch von Kakteen gewonnen wird. Wenn man es richtig aufbereitet einatmet, glaubt man, die Geister seiner Vorfahren sprächen mit einem. Gelangt es in dein Blut, lähmt es deine Lungen, und du erstickst.«

»Dann sollten wir wohl nicht als deutlich sichtbare Ziele vor dem Feuer stehen.«

»Wir sind außer Gefahr, für den Augenblick. Sie laufen immer noch. Aber sie werden wiederkommen. Ein paar Meilen entfernt liegt ein kleines Dorf. Wir werden es morgen besuchen.«

»Können wir nicht einfach gehen?«

»Es ist nicht meine Art wegzulaufen. Ich will in Frieden leben. Vielleicht hier, vielleicht an einem anderen Ort. Das wird uns nur gelingen, wenn wir uns stellen. Ich möchte in Zukunft nicht ständig überlegen müssen, ob ein Kobold mit einem vergifteten Pfeil auf meinen Rücken zielt.«

»Warum sollten sie uns in ihr Dorf lassen?«

»Aus demselben Grund, aus dem sie noch nicht auf uns geschossen haben, obwohl sie uns schon seit Stunden beobachten. Sie haben Angst vor uns, aber sie sind auch neugierig. Sie halten uns für Riesen, die der Himmel geboren hat.«

»Riesen«, sagte er mürrisch.

Er hatte gedacht, sie habe in seinen Armen geschlafen. Er hatte sich gut gefühlt, weil er ihr Schutz gab. Genau das Gegenteil war der Fall gewesen. Sie hatte auf ihn auf-gepasst. Er war einmal ein Spieler gewesen, der fast nie verlor. Das war seine Gabe. Er konnte vorausahnen, was seine Gegenspieler unternehmen würden, wenn er nur genug über sie wusste. Und es war ganz gleich, ob er ihnen an einem Spieltisch oder als Feldherr auf einem Schlachtfeld begegnete. Er war stolz auf seine Fähigkeiten gewesen. Früher einmal war er berühmt gewesen, zu etwas nutze. Jetzt war er nur noch Ballast auf einer Reise ohne Ziel.

»Sie haben noch nie Elfen gesehen«, sagte Emerelle. »Sie sind sich noch uneins, ob sie uns töten und essen sollen oder um Hilfe bitten.«

»Wunderbar. Sollten wir nicht einfach gehen? Was haben wir in dieser Wildnis verloren? Gib mir ein paar Wochen am Spieltisch, und ich werde dir einen Palast schenken können.«

»Und du glaubst, so würden wir kein Aufsehen erregen«, sagte sie lächelnd. »Ich will Frieden. Und ich will, dass du an meiner Seite bist. Was habe ich gewonnen, wenn du die Tage an Spieltischen verbringst und ich allein in einem Palast sitze?

Glaube mir, das ist nicht das Leben, nach dem ich mich sehne. Ich war für Jahrhunderte die Gefangene meines Palastes. Abgesehen davon gibt es noch einen sehr viel schwerwiegenderen Grund, in ihr Dorf zu gehen. Wenn wir umkehren, dann sieht es für sie nach Flucht aus. Hier gelten andere Gesetze, Falrach. Wenn sie glauben, dass wir fortlaufen, dann sind wir keine himmelsgeborenen Riesen. Dann sind wir nur noch Beute.«

Die ausgestreckte Hand

Nur ein paar leere Schalen. Nikodemus konnte wittern, dass da einmal etwas zu essen drin gewesen war. Vor ein paar Tagen vielleicht. Er hatte mörderischen Hunger und schlechte Laune. Und Angst! Sie waren stundenlang auf den Albenpfaden herumgeirrt. Er hatte jegliche Spur verloren. Am Ende war er einfach einem Weg gefolgt. Einem von den acht möglichen. Und er hatte an einem niederen Albenstern ein Tor geöffnet, weil er gespürt hatte, dass dort vor nicht allzu langer Zeit jemand anderes das goldene Netz verlassen hatte. Wer ging schon durch niedere Albensterne?

Nicht viele waren so verrückt. Vielleicht hatte er seine beiden Elfen gefunden?

Vielleicht auch den Tod. Madra war immer wütender geworden, je länger sie suchten.

Allein seine Angst hatte den Troll davon abgehalten, ihm etwas anzutun. Madra wusste, dass er ohne Hilfe niemals den Albenpfaden entkommen wäre. Nun waren sie hier in einer verdammten Einöde vor einem bemalten Felsen.

Ein Geräusch ließ Nikodemus herumfahren. Madra stand hinter ihm. Der Troll war selbst groß wie ein Fels.

Und er hatte auch Hunger. Er hatte den Magen des Hünen knurren hören. Ein Geräusch, das dem Donnergrollen eines Gewitters nur um wenig nachstand.

Nikodemus wusste, dass er Mist gebaut hatte.

Der Troll blickte finster auf ihn hinab. Hoffentlich wurde er wenigstens ohnmächtig, wenn der Bastard ihm den Arm ausriss. Er wollte nicht auch noch dabei zusehen, wie er gefressen wurde.

Madra kniete vor ihm nieder und streckte ihm die Rechte entgegen. Es war zu finster, um irgendwelche Regungen im Gesicht des Trolls zu sehen. Aber wahrscheinlich hätte er auch bei strahlendem Sonnenschein nichts entdecken können. Trolle waren nicht dafür bekannt, besonders gemütvolle Geschöpfe zu sein.

»Gib mir die Hand!« Eine Stimme wie ein Abgrund.

Nikodemus dachte daran fortzulaufen. Aber er würde dem Troll nicht entkommen. Er war vielleicht flinker, aber gewiss nicht schneller und ausdauernder. Madra würde ihn erwischen. Eine Flucht würde sein Schicksal nur ein wenig hinauszögern. Er hatte einmal gelernt, sich in einen Bussard zu verwandeln. Aber ihm fiel das Wort der Macht nicht mehr ein. Er war zu zerstreut in diesen Dingen ... Er sah zu Madra auf. Es war ohnehin sinnlos. Sich zu verwandeln, dauerte mehrere Augenblicke. Wenn der Troll sähe, wie er sich zusammenkrümmte und ihm Federn wuchsen, würde er gewiss nicht abwarten, bis er ihm davonflog.

»Deine Hand!«

Nikodemus presste die Lefzen zusammen. Er würde es anständig hinter sich bringen.

Wie ein Mann. Der Troll hatte gesagt, er würde dafür sorgen, dass er nicht starb. Aber Nikodemus konnte sich nicht vorstellen, dass diese gewaltigen Pranken dazu taugten, schwere Wunden zu versorgen. Jedenfalls nicht bei Geschöpfen, die kleiner als eine Hornschildechse waren.

Seine Hand zitterte nur wenig, als er sie dem Troll entgegenstreckte. Madra packte sie.

Dann legte er ihm die Linke auf die Schulter über dem rechten Arm. Die Hand wäre groß genug, ihm den Brustkorb zu zerquetschen, wenn der Troll es nur wollte.

Nikodemus kniff die Augen zu. Er wollte es nicht mit ansehen.

»Gut gemacht, Fuchsmann. Ich habe die Fährte der beiden Elfen dort vorne gefunden.

Sie sind hierhergekommen. Du bist ein großer Zauberer. Ich dachte, nur dein Maul sei groß. Entschuldige.«

Nikodemus spürte, wie seine Knie nachgaben. Er musste sich setzen. Das musste ein Traum sein. Ungläubig tastete er nach seinem rechten Arm. Er war noch dran. Aber Trolle entschuldigten sich nicht. Niemand würde ihm das jemals glauben!

»Komm, Fuchsmann, holen wir sie uns.«

Nikodemus wollte aufstehen, aber seine Beine gaben sofort wieder unter ihm nach.

Der lange Weg durch das goldene Netz und seine Angst hatten all seine Kräfte aufgezehrt. »Ich kann nicht mehr. Geh voraus. Ich werde dich finden.«

Madra legte den Kopf in den Nacken. Er sah aus wie ein Wolf, der den Himmel anheulen wollte. Stattdessen sog er geräuschvoll Luft durch seine Nase. »Nein, Fuchsmann. Es riecht hier sehr fremd. Wir bleiben zusammen. Halt dich an meinen Ohren fest!« Der Troll packte ihn und setzte ihn auf seine Schultern, bevor Nikodemus auch nur ein Wort hervorbrachte.

Der Nacken des Trolls fühlte sich an wie ein vom Wasser glattgeschliffener Fels. Ein paar Lederriemen, an denen Amulette hingen, waren um den Hals geschlungen.

Madras Kopf war kahl.

»Die Ohren!«, erinnerte ihn sein Gefährte.

Nikodemus zögerte. Seine Ohren waren sehr empfindlich. Aber als Madra sich in Bewegung setzte, hatte er keine Wahl. Er packte zu. Sie waren rau und knorpelig wie Hühnerfüße. Man konnte sich gut daran festhalten.

Madra verfiel in einen leichten Trab. Er lief gebeugt. Dem Lutin war schleierhaft, was der Troll in dem Geröll sah. Welcher Spur er folgte. Er konnte dort nichts erkennen.