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Was hatte Oblon gesagt? Brecht mir keine Finger oder Nasen ab! Da war etwas ...

Der Schamane kam hinter seinem Kopf hervor. Er hielt einen Topf in beiden Händen, in dem etwas glomm. Feiner, heller Rauch stieg davon auf. Das rote Licht strahlte ihn von unten an und ließ seine Totenkopfgrimasse beängstigend aussehen.

Oblon kniete sich auf seine Brust, aber er spürte das Gewicht des Kobolds nicht. Er musste ihn anstarren. Er hatte keine Wahl! Wollte der kleine Mistkerl, dass er jede Episode dieses letzten Aktes mit verfolgte?

Der Schamane atmete den grauen Rauch ein und blies ihn in alle vier Himmelsrichtungen. Dabei verneigte er sich ehrerbietig und murmelte über Geister. So ein Unsinn! Jeder Elf wusste, dass es keine Geister gab. Das waren Koboldhirngespinste. Nichts als blanker Unsinn!

Fairachs Augen hatten sich an das Dunkel gewöhnt. Und als Oblon endlich von seiner Brust herabstieg, konnte er erkennen, wer dort an der Wand kauerte. Er blickte in ein dunkles, faltendurchzogenes Koboldgesicht. Ein Gesicht wie ein altes Stück Schuhleder. Von Falten durchzogen. Verwittert und fleckig. Ein Gesicht ohne Nase und mit dunklen Höhlen, wo Augen hätten sein sollen.

Die Hütte war voller Leichen! Das mussten die Ahnen sein, von denen die Kobolde immer wieder auf bedeutungsvolle Weise sprachen. So, als seien sie nicht wirklich gegangen. Und hier waren sie. Nur in einem anderen Zimmer. Unter einem Dach mit den Lebenden. Was für ein Wahnsinn!

»Hört ihr mich?« Oblons Stimme klang nun anders. Dunkler. Das war der Rauch, redete sich Falrach ein, obwohl er spüren konnte, wie der Zauber, den der Kobold wob, an Macht gewann. Seine Glieder waren lahm. Er hatte die Macht verloren, sie nach seinem Willen zu bewegen. Aber sie waren nicht gefühllos. Er spürte das Prickeln auf seiner Haut. Spürte, wie sich die Haare in seinem Nacken aufrichteten. Und da war dieser Geruch. Ein Geruch, wie er an schwülen Sommertagen in der Luft hing, wenn man mit jeder Faser seines Leibes das Gewitter ahnte, das unmittelbar bevorstand.

»Hört ihr mich?«, raunte Oblon erneut mit rauchiger Stimme. »Kommt, meine Ahnen.

Holt ihn euch! Helft dem Besessenen.«

Warum konnten Kobolde nie zuhören?, dachte Falrach verzweifelt. Er war doch nicht besessen. Es war die Seele, die in diesen Leib gehörte. Hier gab es nichts zu bannen! Er war doch nur ein anderes Bewusstsein. Hätte er diesen verfluchten Kobold nur damals über der Klamm erschlagen, als die Gelegenheit dazu gewesen war!

»Kommt her! Holt ihn euch!«

Fairachs Blickfeld weitete sich. Endlich kam Leben in seine Glieder. Er konnte den Kopf ein klein wenig drehen und blickte nun in die Leichengrimasse eines Koboldweibes, dem man Türkise in die leeren Augenhöhlen gedrückt hatte, so dass sie Falrach mit steinern strafendem Blick ansah. Hatte sie die Stirn gerunzelt?

Der Elf röchelte leise. Er wollte Emerelle rufen. Wo war sie nur?

Oblon beugte sich über ihn. »Willst du fortlaufen? Das ist falsch.« Die dunkle Stimme klang beruhigend, ja freundlich. »Ich mag dich, Elf. Deshalb erlöse ich dich von deinen Qualen. Du wirst bald wieder der sein, der du sein solltest.«

Falrach wollte widersprechen, aber seine Zunge lag wie ein Stein in seinem Mund. Er brachte nur unartikuliertes Gestammel zustande.

Der Kobold nutzte die Gelegenheit und steckte ihm ein zähes Wurzelstück zwischen die Zähne, so dass er den Mund nicht mehr schließen konnte. Oblon hielt noch immer den Feuertopf in einer Hand. Der Rauch, der daraus entstieg, war nun dicker geworden, öliger. Es waren keine blassen, geisterhaften Finger mehr.

Der Schamane atmete den Rauch ein und blies ihn Falrach direkt in den offenen Mund.

Er kratzte in der Kehle. Der Elf hatte ein Gefühl, als hätte er kalten, zu fettigen Braten gegessen. Ein dünner, zäher Film lag ihm auf der Zunge und verklebte ihm den Rachen. Der Rauch schien ihm direkt in den Verstand zu steigen. Obwohl er auf festem Boden lag, glaubte er zu fallen. Sein Atem ging schneller.

Wieder blies ihm Oblon Rauch in den offenen Mund. Die Augen des Schamanen waren unnatürlich geweitet. Alles Weiß war daraus verschwunden. Das eine war ein kalter, schmutziggrüner See. Das andere leuchtete wie heller Bernstein. Die Pupillen waren zu winzigen schwarzen Punkten geschrumpft.

»Kannst du fühlen, wie sie kommen?«, krächzte der Kobold heiser. »Sie haben mich erhört.«

Niemand würde kommen, dachte Falrach. Das war völlig unmöglich. Es widersprach jeder Vernunft.

Oblon kauerte sich neben ihn. Den Feuertopf hatte er auf den Boden gesetzt. Er wiegte den Oberkörper vor und zurück. Ein wortlos an- und abschwellender Singsang begleitete die Bewegung.

Falrach sah hinter dem Schamanen deutlich dessen mumifizierte Ahnen. Hatte das Weib mit den Türksaugen sich bewegt? Er hätte schwören mögen, dass ihr Kopf gerade noch in einem anderen Winkel geneigt gewesen war.

Dem nasenlosen Toten quoll etwas zwischen den Lippen hervor. Feiner weißer Rauch, der sich in einem dünnen, kaum fingerdicken Faden wand. Statt der Decke der Lehmhütte entgegenzustreben, wand er sich fast waagrecht auf den Schamanen zu.

Auch die Türkisaugendame atmete Rauch aus. Falrach konnte den Kopf noch immer nicht bewegen, doch weitere Rauchfinger drangen nun in sein Gesichtsfeld. Sie verwo-ben sich zu einer wirbelnden Spirale über Oblons Kopf.

Der Schamane hielt mit einem Ruck inne. Oblon streckte den Arm vor und legte ihm seine Hand auf die Brust, genau dort, wo sein Herz schlug.

»Danke, dass ihr mich erhört habt«, sagte er mit fester Stimme. »Erlöst den Geist, der den Riesen befallen hat. Zieht ihn heraus wie einen Wurm, der einen Apfel faulen lässt.«

Fairachs Zunge war nicht mehr ganz betäubt. Er versuchte, mit ihr den Keil herauszudrücken, der zwischen seinen Zähnen steckte.

Die einzelnen Rauchfinger drehten sich ineinander wie die Stränge eines Seils. Immer dichter wurden sie, verloren ihre einzelnen Konturen und bewegten sich mit schlangenhafter Anmut ihm entgegen. Wie eine Schilfrohrnatter vor dem Zustoßen verharrten sie über ihm.

Mit einer letzten Anstrengung schaffte es Falrach, den Keil auszuspucken. Im selben Augenblick stieß die Schlange aus bleichem Rauch zu. Sie drang in seinen Mund und füllte ihm die Lungen. Binnen eines Herzschlags schien sie überall in ihm zu sein. Sie griff in seinen Verstand. Dutzende verschiedene Stimmen sprachen zu ihm. Lachen und Schreie. Weinen. Und dann erhob sich ein Befehl. Eine einzelne Stimme, die mehr und mehr an Macht gewann. Eine Stimme, die sein Bewusstsein auszufüllen drohte.

Überm Berg

Nikodemus blickte auf das blutige Fleisch, das auf dem flachen Felsen lag. Wie sehr er es hasste! Verdammt nochmal, er war doch kein Troll! Was dachte sich Madra? Er hatte das Vieh noch nicht einmal richtig gehäutet. Da war noch blutverklebtes Fell an dem dürren Schenkel.

Der Lutin konnte durchaus begreifen, warum sie kein Feuer machen durften. Bei Nacht mochte sie der Flammenschein verraten, tagsüber der Rauch. Ein Feuer war einfach ein unberechenbares Risiko. Aber wie lange sollte er diesen Schlangenfraß noch hinunterwürgen? Das Kobolddorf lag auf der anderen Seite des Berges! Ein halber Tagesmarsch trennte sie von den beiden Elfen. Sie hatten hier nichts zu befürchten!

»Schmeckt es nicht?«, fragte Madra.

Nikodemus war versucht, dem Troll eine passende Antwort zu geben. Das barg allerdings die Gefahr, von einem Teilnehmer des Abendessens zu einem Teil des Abendessens zu werden.

»Wenn du es nicht magst, kann ich es ja nehmen.« Ohne eine Antwort abzuwarten, griff der Troll nach dem Schenkel und dem übrigen Fleisch.

»Wie lange willst du noch hier in den Bergen sitzen? Wir haben unsere Aufgabe erfüllt.

Wir können gehen!«

»Ich will wissen, was die beiden hier machen.« Madra spuckte einen halb gesplitterten Knochen aus. »Hier kommt niemand ohne einen Grund her. Ich will wissen, was los ist.«

Nikodemus seufzte leise. Ein Troll, der versuchte, einem Geheimnis auf den Grund zu gehen! Das konnte Jahre dauern. Er würde mit diesem Trottel seine Jugend verschwenden. Zum tausendsten Mal sah er zu dem Amu lett, das Skanga ihrem Krieger mitgegeben hatte. Es wäre so leicht, die Schamanin zu rufen!