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»Dann schickt den Jungen doch gleich mit ihr«, entgegnete Jules lächelnd. »Er war der Nutznießer von Elodias entgeltlichem Beischlaf. Vom Betrug am König. So trifft auch ihn eine Teilschuld. Im Übrigen herrscht, wie man hört, ein steter Bedarf an hübschen Jünglingen am königlichen Hof.«

»Tut das nicht«, schrie das Mädchen auf. »Bitte! Ich mache alles, was ihr wollt, aber lasst meinen Bruder in Frieden. Er ist noch ein Kind.«

Der Hauptmann überging ihr Flehen. »Schafft sie weg!«, befahl er den Wachen.

»Zunächst in den Kerker. Ich bin mir über ihr Schicksal noch unschlüssig. Eine Sünderin sollte nicht daneben stehen, wenn ihre Sünden abgewogen und ihr Urteil bestimmt wird.«

Elodia, die bisher alles stumm erduldet hatte, bäumte sich plötzlich auf. Wütend sah sie noch hübscher aus, dachte Jules. Das junge Mädchen sah ihm ins Angesicht. Sie war fast einen Kopf kleiner als er, von zierlicher Statur mit langem, dunklem Haar. Ihre Augen waren dunkel. Die Farbe konnte er in der regnerischen Nacht nicht erkennen.

Ihr schmales Gesicht hatte fast etwas Elfisches.

»Du bist ein böser Mensch!«, stieß sie voller Wut hervor und spie ihm ins Gesicht.

Der Hauptmann schrie seine Wachen an. Sie wurde da-vongezerrt und stieß dabei üble Verwünschungen aus.

Der Kommandant der Stadtwache schien plötzlich Sorgen zu haben, dass Elodias Ausfälle auch ein Nachspiel für ihn haben könnten. »Es tut mir leid«, murmelte er verdrossen.

Jules wischte sich den Speichel aus dem Gesicht. »Das muss es nicht. Sie hat mich nicht beleidigt. Ich weiß, wie grundlegend falsch das ist, was sie sagte. Also trifft es mich nicht. Ich bin kein böser Mensch.«

»Ihr sagtet, Ihr kennt den König?«

»Nicht von Angesicht zu Angesicht. Doch ist mir sein Hof wohlvertraut.«

Der Hauptmann war misstrauisch. Er stellte ein paar Fragen, die Jules mit Leichtigkeit beantworten konnte. Er konnte die Sorge des Hauptmanns verstehen. Der königliche Hof war ein Schlangennest. Wenn Cabezan auf einen aufmerksam wurde, dann war das weitaus häufiger ein Unglück, als dass daraus etwas Gutes erwuchs.

Jules erzählte ihm vom wachsenden Einfluss der Tjuredkirche bei Hof. Davon, wie Cabezan vor aller Augen in Aniscans vor der schwarzen Eiche gebetet hatte, an der der Heilige Guillaume von Pfeilen durchbohrt verbrannt war. Es war schon ein übler Scherz, dass jener König, der für Guillaumes Tod verantwortlich war, die Tjuredkirche nun in aller Öffentlichkeit anerkannte. Und manche Prediger verstiegen sich dazu, zu behaupten, es sei Tjured selbst, der ihn dafür mit einem langen Leben beschenkte.

Der Hauptmann wollte sich überreden lassen. Seine Enttäuschung und Verbitterung waren groß genug, dass er sich an jeden Strohhalm geklammert hätte, um von hier fortzukommen. Er stimmte zu, Elodia und ihren Bruder zum Königshof zu schicken.

Und er war entschlossen, eine Anklageschrift zu verfassen, in der er die Vergehen des Mädchens noch ein wenig ausschmückte. Als sie beide sich trennten, war der Hauptmann in geradezu euphorischer Stimmung und glaubte, eine goldene Zukunft sei endlich zum Greifen nahe.

Jules blieb in dem Hauseingang stehen und sah auf das Haus des Fleischhauers. Der Kerl hatte mit seinem Appetit auf ein junges Mädchen den Lauf der Geschichte verändert. Und er stand dort an seinem Arbeitstisch, stopfte Würste mit zweifelhaftem Inhalt und ahnte nichts von alledem.

Jules stellte sich vor, was für ein Ritter aus Adrien werden würde. Ein Held. Der Begründer eines kriegerischen Ordens, der bald schon zum Schwertarm der Tjuredkirche werden würde. Sein Leben musste makellos sein. Für ein Mädchen wie Elodia war darin kein Platz! Sie war ein Stein auf seinem Weg. Ein Stein, der nun fortgeräumt war.

Er verneigte sich in Richtung des schäbigen Hauses und dankte dem Fleischhauer stumm, einen Anlass gegeben zu haben, sie fortzuschaffen. Dann machte er sich auf den Weg. Er wollte bis zum Morgengrauen zurück in den Bergen sein, und der nächste Albenstern lag einige Meilen vor der Stadt.

Während er durch den Regen schritt, schweiften seine Gedanken zurück zu dem Tag, an dem Guillaume gestorben war. Damals hatte ihn jäher Zorn gepackt. Sein Tod war zu früh gekommen. Jules hatte gehofft, die Elfen würden ihn nicht ermorden, sondern ihn stattdessen nach Albenmark bringen. Oder offen gegen Emerelle rebellieren. Al sein Trachten war es, Albenmark zu schaden. Und dieses Kind, halb Elf und halb von seinem Blute, wäre dazu vollkommen gewesen. Aber Cabezans Krieger hatten alles zunichte gemacht. Und er hatte den König verflucht. Cabezan war damals schon alt gewesen. Deshalb hatte er Guillaume ja an seinen Hof holen wollen. Er war ein eingebildeter Dummkopf, der jedes kleine Zipperlein zu einem großen Unglück aufblies.

Aus einem Mückenstich machte er einen Furunkel. Aus einem Furunkel eine Pestbeule.

Jules’ Fluch besagte, dass Cabezan an keiner Krankheit sterben sollte. Und dass er an jedem Tag in seinem jämmerlichen kleinen Leben krank sein würde. Ernsthaft krank.

Der König hatte keine Zähne mehr. Seine Zehen waren ihm abgefault. Die Finger von der Gicht zu steifen Krallen geformt. Ausschlag wucherte auf Cabezans Haut. Vor allem an jenen Stellen, an denen er selbst sich nicht mehr kratzen konnte. Jeder andere wäre längst tot, aber der König überstand jede Sieche. Er war wohl der einzige Mensch, der inzwischen schon dreimal an der Pest erkrankt und dann wieder davon genesen war.

Wenn Jules sich nicht irrte, dann war Cabezan inzwischen wohl um die neunzig Jahre alt. Der König hatte seine beiden Söhne und bereits den ersten seiner Enkel begraben.

Gesunde, kräftige Männer. Sogar drei seiner Urenkel waren bereits in ein Alter gekommen, in dem man nach der Krone hätte greifen können. Zwei von ihnen hatte er hinrichten lassen. Der dritte war auf die winzige Halbinsel Valloncour verbannt, wo er weitere Nachkommen zeugen sollte und sich ansonsten aus allen Staatsgeschäften herauszuhalten hatte.

Die Langlebigkeit des Königs sorgte für endloses Gerede im Volk. Die Heiden ahnten ganz richtig, dass er verflucht sei. Allerdings vermuteten sie, Cabezan habe die alten Götter beleidigt. Vielleicht weil er seine Männer in den Steinernen Wald geschickt hatte oder weil er zu freundlich zu den ungewaschenen Eiferern war, die das Wort Tjureds in die Welt trugen und alle anderen Götter verdammten.

Die Tjuredpriester hingegen, unter denen er, Jules, so hohes Ansehen genoss, deuteten Cabezans Unfähigkeit zu sterben, ganz anders. Sie glaubten, ihr Gott würde das Leben des Königs so lange währen lassen, bis dieser sich zu den Lehren ihrer Kirche bekehren ließ. Dann erst würde der gnädige Tod ihn finden und ihn von all seinem Leid erlösen.

Cabezan entschied sich für keines der beiden Lager. Obwohl er sein Leben zweifellos schon lange nicht mehr genoss, hielt er umso sturer daran fest, je länger es währte.

Niemand bei Hof war vor den verrückten Ängsten des Königs sicher. Überall vermutete er Verschwörer, die ihn ermorden lassen wollten, um seinen Thron zu stehlen. Seine Leibwache, die Stierköpfe, wie man sie nach ihrem Wappen nannte, waren Henker! Sie führten jeden seiner Befehle aus, ohne sich mit Fragen der Moral zu belasten.

Giftmord, die Kabalen seiner Enkelinnen, sowie Machtkämpfe unter den Stierköpfen und hohen Beamten des Königreichs schafften eine Atmosphäre bei Hof, in der jeder gegen jeden stand und ein Leben einen Hundedreck wert war. Wenn Elodia dorthin gebracht wurde, dann war ihr ein schreckliches Ende gewiss. Und auch ihrem kleinen Bruder, denn Jules wusste natürlich, warum so viele Knaben an den Hof gebracht wurden und dann spurlos verschwanden.

Der Geisterseher

»Komm zu uns, Falrach!« Es war eine Stimme, der man nicht widerstehen konnte. Wie ein Gift durchdrang sie ihn. Das Gefühl, zu fallen, endete.