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Ein Troll packte in die Mähne ihres Hengstes. Der Graue stieß ein schrilles Wiehern aus. Er versuchte zu steigen, doch gegen den eisernen Griff des Trollkriegers kam er nicht an. Obwohl Emerelle im Sattel saß, überragte sie der Troll um mehr als Haupteslänge. Der Krieger sah sie misstrauisch an. »Leg deine Hand ans Schwert, und ich mach dich tot«, stieß er hervor und schien dabei ganz selbstverständlich davon auszugehen, dass sie ihn verstand.

Der Hengst keilte aus. Ein Huf traf den Troll am Knie. Er grunzte und schlug dem Grauen den Ellenbogen gegen den Kopf. Der plötzliche Schlag riss den Hengst zu Boden. Emerelle war mit einem Satz aus dem Sattel. Sie landete sicher auf den Füßen.

Fast hätte sie nach ihrem Schwert gegriffen, einfach aus Gewohnheit. Auch wenn sie seit langem nicht mehr in die Schlacht gezogen war, hatte sie doch regelmäßig ihre Fechtübungen absolviert.

Ihr Hengst schlug schwer auf das Pflaster. Blutiger Schaum troff aus seinem Maul.

Emerelle zwang sich, ruhig zu bleiben.

»Ihr beide seid verhaftet!«, rief eine schnarrende Stimme. Hinter dem Troll stand der Kobold in den Stulpenstiefeln.

Er deutete mit dem Säbel auf ihre Brust. Jetzt erst bemerkte Emerelle, dass ihm die rechte Hand fehlte.

»Warum willst du uns festnehmen?«, fragte sie, um Gelassenheit bemüht.

»Weil du eine der Trollwachen angegriffen hast.«

»Ich glaube, das war mein Pferd«, sagte sie in der Sprache der Trolle. »Wirst du es in den Kerker werfen?«

Der große Krieger verzog das vernarbte Gesicht zu einem Grinsen.

»Du machst dich lustig über mich? Über Dalmag Paschendrab, den Vogt von Feylanviek und Hüter der Gerechtigkeit?«, ereiferte sich der Kobold. Er stand jetzt dicht vor ihr; er reichte ihr kaum bis zum Knie. »Du bist als Reiterin für dein Pferd verantwortlich. Dir wird dein spöttisches Gerede noch leidtun, Elfe.« Der Kobold deutete auf Falrach. »Den Kerl nehmt ihr auch mit. Er ist ebenfalls angeklagt.«

»Was hat er getan? Dich mit einem Blick verletzt?«

Der Kobold schob seinen Säbel in die Schärpe. Er stützte seine verbliebene Hand in die Hüfte und bemühte sich augenscheinlich, würdevoll auszusehen.

»Nein, er trägt die Hauptschuld am Angriff auf den Troll. Ich gehe davon aus, dass der Fürst ihn zum Tode verurteilen wird.«

Für einen Augenblick verschlug es Emerelle die Sprache. »Das ist kein Recht«, stieß sie schließlich hervor.

»Jetzt beleidigst du auch noch unsere Gesetze. Mach nur so weiter, du redest dich um Kopf und Kragen.«

»Er hat doch gar nichts getan.«

»Eben«, sagte der Kobold mit selbstzufriedenem Nicken. »Das ist Teil seines Verbrechens. So wie du auf dein Pferd hättest achtgeben müssen, hätte dein Mann auf dich achtgeben müssen, Weib. Er hätte wissen müssen, was für eine schlechte Reiterin du bist. Es wäre seine Aufgabe gewesen, dir zu verbieten, zu Pferd nach Feylanviek zu kommen. Stell dir vor, es wäre durchgegangen und hätte ein paar spielende Kinder auf der Straße totgetrampelt.«

»Ich bin nicht sein Weib!«

»Oh!« Dalmag rollte mit den Augen. »Dann pflegt ihr also liederlichen Umgang miteinander, ohne euch ein Eheversprechen gegeben zu haben.« Er stieß einen keckern-den Laut aus. »Elfen! Völlig sittenlos und verkommen! Das ändert natürlich nichts daran, dass er verpflichtet gewesen wäre, auf dich aufzupassen.«

Emerelle hatte Mühe, ernst zu bleiben. Dieser Kobold sollte das Recht in Feylanviek verkörpern? Das konnte nicht sein! Es musste hier einen Trollfürsten geben. »Wie lösen wir unseren Streit? Werde ich vor ein Gericht gestellt?«

»Natürlich! Hier hat sich viel geändert, seit Shandral geflohen ist.« Er hob den Armstumpf. »Er hat behauptet, mein Bruder habe ihn bestohlen. Jeder in meiner Sippe hat dafür die rechte Hand verloren. Sogar Neugeborene! Er hat unsere Hände in seinem Haus ausgestellt. Mit vielen anderen. Sieh dich um in dieser Stadt und wundere dich, wie viele meinesgleichen mit nur einer Hand leben! Vor ein Gericht wurde keiner von ihnen gebracht. Du wirst es also viel besser haben als wir, Elfe.«

Sie war hier, um genau das zu erleben, was gerade mit ihr geschah. Als Königin war sie so sehr in die Sorge um die Zukunft Albenmarks verstrickt gewesen, dass sie die Gegenwart vernachlässigt hatte. Grausamkeiten wie die Taten Shandrals hätten niemals geschehen dürfen. Das würde sich von nun an wieder ändern. Als fahrende Ritterin würde sie sich gegen die Tyrannei stellen, so wie sie es einst getan hatte. Im Großen war sie gescheitert. Nun konnte sie sich einer Aufgabe stellen, der sie gewachsen war.

»Gerne werde ich mich der Gerechtigkeit deines Herrn überantworten. Ich vertraue tief darauf, dass ihr aus der Vergangenheit gelernt habt.« Sie hörte Falrach hinter sich scharf einatmen. Doch ihr Gefährte erhob keinen Widerspruch.

Dalmag wirkte enttäuscht, dass sie nicht versuchte, sich zu widersetzen. »Wir schieben es nicht lange hinaus«, sagte er schließlich. »Ich bringe dich zum Rudelführer Gharub. Er wird das Urteil fällen.«

Emerelle blickte auf den Grauen hinab. Der Troll hatte ihren Hengst bewusstlos geschlagen. Aber er würde wieder zu sich kommen. »Was wird aus meinem Pferd?«

»Ja, das Pferd ...« Der Kobold kratzte sich hinter dem linken Ohr. »Dies ist eine der wenigen gepflasterten Straßen. Und der Schnee ist fortgeräumt, damit hier Karren fahren können. Dein Pferd stört den Fluss der Waren. Und Feylanviek ist eine Stadt des Handels. Da du vor Gericht kommst und dich um dieses Ärgernis nicht kümmern kannst, werde ich meinen Freund beauftragen, das Problem zu lösen.« Er stieß dem Troll mit dem Ellenbogen gegen das Bein. »Hörst du, Madra. Du wirst dieses verdammte Pferd hier wegschaffen. Es gehört dir. Ich erwarte aber, dass es umgehend von der Straße verschwindet.«

»Egal wohin?«, fragte der Troll.

»Egal«, entgegnete Dalmag und wandte sich wieder Emerelle zu. »Du wirst selbstverständlich für die Kosten aufkommen, die dadurch entstehen, dass ein Teil der Wachen dieser Stadt damit beschäftigt ist, sich um den Ärger zu kümmern, den du verursacht hast.«

»Das kostet nix«, sagte der Troll und kniete neben dem Pferd nieder. Er packte den Kopf des Tieres mit beiden Händen und riss ihn in einem Ruck herum. Ein scharfes Knacken ertönte. Er ließ den Kadaver auf das Pflaster zurücksinken und zog ein in seinen mächtigen Pranken geradezu zerbrechlich wirkendes Steinmesser hervor.

Emerelle wandte den Blick ab, aber sie konnte nicht verhindern, dass ihr der Blutgeruch in die Nase stieg.

Der Troll rief seine Kameraden herbei, während Falrachs Pferd ängstlich schnaubte.

»Halt deinen Gaul still«, herrschte ihn der Kobold an, der ungerührt zusah, wie seine Wachen sich als Metzger versuchten. Die lange Zunge glitt ihm über die schmalen Lippen. Er fand offenbar Gefallen an diesem blutigen Schauspiel. Emerelle fragte sich, wie er wohl gewesen war, bevor er seine Hand verloren hatte.

Bald lagen nur noch die Röhrbeine, der Kopf und ein Haufen Eingeweide auf der Straße. Dutzende Schaulustige hatten sich um sie versammelt. So ausgemergelt, wie die meisten von ihnen aussahen, war sich Emerelle sicher, dass sie nur darauf warteten, dass die Trolle etwas übrig ließen.

»Wir hätten das Blut auffangen sollen«, murrte einer der Trollkrieger. »Das hätte eine schöne Wurst gegeben.«

Der Kobold stieß ein kurzes, schnarrendes Lachen aus. »Dann weicht mir jetzt nicht von der Seite. Vielleicht gibt es ja bald noch eine andere Gelegenheit, Blutwurst zu machen.« Bei diesen Worten bedachte er Emerelle mit einem boshaften Blick. »Glaubst du ans Mondlicht, Elfenschlampe? Du würdest meine Wachen maßlos enttäuschen, wenn du einfach nur verblasst.«

Gossenkind

Adrien schob die Dachschindeln auseinander und bemühte sich, so wenig Lärm wie möglich zu machen. Er lag ausgestreckt im Schnee. Feuchtigkeit drang durch seine Kleider, aber er achtete kaum darauf. Zu groß war sein Hunger. Es gab hier keinen Hund, darauf hatte er als Erstes geachtet, als er das Haus ausgewählt hatte. Allerdings konnte man ihn vom Haus auf der anderen Seite des Hofes sehr gut sehen, falls jemand zufällig aus dem Fenster blickte. Die Gefahr war jedoch nicht sehr groß. Die Läden waren alle geschlossen, die Riegel vorgelegt. Zum einen wegen der Winterkälte, vor allem aber wegen des Wider gängers, der die Stadt seit Tagen in Schrecken versetzte. Nach Einbruch der Dämmerung wagte sich nur noch auf die Straße, wer keine andere Wahl hatte oder kein anderes Zuhause.