Birga war alles andere als zartbesaitet, aber sie war gerührt. Skanga hatte sich noch nie Gedanken darum gemacht, ob die Krankheit zu heilen wäre. Sie hatte die Entstellung einfach als gegeben hingenommen, ebenso wie Birgas magische Begabung.
Emerelles Gemach war beherrscht von einem großen Bett. Die Schamanin empfand dies als einigermaßen verwunderlich, galt die Königin der Elfen doch als prüde und gefühlskalt. Nie hatte man gehört, dass sie einen Mann zu sich holte. Der Gedanke an Männer stieß Birgasauer auf. Obwohl Frauen in ihrem Volk seltene, begehrte Schätze waren, die nur bedeutenden Kriegern und Rudelführern gewährt wurden, hatte sie niemals bei einem Mann gelegen. Ihr ganzer Körper war von den wuchernden Warzen entstellt. Wie Tropfen aus Fleisch waren sie. Unansehnlich, hässlich. Niemand mochte sie berühren.
Ja, den meisten fiel es schon schwer, sie auch nur anzusehen. Deshalb trug sie die Maske und hielt ihre Hände umwickelt.
Sie setzte sich auf das Bett der Elfenkönigin, während Alathaia sich langsam auf der Stelle drehte und in jeden Winkel der Kammer spähte. Das ganze Gemach war durchdrungen vom Geruch der Königin. Besonders das Bett. Elfen schwitzten zwar nicht, aber sie waren nicht völlig geruchlos. Viele benutzten gern irgendwelche Duft-wasser. Sogar die Krieger. Birga fand es befremdlich, sich mit fremden Gerüchen zu schmücken. Andererseits schmückte sie sich ja auch mit fremder Haut. Dass man aber das Verlangen haben konnte, nach Blumen riechen zu wollen, war höchst seltsam. Sie hätte verstanden, wenn man den Duft eines Höhlenbären trug, den man erlegte. Oder den eines anderen Raubtiers. Sie empfand auch den Geruch von Waffenfett und Leder als angenehm.
Eine ganz leichte Note von Waffenfett war auch in Emerelles Kammer zu riechen. Aber es waren andere, schwerere Düfte, die vorherrschten. Blumen schienen es nicht zu sein. Jedenfalls keine, die sie kannte.
Plötzlich glitt ein Spiegel zurück und gab den Blick auf eine verborgene Kammer frei.
Eine Flut neuer Düfte ergoss sich von dort in das Schlafgemach. Weihrauch überlagerte alles andere. Dazu kam alter Stoff. Und ... Birga schnupperte erneut. Es roch nach dem Fell einer Lutin! Die Schamanin brauchte eine Weile, bis sie sich wieder erinnerte, wer genau es war. Sie hatte ein gutes Gedächtnis für Gerüche. Und diese Lutin rochen alle anders. Das war die Kleine gewesen, die zu Elija gehörte. Birga hatte sie schon eine Weile nicht mehr gesehen. Sie überlegte, ob sie Alathaia etwas davon sagen sollte, verwarf es aber sofort. Es war nie gut, zu geschwätzig zu sein!
Die verborgene Kammer war so niedrig, dass Birga geduckt gehen musste. Sie war voller Kleider, die man auf Gestelle aus Weidenholz gezogen hatte. Warum hatte ein einziges Weib so viel anzuziehen? Welchen Nutzen hatte eine solche Verschwendung?
Auf Wandborden lag Schmuck. Es schien, als gäbe es zu jedem der Kleider auch eigene Schuhe.
Sie mochte die Handschuhe aus bunter Seide. Sie waren wie eine zweite Haut. Solche Handschuhe hätte sie auch gern besessen. Sie waren gewiss viel angenehmer zu tragen als die Verbände, die sie sich um die Finger wickelte. Ob man Blutflecken wohl gut aus Seide waschen konnte?
Alathaia sah jedes der Kleider abschätzend an, berührte aber nichts. »Sie wird wissen, dass wir beide hier waren, wenn sie jemals zurückkommt«, sagte sie schließlich. »Ich glaube, der Spiegel zeigt ihr einen jeden, der dieses verborgene Gemach betritt. Wird Skanga dich vor ihrem Zorn beschützen?«
Birga atmete schwer ein. Sie hatte gespürt, dass der Spiegel von Magie durchdrungen war. Aber das war hier fast alles. Jedes der Kleider war mit Zaubern umwoben.
Deshalb hatte sie keinen weiteren Gedanken an den Spiegel verschwendet.
»Ich kann auf mich allein aufpassen«, sagte Birga und wusste dabei, dass sie gegen Emerelle niemals würde bestehen können.
»Ich würde einem direkten Streit mit ihr aus dem Weg gehen«, gestand Alathaia ganz offen.
Birga war auf der Hut. Die Elfe war zu freundlich. Man durfte ihr nicht trauen!
Die Fürstin ließ das Thema auf sich beruhen. Sie betrachtete wieder die Kleider.
Schüttelte manchmal abfällig den Kopf. Sehr selten schnalzte sie leise mit der Zunge.
Die verborgene Kleiderkammer wand sich in weitem Bogen außen um den Turm. Sie war überraschend groß, dachte Birga. Ob auch in die Mauern des Turms Magie gewoben war? Erschien er dem Betrachter kleiner, als er tatsächlich war? Die Elfen liebten solche Spielereien!
Die Schamanin fand einen schmalen Schrank, der einen seltsamen Duft verströmte.
Neugierig öffnete sie die Tür und fuhr erschrocken zurück. Alle Wände, selbst die Innenseiten der Türen, waren mit Schmetterlingspuppen bedeckt! Was war das für ein Unsinn! Die Puppen lebten!
Birga schloss die Türen kopfschüttelnd. Niemals würde sie die Elfen und ihre Schrullen begreifen!
Alathaia indessen stand nachdenklich vor einem sehr schlichten Kleid. Es war grau, ganz ohne Schmuck. Die Ärmel reichten nur knapp über die Ellenbogen und waren ein wenig ausgestellt. Der steife Stehkragen war so hoch, dass er sicherlich den ganzen Hals verbarg, wenn Emerelle das Kleid anlegte.
Birga spürte die starke Magie, die von dem Kleid ausging. Wieder und wieder hatte man es mit Zaubern umwoben. Sie waren wie die Jahresringe eines alten Baums. Selbst sie spürte ein Prickeln auf ihrer entstellten, gefühllosen Haut, wenn sie dem Kleid nahekam.
»Wir suchen das Zeugnis einer alten Liebe in einer Kammer voller Kleider«, sagte Alathaia nachdenklich. »Glaubst du, dass das hier ein Hochzeitskleid ist?«
»Ich war nie auf einer Elfenhochzeit.«
Die Fürstin lächelte. »Natürlich, Birga. Eine dumme Frage. Außerdem hat Emerelle nie geheiratet. Aber dieses Kleid ... Ich denke, eine Braut hätte es auf einer Hochzeit tragen können. Eigentlich ist es nichts Besonderes, verglichen mit den anderen. Und doch hat Emerelle es aufbewahrt. Sehr lange. Spürst du die Schutzzauber, die Motten fernhalten und Staub und die die Farbe vor dem Verbleichen schützen? Sie sind immer wieder erneuert und verstärkt worden. Dieses Kleid hätte schon vor Jahrhunder ten zu Staub zerfallen sollen. Die Königin hat großen Aufwand getrieben, es zu erhalten. Warum wohl?«
Alathaia kniete nieder und hob den Saum. Die Geste hatte etwas Anzügliches.
Birga konnte kleine Bündel aus Eichenblättern sehen, die von Lederriemchen zusammengehalten wurden. Dazwischen, wie in ein Nest gebettet, lagen drei unscheinbare Steine.
Die Elfe atmete erleichtert aus. Sie nahm die Steine. Dann zog sie das Büchlein, das Birga im Thronsaal aufgefallen war, aus dem Ärmel und legte es an Stelle der Steine in das Versteck.
»Was ist das für ein Buch? Warum lässt du es hier?«
»Es gehörte einer Lutin, die mir nichts sagen wollte und doch alles, was ich wissen musste, schon niedergeschrieben hatte. Sie hielt sich für schlauer als ich es bin. Genau wie ihre Mutter. Und sie ereilte dasselbe Schicksal wie ihre Mutter.« Die Elfe blickte kurz auf und lächelte. »Außer uns beiden gibt es niemanden mehr, dem dieses Versteck bekannt ist. Ich kann mir kaum einen sichereren Ort für das Büchlein vorstellen. Es könnten Jahrhunderte vergehen, bevor jemand den Saum dieses Kleides anrührt. Weil es Emerelle so viel bedeutet, wird niemand es leichtfertig berühren. Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass Emerelle es nie getragen hat. Aber vielleicht ist das auch nur meine romantische Ader.«
Birga kam es falsch vor, das Büchlein zurückzulassen. Damit war eine Spur gelegt.
Und wenn der Spiegel wirklich Bilder aller, die diese Kammer betreten hatten, in sich tragen sollte, dann würde Emerelle gewiss sehr gründlich suchen. Aber von alldem sagte sie nichts. Sie würde an der Seite Skangas sein, falls Emerelle jemals hierher zurückkehrte. Dort war sie nicht in Gefahr. Alathaia war es, die mit ihrem Leben spielte!
Die Elfe hielt verzückt die Karfunkelsteine in Händen. Sie waren ein wenig größer als Walnüsse.
»Sie haben keine magische Aura. Wenn sie verlorengehen, ist es fast unmöglich, sie wiederzufinden. Sie sehen zu gewöhnlich aus. Und doch sind sie von Macht durchdrungen. Sie sind so hart, dass kein Werkzeug sie zu kerben vermag. Keine Farbe will auf ihnen haften bleiben. Keinem Goldschmied wird es gelingen, sie in eine Fassung zu zwingen. Sie zu verändern oder zu markieren, ist unmöglich! Gib mir deine Hand, Birga! Ich will dir etwas zeigen.«