»Was?« Es war leichtfertig, einer Elfe zu vertrauen. Trotzdem streckte sie, noch bevor die Fürstin antwortete, bereits ihre Hand aus.
»Darf ich die Stoffstreifen abwickeln?«
Birga sah ihre geheimsten Hoffnungen erfüllt. Die Freude ließ ihr Herz schneller schlagen und schnürte ihr die Stimme ab, so dass sie nur nicken konnte. Kein Zauber, den sie von Skanga erlernt hatte, vermochte ihre Haut zu glätten. Und die alte Schamanin selbst konnte oder wollte ihr nicht helfen. Insgeheim vermutete Birga Letzteres. Skanga war bösartig! Sie wollte nicht, dass sie besser aussah. Das wusste Birga ganz sicher. Es hätte ihr mehr Freiheiten gegeben und sie vielleicht sogar dazu verleitet, sich einen Krieger zum Beischlaf zu suchen. Skanga glaubte, die Liebe schwäche die Zauberkraft. Birga hingegen war überzeugt, dass sie stärker denn je würde, wenn sie nur eine einzige Liebesnacht erleben dürfte.
Alathaia ließ sich nichts anmerken, als sie die grässlich entstellte Hand betrachtete. Mit spitzen Fingern strich sie über die Warzenfläche. Wie Tränen aus Fleisch sahen sie aus.
Sie bedeckten Birgas Handrücken und die Finger.
Behutsam berührte die Elfe sie mit einem der Karfunkelsteine und sprach leise ein Wort der Macht. Birga konnte es nicht verstehen, sosehr sie sich auch anstrengte.
Dieses eine Wort zu beherrschen und einen Karfunkelstein zu besitzen, vermochte sie für immer von ihrem Leiden zu befreien.
Tatsächlich sah es so aus, als trinke der Stein die Tränen aus Fleisch. Zarte, hellgraue Haut blieb zurück, wo Alathaia sie berührt hatte. Es war ein Wunder! Birga standen Tränen in den Augen. Ihr Makel konnte getilgt werden. Sie kannte die Elfe nicht mal einen ganzen Tag, und schon heilte sie sie.
»Zieh dich aus«, sagte Alathaia freundlich. »Ich werde diese Warzen von dir nehmen.
Aber sie werden wiederkommen. Ich kann dir nicht sagen, wie schnell es geschehen wird. Vielleicht dauert es nur ein paar Tage. Vielleicht auch viel länger. Aber es wird geschehen.«
»Jede Stunde ohne die Plage ist ein Geschenk«, entgegnete Birga entschieden. Dann entkleidete sie sich.
Während Alathaia sie mit dem Karfunkelstein behandelte, sprachen sie kaum. Birga genoss das Gefühl, wie der Stein über ihre Haut strich. Al ein seine Berührung löste wohlige Schauer aus.
Nachdem sie geheilt war, betrachtete sie sich lange im Spiegel vor dem Bett der Elfenkönigin. Seit ihrer Kindheit, als der Makel überraschend ausbrach, war ihre Haut nicht mehr so rein gewesen. Nie zuvor hatte sie ihren Körper so deutlich gesehen. In Trollhöhlen gab es keine Spiegel! Und kein See, und sei sein Wasser auch noch so glatt und ungetrübt, vermochte ihr Spiegelbild so klar und deutlich zu zeigen wie das sorgsam geschliffene Kristallglas. Dass er angeblich ihr Spiegelbild bewahren würde, störte sie nicht. So bliebe ihre Schönheit erhalten, und sei es nur in einem Bild, das ein Zauberspiegel eingefangen hatte.
Alathaia sah ihr schweigend zu. Sie bedrängte sie weder durch Worte noch durch Blicke. Dafür war Birga ihr unendlich dankbar. Schließlich legte die Schamanin wieder ihre groben Gewänder an. Sie wickelte die Stoffstreifen um ihre Hände, setzte die Maske auf ihr Gesicht. Diesmal verbarg sie ihre Makel osigkeit, denn sie hatte beschlossen, Skanga nichts von ihrem Geheimnis zu verraten.
»Ich habe eine Bitte an dich«, sagte Alathaia, als sie sich wieder ganz angezogen hatte. Birga war enttäuscht. Sie hatte gehofft, die Heilung sei ein Geschenk. Eine Gabe, die keine Gegenleistung erforderte. »Ja?«
»Bitte verwahre die Karfunkelsteine für mich. Skanga wird fordern, dass sie hierbleiben, bis ich ihr bringe, was ich ihr versprochen habe. Es wäre mir lieber, sie in deiner Obhut zu wissen.«
Die Schamanin war überrascht. Das war keine Forderung, sondern ein Vertrauensbeweis! »Diese Bitte werde ich dir gern erfüllen.« Sie sprach absichtlich ein wenig gestelzt, so wie die Elfen es gerne taten. Sie wollte der Fürstin damit ihre Verbundenheit zeigen.
Alathaia überreichte ihr die kostbaren Steine, und Birga ließ sie in einer Tasche ihres knöchellangen Gewandes verschwinden.
Dann begannen sie den langen Abstieg. Und als sie den Thronsaal erreichten, kam alles genau so, wie Alathaia es erwartet hatte. Skanga hatte eine Wache von fünfzig Trollen aufgeboten. Die Elfenfürstin machte ein paar spitze Bemerkungen. Dann behauptete sie, Birga habe die Steine bereits an sich genommen, da sie offensichtlich um diesen Betrug gewusst habe.
Skanga sah sie überrascht an. Und dann lächelte die alte Schamanin. Es war seit Jahren nicht mehr vorgekommen, dass ihre Herrin ihr so deutlich ihre Zufriedenheit zeigte.
Alathaia öffnete erneut ein Tor in das Goldene Netz. Als sie verschwunden war, blieb Birga das vage Gefühl, dass dieser Tag zu gut gewesen war. Doch sie verdrängte diesen Schatten schnell wieder. Die Nacht würde noch besser werden! Sie würde ihre Maske und ihr schäbiges Kleid ablegen und sich einen stattlichen Krieger suchen!
Trolljagd
Lambi stützte sich schwer auf einen hölzernen Stab. Er ging nicht an der Spitze des Zuges. Nicht mehr. Seine Kraft reichte nicht, sich einen Weg durch den Schnee zu bahnen. Er folgte in der ausgetretenen Furche weit hinten in der Kolonne. Es war ihm zuwider, sich eingestehen zu müssen, dass er alt geworden war. Sein Sohn hätte hier an seiner Stelle gehen sollen. Doch der war bei den Kämpfen um die Nachtzinne gefallen. Nun galt es, Kadlin zu retten, falls sie noch zu retten war.
Einhundertdreiundsechzig Freiwillige hatte er um sich geschart. Eigentlich hatte er nicht so viele Männer mitnehmen wollen. Aber sie hatten sich nicht zurückweisen lassen. Er war überrascht gewesen, wie beliebt seine dickköpfige, junge Königin war.
Sie alle hatten sich freiwillig gemeldet. Und die meisten von ihnen wussten genau, was es bedeutete, ins Land der Trolle vorzustoßen. Einige Dutzend Veteranen des letzten Feldzugs ihres Königs Alfadas waren unter den Freiwilligen.
Lambi stützte sich schwer auf den Stab. Heftig atmend sammelte er seine Kräfte. Er war dumm wie Kentaurenschiss. In seinem Alter hatte er hier nichts mehr verloren.
Schon gar nicht mit Kettenhemd, Schild und seinem ebenso hübschen wie schweren Helm. Ein Helm, dessen bronzene Augenringe mit dem davon herabhängenden Kettengeflecht nicht nur sein ganzes Gesicht schützten, sondern auch seine verstümmelte Nase versteckten.
Zischend fuhr sein Atem durch die Kettenringe. Jetzt zogen auch noch die letzten der Truppe grinsend an ihm vorbei. »Wartet, bis ihr in meinem Alter seid, Dreckspack! Ich wette, die Hälfte von euch hat dann nicht mal mehr die Kraft, mit eigener Hand den Löffel mit Hirsebrei zum Maul zu führen. Und ich wünsche euch Schwiegertöchter, die euch, wenn sie euch hastig füttern, unablässig verfluchen. Was ihr euch, verdammt nochmal, auch allesamt verdient habt!«
Lambi setzte sich schnaufend in Bewegung. Er würde nicht mehr lange durchhalten und war doch zu stolz, um die anderen zu bitten, für ihn eine Pause einzulegen. Er nahm seinen Helm ab und band ihn sich mit dem Kinnriemen an den Gürtel. Sein Atem hatte sich als Eis auf den Kettenringen niedergeschlagen. Dennoch konnte man die ersten Vorboten des Frühlings in der Luft spüren. Noch zwei oder drei Wochen, und der Winter wäre vorüber. Ein schlimmer Winter, der die Königsfamilie fast ausgelöscht hatte. Erst Alfadas, dann Ulric und dessen Weib Halgard und jetzt Kadlin.
Er hätte sie in ihrer verdammten Hütte einsperren sollen. Aber sie war die Königin.
Wie hätte er ihr befehlen können? Man sollte sich dieses dumme Gör übers Knie legen und ihm eine verdammte Tracht Prügel versetzen. Weiber taugten nicht für den Thron.
Er blickte auf zu seinen Gefährten, die nun schon ein ganzes Stück vor ihm gingen. Ihr Weg führte sie eine steile Hügelflanke hinauf. Bis oben würde er es schaffen, dann musste er seinen Stolz aufgeben und um eine Rast bitten. So viele Freiwillige für einen Todesmarsch ... Sein Volk war eine Ansammlung von Irren, da konnte es wohl keinen Zweifel geben. Und wenn er ehrlich war, musste er sich eingestehen, dass Kadlin doch keine schlechte Königin war. Jeder einzelne der Männer war allein um ihretwillen hier.