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Sie war beliebt! Er lächelte. Und sicher hoffte manch einer, ihr aufzufallen und womöglich ihr Gemahl zu werden. Ein hübsches Weib und ein Thron waren es schon wert, ein paar Unannehmlichkeiten und Gefahren auf sich zu nehmen. Wäre er ein paar Jahre jünger und hätte seine Nase noch, dann würde er genauso denken!

Plötzlich war Lärm über ihm. Aufgeregte Rufe beflügelten seine Schritte. Als er den Kamm erreichte, sah er in der Senke einen Troll durch den tiefen Schnee flüchten.

Vielleicht ein Jäger, den sie aufgeschreckt hatten. Vielleicht auch ein Späher, der die Grenze zum Königreich der Menschen beobachten sollte. Ganz gleich, wer er war, wenn er entkam, dann war es um sie geschehen. Sie waren anderthalb Tagesmärsche tief ins Land der Trolle vorgedrungen. Sie könnten die Grenze nicht mehr erreichen, bevor sie der Ärger in Form von Heerscharen von Trollen einholen würde.

»Worauf wartet ihr? Schießt ihn nieder! Er darf nicht entkommen. Zielt auf die Kniekehlen oder den Nacken. Ein Pfeil in den Rücken wird ihn bei seiner Flucht nicht aufhalten. Sie dringen nicht tief genug ein, um ihn schwer zu verletzen.«

Sie hatten nur wenige Bogenschützen. Jeder wusste, wie wenig Pfeile gegen Trolle auszurichten vermochten. Besonders wenn sie bei einem Kriegszug mit ihren türgro-

ßen Schilden anrückten.

Schon flogen erste Pfeile. Sie waren schlecht gezielt. Nur ein einziger traf. Er schlug in die linke Schulter des Trolls. Der Aufschlag ließ den Krieger kurz straucheln. Doch dann lief er weiter.

Lambi blickte zu Ansgar. So wie er war der alte Jäger ein Überlebender des Feldzugs, den Alfadas in die Snaiwamark unternommen hatte. Er kannte sie. Ihm musste man nicht sagen, wohin er zielen sollte. Die Jahre hatten den Bart des Jägers ergrauen lassen. An seiner rechten Hand fehlten zwei Finger, die er im Kampf gegen einen Berglöwen verloren hatte. Eine Geschichte, so gut, dass zwei Skalden Lieder darüber geschrieben hatten.

Ansgar wählte mit Bedacht einen Pfeil mit besonders geradem Schaft. Er prüfte den Wind. Dann hob er den Bogen. Seine Ruhe verlieh jeder seiner Bewegungen eine eigene Anmut. Dann schnellte sein Pfeil von der Sehne. Lambi verfolgte den Flug des Pfeils mit angehaltenem Atem. Er konnte sehen, wie der Wind ihn ein wenig zur Seite abdriften ließ. Der Troll hatte inzwischen eine sanfte Steigung erreicht und lief sie hinauf, ohne langsamer zu werden.

Die anderen Schützen schössen noch immer, aber Ansgars Pfeil hatte einen roten Schaft und war leicht von den übrigen Geschossen zu unterscheiden.

Ansgars Pfeil traf dicht oberhalb des linken Kniegelenks. Er war leicht nach unten gerichtet. Lambi entfuhr mit leisem Zischen der angehaltene Atem. Er stellte sich vor, wie der Pfeil durch Fleisch und Sehnen schnitt, um direkt ins Gelenk vorzudringen.

Der Troll stürzte der Länge nach. Er stieß einen gellenden Schmerzensschrei aus und rollte ein Stück den Hang hinab. Ein weiterer Pfeil traf ihn am Arm. Er versuchte aufzustehen, doch das verletzte Bein knickte sofort ein. In hilfloser Wut drohte er ihnen mit seiner Kriegskeule und schrie ihnen eine Herausforderung entgegen. Lambi konnte das nur vermuten. Welcher gescheite Mensch verstand schon die grunzende Sprache der Trolle!

»Geht hinunter und gebt ihm den Rest. Aber vorsichtig! Dann verscharrt ihn im Schnee und verwischt die Kampfspuren!«

Die Jüngsten aus der Kriegsschar stürmten los. Einen Troll zu töten, auch wenn er verwundet war, bedeutete Ruhm. Und je weniger Flaum einem auf den Wangen spross, desto mehr gierte man nach Schlachtenruhm.

»Kannst du dafür sorgen, dass er nicht noch zwei oder drei von diesen Trotteln erschlägt?«

Ansgar nickte stumm und wählte einen weiteren Pfeil aus. Der Troll war mehr als achtzig Schritt entfernt, und es wehte ein unbeständiger, böiger Wind. Das waren schlechte Voraussetzungen für einen guten Schuss. Die übrigen Bogenschützen hatten bereits wieder ihre Köcher bedeckt und nahmen die Sehnen von den Waffen. Sie wussten, dass keiner von ihnen Ansgar das Wasser reichen konnte.

Lambi ging in die Hocke. Sein Herz schlug ein wenig ruhiger. Er lächelte in sich hinein. Die Götter waren ihm gnädig. Er hatte seine Pause bekommen, ohne dass er jemanden darum hätte bitten müssen. Auch Firn meinte es gut mit ihnen. Bald würde es schneien. Und der Gott des Winters würde den Leichnam des Trolls verbergen, bis Tauwetter kam.

Der alte Recke beobachtete, wie die Jungen den Feind umkreisten. Auch jetzt, verwundet, war er noch immer ein tödlicher Gegner. Noch bevor ihr Kreis sich schloss, schnellte der zweite Pfeil von Ansgars Sehne. Er traf rechts, hoch in der Brust, dicht unter dem Schlüsselbein. Ansgar fluchte leise.

»Das war doch ein guter Schuss.«

Ansgar nahm ärgerlich die Sehne vom Bogen. »Zu böig«, murrte er. »Ich hatte auf sein Herz gezielt. Der Pfeil ist um sechs Handbreit fehlgegangen.«

Lambi zuckte mit den Schultern. Niemand außer Ansgar hätte das einen Fehlschuss genannt. Manchmal war es klüger, zu schweigen. Der Bogenschütze hatte kaum Freunde. Er galt als zu verbissen und eigenbrötlerisch. Niemand konnte den Maßstäben gerecht werden, die er für sich anlegte. Vielleicht wollte er auch keine Freunde. Die meiste Zeit war er allein in der Wildnis. Sein Grund, mitzukommen, war die Tatsache, dass auch Kadlin als eine gute Schützin galt. Auf einem Turnier, das Alfadas ausgerichtet hatte, war sie unter die Besten gekommen. Das allein zählte für Ansgar. Dass sie Königin war, war ihm egal.

Die Krieger, die den Troll umkreisten, wurden von zwei Bogenschützen begleitet. Die beiden schössen aus kurzer Entfernung auf den Verwundeten. Der Troll versuchte den Kreis seiner Henker zu durchbrechen. Er wollte zum Kamm des Hangs gelangen oder zumindest einen seiner Peiniger töten. Aber das verletzte Bein machte ihn zu langsam.

Die Krieger wichen ihm aus.

Es war ein ehrloses Gemetzel, dachte Lambi grimmig. Aber es gab keinen anderen Weg. Die Trolle waren zu starke Gegner. Wer sich ihnen unter gleichen Bedingun gen im Zweikampf stellte, der hatte keine Hoffnung zu gewinnen.

Sieben oder acht Pfeile steckten in der Brust des Trolls, als die mit Speeren bewaffneten Fjordländer vorstürmten. Der Hüne konnte nicht einmal mehr einen Arm zur Verteidigung heben, als sie über ihn kamen. Binnen Augenblicken war er niedergemacht. Einer der Männer trennte ihm den Kopf ab und hob ihn auf seinem Speer triumphierend in die Höhe.

Auch die anderen nahmen Trophäen. Einen Zeh oder Finger oder ein Stück Haut mit wulstigen Schmucknarben. Der Schnee war rot von Blut, als sie den Toten den Hang hinabrollten, um ihn neben einem Findling zu bestatten.

Einer der beiden Bogenschützen, die sich an der Hinrichtung des Verwundeten beteiligt hatten, stieg den Hügelkamm hinauf. Dort verharrte er nur einen einzigen Herzschlag lang. Dann kam er wild mit den Armen winkend zurückgelaufen.

Sofort war Lambi auf den Beinen. Nur einen Atemzug später erschienen zwei Trolle auf dem Hügelkamm. Sie blickten hinab auf den blutbesudelten Schnee. Einer winkte.

Wer war noch hinter dem Hügelkamm? Beide Trolle trugen große Schilde. Das bedeutete, dass sie weder Jäger noch Späher waren. Sie waren Krieger! Und Krieger waren nicht in Trupps zu zweit unterwegs.

»Bogenschützen!«, rief Lambi. Der Befehl war unnötig. Die Männer spannten bereits wieder die Waffen. Einem riss in der Hast die Sehne. Fluchend griff er nach dem kleinen Lederbeutel, den er um den Hals trug. Mit froststeifen Fingern versuchte er die Verschnürung zu öffnen.

Ansgar steckte eine Reihe von Pfeilen vor sich in den Schnee.

»Kommt zurück!«

Die Krieger unter ihnen in der Senke waren unschlüssig stehen geblieben. Doch ihr leichter Sieg machte sie tollkühn. Die beiden Bogenschützen legten auf die Trolle auf dem Kamm an.