»Trottel!«, fluchte Lambi leise. Dann schrie er aus Leibeskräften. »Zurück! Kommt sofort zurück!«
Ansgar neben ihm spannte den Bogen. Leise sirrend schnellte sein Pfeil durch die eisige Luft.
Lambi atmete zwei Mal tief ein. Er musste einen kühlen Kopf bewahren. »Bildet eine lockere Kampflinie entlang des Hügelkamms«, befahl er den Firnstaynern mit ruhiger Stimme. »Die Speerträger gehen in die erste Reihe, ein Stück den Hang hinab. Zwei Schritt hinter ihnen kommen die Schwert- und Axtkämpfer. Alle Bogenschützen bleiben auf dem Kamm. Versucht niemals, den Hieb eines Trolls zu parieren. Weicht aus! Habt ihr das verstanden?«
Manche der Männer nickten. Die meisten sagten gar nichts.
»Ich verspreche jedem, der sich nicht daran hält, dass ich ihm aufs Grab pissen werde, wenn das hier vorbei ist.« Ansgar lächelte grimmig.
Die beiden Trolle stürmten den Hang hinab. Ein Bogenschütze war ihr erstes Opfer.
Mit einem Schildstoß schickte ein Troll ihn in den Schnee. Im Vorbeilaufen sauste die mannslange Keule nieder. Die Wucht des Treffers schleuderte den Bogenschützen bis zum Grund der Senke, wo er mit verdrehten Gliedern reglos liegen blieb.
Die jungen Krieger kämpften tapfer. Sie versuchten die Trolle einzukreisen und einen Vorteil aus ihrer Überzahl zu gewinnen. Keiner lief davon.
»Wir sollten ihnen helfen, statt hier herumzustehen und zuzusehen, wie sie niedergemacht werden«, murrte ein Jüngling mit frostroten Wangen. Ein gellender Schrei unterstrich seine Worte. Ein weiterer Krieger war unter den wütenden Keulenhieben der Trolle gefallen.
Lambi wollte den Jüngling fragen, ob er sein Hirn im Nachttopf vergessen hätte, doch Ansgar kam ihm zuvor. »Hör auf einen Mann, der schon gegen Trolle gekämpft hat, bevor du geboren warst. Haltet die Linie und seht!«
Der Schütze hob seinen Bogen. Ein weiter Pfeil mit ro tem Schaft sirrte davon. Er traf einen der Trolle in die Wange und schlug durch den Mund, so dass die blutige Spitze durch die andere Wange wieder austrat.
Einige Männer jubelten. Ein Speerträger stieß dem verwundeten Troll seine Waffe den Rücken. Ein Rückhand-schlag löschte das Leben des Fjordländers aus, noch bevor der Troll in die Knie ging.
Sofort wurde er erneut angegriffen. Ein wuchtiger Axthieb traf seinen Nacken. Seine Augen wurden weit. Er spie Blut.
Einige der jüngeren Krieger lösten sich aus der Formation und stürmten den Hang hinab, um ihren Gefährten zu Hilfe zu kommen. Der Sieg war zum Greifen nahe, auch wenn der verbliebene Troll keine Anstalten machte, sich zurückzuziehen, sondern mit wütenden Schlachtrufen weiterfocht.
Dann brach das Verhängnis über sie herein. Binnen weniger Herzschläge erschienen Dutzende Trolle auf dem gegenüberliegenden Hügelkamm. Sie waren ungewöhnlich diszipliniert. Statt einfach vorzustürmen, verharrten sie. Rudelführer riefen Befehle.
Auf beiden Flanken lösten sich größere Trupps.
Lambi war klar, was das bedeutete. Dieser namenlose Hügel irgendwo im Trollland würde sein Grabhügel werden. Nie würde er erfahren, was aus seiner Königin geworden war.
»Bogner! Schießt nach eigenem Ermessen. Flügelmänner! Zurückgehen. Wir bilden einen Kreis auf der Mitte des Hügelkamms. Wir müssen die Bogenschützen decken.
Wir …«
Seine Worte gingen im Schlachtgebrüll der Trolle unter, die nun den Hang hinabstürmten. Sie liefen fast Schulter an Schulter. Ihre Schilde waren wie ein hölzerner Wall. Sie schützten sie von knapp unterhalb der Knie bis hinauf zum Kinn.
Bogenschützen konnten da nur noch auf Glückstreffer hoffen.
Als die Trolle auf die wenigen Krieger trafen, rissen diese Lücken in ihren Wall. Aber nicht weil die Fjordländer in ihrem Todesmut über sich hinauswuchsen, sondern weil die Trolle nun ihrerseits Jagd auf Trophäen machten. Die Pfeile der Bogenschützen fanden Ziele, doch nicht einmal Ansgar gelang ein Treffer, der einen Troll zu Boden gebracht hätte.
Lambi verhärtete sein Herz. Das Grauen, das sich unmittelbar vor seinen Augen abspielte, durfte sich nicht auf seine Entscheidungen auswirken. Er machte sich nichts vor. Nur der Kriegsgott Norgrimm oder vielleicht noch Luth der Schicksalsgott, dessen scharfe Klinge die Lebensfäden der Sterblichen durchtrennte, könnten ihnen helfen. Sie waren des Todes. Aber die Art, wie sie starben, mochte darüber entscheiden, ob die Trolle mordend und plündernd nach Firnstayn weiterzogen oder nach der Schlacht zur Nachtzinne zurückkehrten.
»Ruhig, Männer! Wartet, bis sie quieken, wenn sie auf eure Speere laufen. Auch sie bluten und verrecken.«
Lambi erkannte Narvgars Stimme. Der Krieger mit der großen Holzfälleraxt war so wie er ein Veteran aus der Snaiwamark. Obwohl er reich geworden war, hatte Narvgar nie eine wuchtige Kriegsaxt erworben. Er mochte es, wenn die Dinge einfach waren.
Dieselbe Axt, die Eichen und Fichten fällte, hatte auch schon in Trollfleisch geschnitten.
Die letzten Augenblicke vor einem Kampf verstrichen immer quälend langsam. Er wäre gerne kurz pissen gegangen. Merkwürdig. Auch das war immer gleich. Kurz vor dem Kampf hatte er das Gefühl, seine Blase sei zum Bersten gefüllt. Begannen die Kämpfe erst einmal, war das vergessen.
Lambi sah, wie ein Troll, dessen Gesicht von wulstigen Schmucknarben zerfurcht war, einen flüchtenden Bogenschützen beim Bein packte. Der Mann schlug der Länge nach in den Schnee. Schreiend versuchte er einen Halt zu finden. Vergeblich. Selbst wenn er eine Wurzel oder etwas anderes zu packen bekommen hätte, hätte er sich der überwältigenden Kraft des grauen Kriegers nicht widersetzen können. Strampelnd wurde er zurückgezogen. Der Troll stieß dem Schützen mit einer kurzen, harten Bewegung den Schildrand in den Nacken. Aller Widerstand zerbrach.
Lambi hob seine Axt. Sein Blick glitt über die Masse der Feinde. Noch zwei oder drei Herzschläge, dann würden sie die Speerträger in der ersten Reihe überrennen.
Von Liebe und gefangenen Träumen
Emerelle hatte sich in eine der Totenkammern zurückgezogen. Die Grauhäute, wie sie sich nannten, waren entwaffnet worden. Sie hatte Madra und den Lutin zusammen mit einigen Jägern ausgeschickt, um auch die Frauen, Kinder und Alten zu holen, die nicht weit entfernt in der Wüste auf die Rückkehr ihrer Krieger warteten. Neben ihr, zu Füßen der mumifizierten Toten, lag Ollowain. Er schlief. Er würde sich vollständig erholen.
Sie sollte ihn nicht einmal in Gedanken Ollowain nennen. Er war jetzt Falrach. Sie betrachtete sein ebenmäßiges, so vertrautes Gesicht. Der weiße Ritter der Shalyn Falah war so lange ihr Freund und Vertrauter gewesen. Es war schwer, ihn neben sich zu sehen und doch verloren zu haben.
Sie wusste, dass sie Falrach während des Liebesspiels mit Ollowains Namen angesprochen hatte. Es war nicht absichtlich geschehen. Wie tief ihn das verletzt haben mochte, konnte sie nicht ermessen. Er hatte versucht, sich nichts anmerken zu lassen, doch dies eine Wort hatte sein Feuer verlöschen lassen. Er war ein guter Liebhaber, war es schon immer gewesen. Es war leicht, sich ihm hinzugeben und zu genießen.
Emerelle lächelte sanft. Ollowain hingegen war wahrscheinlich eher unerfahren.
Eine einzelne Frauenstimme erklang vor der Hütte. Sie sang eine Totenklage. Es waren keine klaren Worte. Nur wimmernde Laute. Und doch sagten sie mehr über ihr Ge-fühl, als Worte es vermocht hätten. Ob es Oblons Witwe war?
Sie hatte versagt, dachte Emerelle. Sie hatte sich treiben lassen, statt zu führen. All dies hätte nicht geschehen müssen, wenn sie frühzeitiger auf Oblon gehört hätte. Seine Geschichten über Trolle hatte sie schlichtweg nicht ernst genommen. Wäre sie schon gestern Mittag zu Madra und Nikodemus gegangen, statt sich ihrer Lust hinzugeben, dann würde Oblon wahrscheinlich noch leben.
Ich bin nicht mehr die Königin, ermahnte sie sich in Gedanken! Ich bin frei. Aber hieß das, dass sie ohne jede Verantwortung war? Konnte sie so sein? Oder war sie sogar schon immer so gewesen? Um das Verbrannte Land hatte sie sich jahrhundertelang nicht gekümmert. Auch hatte sie keinen Statthalter bestimmt, der ihr berichtete, was hier geschah, oder zumindest ein paar Spitzel hier gehabt, so dass sie informiert wurde, ohne dass jemand mit Befehlsgewalt sie vor Ort vertrat. Wie viele Landstriche gab es noch, in denen Unterdrückung und Gewalt regierten? Zu lange hatte sie sich nur um das Herzland, die Südprovinzen und den Norden gekümmert. Dort drohten die Trolle, gegen die sie in so vielen Schlachten gekämpft hatte. Hier lagen die Fürstentümer der Elfen mit all ihren verborgenen Feinden, die ihr Leben, ihren Thron oder beides wollten. Der Devanthar, dessen Machenschaften sie nicht durchschaute, dessen Ziel ihr aber wohl bewusst war. Er wollte Albenmark zerstören. Vollkommen ohne Gnade. So wie einst die Zerbrochene Welt zerstört worden war. Und die Yingiz, die rätselhaften Seelenfresser aus dem Nichts. Kreaturen, von denen niemand wusste, wer sie erschaffen hatte oder woher sie gekommen waren. Sie war belagert von Feinden gewesen. Jeden Tag. Aber war dies nicht einfach nur eine Ausrede? Ihre Pflichten als Herrscherin Albenmarks waren umfassender. Hätte sie nicht mindestens Vertraute ausschicken müssen, die an ihrer Stelle die Augen offen hielten? War das ein Weg?