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»Ich bin Imaga«, sagte sie. Ihre Stimme war eine Überraschung. Sie klang jung und wohltönend. In Anbetracht der vielen Muschelhörner, die sie trug, hatte Emerelle mit einer älteren Frau gerechnet. Lehm, Gesichtsbemalung und ihre flachen Brüste hatten ihr Alter verschleiert.

»Es wäre gut, wenn deine Haut feucht wäre.« Sie setzte mit einem erleichterten Seufzer den schweren Tonkrug ab. »Wir werden keinen Lehm hier aus dem Fluss nehmen. Der ist nicht rein genug.« Sie deutete auf den Topf. »Dieser hier kommt aus dem Tal, in dem die Flügelpferde verbrannten. Er enthält eine Spur ihrer Asche. Alle Traumfänger benutzen ihn. Er ist erfüllt von starker Magie.«

Von den toten Pegasi zu hören, erstaunte Emerelle. Sie war überrascht, wie gut die Grauhäute die ältesten Legenden kannten. Geschichten, die andernorts schon vor vielen Jahrhunderten in Vergessenheit geraten waren. Wenngleich sie selbst den Tag, an dem die Pegasi starben, niemals, niemals aus ihren Erinnerungen würde verbannen können.

Die Elfe legte ihr Kleid ab und stieg in den seichten Fluss. Das Wasser war angenehm kühl.

Imaga goss aus einer ihrer Kürbisflaschen eine milchige Flüssigkeit in den Tonkrug.

Dann beugte sie sich vor und begann den Lehm zu kneten, der dabei satte, schmatzende Laute von sich gab.

Emerelle sah eine Weile zu. Und Imaga bedrängte sie weder mit Worten noch Gesten.

Sie war völlig in ihre Arbeit versunken. Die Schatten der Felsen streckten sich nach dem seichten Bach, als die Zeit verstrich. Endlich fasste Emerelle sich ein Herz. Sie stieg aus dem Wasser und kniete sich vor der Koboldfrau nieder. Diese begann sofort damit, die gefallene Herrscherin Albenmarks mit Lehm einzureiben. Er war warm und fühlte sich ein wenig seifig an.

Die kleinen, festen Hände rieben ihn tief in ihre Haut. Jede Pore nahm ihn auf. Imaga hatte ihr bereits beide Arme und den Hals eingerieben, als sie das Schweigen brach.

»Du musst das Hattah nehmen, Herrin. Sonst wirst du nicht wissen, welches Netz du tragen musst, um die bösen Träume zu fangen.«

Emerelle nickte, und Imaga öffnete eines der kleinen Gefäße an ihrem Gürtel. Sie holte etwas daraus hervor, das an ein münzgroßes Stück verschrumpelte, rosige Haut erinnerte.

Die Elfe öffnete den Mund, und Imaga legte ihr das Hattah mit ihren lehmverkrusteten Fingern auf die Zunge. Sie spürte, wie sich ihr Speichel unter dem getrockneten Kakteenfleisch sammelte. Langsam breitete sich ein warmes, sinnliches Gefühl in ihr aus.

Es war wie die Berührung durch den Liebsten und sickerte in all ihre Glieder. Sie fühlte sich ein wenig schwindelig. Stärker als zuvor empfand sie die Hände, die den Lehm in ihre Haut massierten. Imaga arbeitete jetzt an ihren Schultern. Und dünne Rinnsale schmutzig grauen Wassers rannen der Königin zwischen den Brüsten hinab.

Ein Seufzer entfuhr ihr ungewollt. Das sinnliche Gefühl drang in ihre Gedanken und spülte die Erinnerung an Falrachs Umarmungen frei. Daran, wie sie sich zwischen den schwarzen Stoppeln eines frisch niedergebrannten Kornfeldes geliebt hatten, und ein anderes Mal auf Seidenlaken im Haus ihres Bruders Meliander. An seine geflüsterten Liebesschwüre. An ihre Eifersucht auf die Blicke anderer Elfen, die er stets auf sich zog, wenn sie in Gesellschaft waren. Daran, wie sie seine Erfahrenheit im Liebesspiel genossen und gehasst hatte. Nie wollte er ihr verraten, bei wie vielen Frauen er vor ihr schon gelegen hatte. Sie war in den körperlichen Spielarten der Liebe recht einfallslos gewesen. Anfangs. Dann war sie ihm regelrecht verfallen gewesen. Eine Zeit lang.

Die warmen, knetenden Hände, der feuchte Lehm, der nun überall zu sein schien, und die Droge machten die Erinnerungen an vergangene Liebesspiele so wirklich, wie sie nie in all den ungezählten Nächten der Sehnsucht nach Falrach gewesen waren. Den Nächten, in denen sie allein gelegen hatte und überzeugt gewesen war, dass es bis ans Ende aller Zeiten so sein würde. Den Nächten nach seinem Tod.

Sie griff in den grobkörnigen Sand des Ufers, überwältigt von dem plötzlichen Verlangen, etwas zu berühren.

Imaga rieb ihr die Brüste mit Lehm ein. So oft hatten Fairachs Hände dort gelegen.

»Beuge dein Haupt, Herrin.«

Sie gehorchte dem Koboldweib. Ihre Haare wurden zu zähen Lehmschlangen, die schwer von ihren Schläfen hingen.

»Schließ die Augen!«

Die Hände bedeckten ihr Gesicht. Vorsichtiger diesmal. Lehmdurchsetztes Wasser sickerte durch ihre Lippen und vermischte sich mit dem Geschmack des Hattah zu etwas Weichem, Pelzigen, das sich auf ihre Zunge und die Zähne legte. Sie schluckte.

Der Speichel, der ihre Kehle hinabrann, schien mit jedem Zoll, den er tiefer in ihren Leib drang, heißer zu werden, bis er brannte wie die gleißende Glut eines Blitzschlages, gebannt in einen einzigen Tropfen.

Das Licht durchdrang sie. Ihr Blick würde wie flammende Speere sein, wenn sie jetzt die Augen öffnete.

Vage spürte sie, wie ihre Finger durch den Sand fuhren. Dem Durchdrungen sein von Licht folgte ein Gefühl, als seien all ihre Kräfte aufgezehrt. Eine Mattigkeit, die bis ins Innere ihrer Knochen zu greifen schien.

Sie glaubte, sich etwas lallen zu hören. War sich aber nicht sicher, ob die Laute am Ende doch nur Erinnerungsfetzen an lang vergangene Gespräche waren. Hunderte Bilder aus ihrer Vergangenheit bestürmten sie in Gedanken. Es war ein Gefühl, als falle sie durch ihr eigenes Leben zurück zum Augenblick ihrer Geburt. Plötzlich war da nur noch Finsternis. Sie spürte, wie sie belauert wurde. Und sie spürte Geröll unter ihren nackten Füßen!

Erschrocken riss sie die lehmverklebten Augenlider auf. Sie blieb stehen und sah sich verwundert um. Es war Nacht geworden. Die Landschaft, die sie umgab, war fremd.

Weder der Bach noch das Dorf oder eine einzige ihr bekannte Felsformation waren zu entdecken. Ihre Füße schmerzten. Sie bluteten! Wie lange war sie gegangen? Sie sah an sich hinab. Ein aufwendiges Muster aus verschlungenen Kalklinien bedeckte ihren Bauch und ihre Brüste. Vor ihr erhob sich eine Felsnadel aus dem Geröll. Wie ein astloser Baumstumpf ragte sie auf. Emerelle wusste, dass sie am Ziel war.

Shi-Handan

Alathaia hatte sie warten lassen. Zwei Tage waren vergangen, seit sie die Karfunkelsteine gefunden hatte. Zeit genug, alles vorzubereiten. Und Zeit genug zu bemerken, dass mit Birga eine seltsame Veränderung vorgegangen war. Sie hatte bessere Laune. Und sie wirkte selbstsicherer. Ihre Aura erstrahlte in einem ganz neuen Farbspektrum. Skanga war sich sicher, dass Alathaia etwas mit dieser Veränderung zu tun hatte. Und Birga war, wie es schien, dämlich genug, zu glauben, dass die Elfe ihr einen Gefallen getan hatte. Am liebsten hätte Skanga die dumme Kuh davongejagt.

Aber sie hatte zu viel Mühen in die junge Schamanin gesteckt. Sie wusste schon zu viel, um sie einfach ziehen zu lassen. Und sie zu töten, wäre dumm, es würde viele Jahre dauern, sich eine neue Dienerin wie Birga heranzuziehen.

Sie so zu verändern, empfand Skanga als einen Angriff Alathaias. Leider hatte sie keine andere Wahl, als mit der Elfenfürstin zu paktieren. Voller Selbstgefälligkeit stand die Fürstin inmitten des Thronsaals. Erst vor wenigen Augenblicken hatte sich das Tor im Albenstern geschlossen. Noch lag ein Abglanz seiner machtvollen Magie im weiten Thronsaal und überlagerte die Auren der Anwesenden.

Skanga hatte Madrog, den Anführer der Spinnenmänner, hierherbefohlen, aber er war nicht erschienen. Er hatte nur die zehn Armbrustschützen geschickt, nach denen sie ebenfalls verlangt hatte. Skanga war sich ziemlich sicher, dass der Spinnenmann in der Nähe war. Der Palast war durchzogen von geheimen Tunneln, Gängen und Gewölben.

Die meisten waren den Elfen sicherlich bekannt gewesen und mit deren Bil igung schon beim Bau der Burg errichtet worden. So konnten sich die zahllosen Kobolddiener unauffällig bewegen. Sie waren immer nahe, ohne mit ihren verwachsenen kleinen Leibern das elfische Empfinden für Schönheit zu stören. Diese Gänge und Tunnel waren so eng, dass sich darin nur Kobolde leicht bewegen konnten. Für einen Elfen wäre es schwierig gewesen, dorthin vorzudringen. Vielleicht wenn er auf allen vieren kroch. Für einen Troll war es völlig unmöglich, in dieses Gangsystem einzudringen. So hatten die Kobolde ihre eigene, unangreifbare Burg inmitten der Burg. Skanga wusste genau, dass sich Elija Glops diesen Umstand zunutze machte. Er saß in den verborgenen Kammern zusammen mit seinen Volksräten, wie sich die Abgesandten der Kobolde aus fremden Städten inzwischen nannten. Sie redeten, machten Pläne, ohne dass ein Troll dabei war. Es war höchste Zeit, ihren Verbündeten eine kleine Lektion zu erteilen. Skanga hatte den Bezug eines Stuhls herabreißen lassen, auf dem Madrog erst vor zwei Tagen bei einem Festmahl gesessen hatte. Während die Trolle im Festsaal um ein Feuer auf dem Boden kauerten und Fleisch brieten, gefiel es den Kobolden, die Tischsitten der Elfen nachzuäffen. Sie errichteten lange Tafeln, auf denen weißes Tuch ausgebreitet wurde, stellten goldene Teller und Kerzenhalter darauf und ließen sich bedienen. Hier auf der Burg gab es viele Elfendiener. Wie es anderswo war, wusste Skanga nicht. Elija hatte die Praxis eingeführt, dass man gefangene Elfen vor Körperstrafen bewahren konnte, wenn Freunde und Verwandte von ihnen als einfache Diener für die Kobolde arbeiteten. Der Fuchsmann redete von Umerziehung und davon, dass der verdrehte Geist der Elfen nur durch die einfachen Freuden ehrlicher schwerer Arbeit gerade gerücktwerden könne.