Skanga spürte, wie sie auf sie anlegten. Ein heiserer Fluch verwandelte die Bolzen auf den Waffen und in den Köchern in Würmer.
Einige der Kobolde schrien in hellem Entsetzen auf. Sie ahnten, dass auch ihnen ein Platz in diesem Ritual zugedacht war. Einige sanken um Gnade wimmernd in die Knie. Die Übrigen flohen zum hohen Portal, das vom Thronsaal in den Palast führte.
Ein Fingerschnippen Skangas ließ die hohen Bronzepforten zuschlagen. Sie umklammerte jetzt mit der Linken den Albenstein, den sie um den Hals trug. Seine angenehme Wärme gab ihr Kraft. Erneut widmete sie sich dem magischen Tor. Zoll um Zoll zwang sie es weiter auf. Plötzlich mischte sich die Stimme Alathaias unter die ihre.
Die Elfe half!
Endlich war es geschafft. Das Tor ins Nichts klaffte wie eine große, schwarze Wunde inmitten des Thronsaals. Anders als sonst war kein leuchtender Albenpfad zu sehen.
Die Schamanin wandte sich den drei Elfen zu. »Ihr riecht nach nichts. Das bisschen Blut, das geflossen ist, genügt nicht. Die Yingiz sollen schließlich wissen, wohin sie gehen müssen, wenn sie uns gefunden haben.«
Kälte durchdrang den Thronsaal. Skanga ging zum Thron und nahm einen Lederschlauch auf, den sie bereitgelegt hatte. Unter den bangen Blicken der Elfen nahm sie einen großen Schluck daraus. Dann trat sie an deren Bannkreis und prustete die Flüssigkeit zwischen zusammengepressten Lippen hinaus. »Lebertran und Gelgerokblut! Nun riecht ihr wenigstens nach etwas.«
Sie rief ein Wort der Macht, und alle Kerzen flammten gleichzeitig auf.
Der säuerliche Gestank der Angst drang ihr in die Nase. Es waren vor allem die Kobolde. Aber auch die Elfen hatten ihren Hochmut abgelegt.
Skanga sammelte sich. Sie stieß einen Laut wie ein keh liges Husten aus. Es folgten Worte, die keiner lebenden Sprache entstammten. Worte, die sie unter namenloser Qual einst von ihrer Meisterin Mahta Naht erlernt hatte.
Worte, die in jener Finsternis, in der keines der Gesetze Albenmarks mehr galt, Gehör finden würden.
Es wurde kälter im Thronsaal. Das Wimmern der Kobolde wurde leiser. Sie krümmten sich zusammen und schienen noch ein wenig kleiner zu werden. Das Fleisch schmolz von ihren Knochen, bis die Haut in schlaffen Säcken herabhing. Aus ihren klaffenden Mäulern troffen Fäden aus klebrigem, goldenem Licht. Sich schwerelos windend, tanzten sie zu Skangas Gesang und verschwanden durch das magische Tor ins Nichts.
Noch waren die Kobolde nicht tot, auch wenn ihre Körper nur noch groteske Parodien dessen darstellten, was sie noch vor Augenblicken gewesen waren. Ihre Auren waren fast verblasst. Sie waren unrettbar verloren. Ihr Zauber hatte ihnen all ihre Lebenskraft entzogen. Die Essenz dessen, was sie waren. Sie waren mehr als nur tot, wenn das goldene Licht verlosch. Sie waren herausgerissen aus dem Zyklus von Tod und Wiedergeburt. Sie waren ausgelöscht für alle Zeit. Und ihr Tod diente einzig dazu, die Yingiz anzulocken. Ihr goldenes Licht, das sich vorsichtig ins Dunkel tastete, würde die Schattengestalten neugierig machen.
Die drei Elfen aus Alathaias Leibwache schwitzten nicht. Man roch ihre Furcht nicht.
Aber ihre Auren erstrahlten in dem klaren Blau ungezügelter Angst. Nichts, was immer auch Alathaia ihnen erzählt haben mochte, hätte sie auf das vorbereiten können, was nun geschehen würde.
Ein hechelnder Laut drang aus der dunklen Pforte inmitten des Thronsaals. Die goldenen Fäden hingen leicht vibrierend in der Luft. Ein hauchzartes Band endete in den Körpern der Kobolde. Noch war es mit ihnen nicht vorbei.
Das Dunkel jenseits der Pforte schien zu erzittern. Plötzlich stand Skanga der Atem vor dem Mund. Die Kälte schlug so stark in den Thronsaal, dass sie wie eine körperliche Berührung war. Das Geräusch des fallenden Wassers veränderte sich. Dann erstarb es ganz. Nur das feine Knistern von Eis war noch zu hören.
Sie waren reine Dunkelheit. Einen Augenblick sah es aus, als wolle sich die Finsternis aus der magischen Pforte hinauswölben. Dann war der Erste da. Er folgte einem der Lichtfäden, die er gierig verschlang. Ein Zweiter erschien. Sie gaben hechelnde Laute von sich. Laute ungezügelter Gier. Ein Dritter erschien.
Skanga musste sich zwingen, das Wort der Macht über ihre von der Kälte rissigen Lippen zu bringen. Binnen eines Lidschlags verschwand die dunkle Pforte. Aber nicht die Kreaturen. Die Yingiz hielten nicht inne. Ihre Gier nach dem Lebenslicht der Kobolde ließ sie alles andere vergessen.
Skanga sah zu, wie sie ihre stumpfen Schnauzen in die Brustkörbe der Kobolde stießen. Die Auren verloschen. Die Schatten balgten um den letzten Lebensfaden. Ihre Erscheinung erinnerte an große schwanzlose Hunde. Doch war ihre Form veränderlich. Nicht ganz klar umrissen. Sie streiften nun durch den Thronsaal, in dem sie die Macht ihrer Beschwörung gefangen hielt.
Schnuppernd untersuchten sie die Dinge, die auf dem Podest des Throns lagen. Auch den Bezug des Stuhls, auf dem Madrog gesessen hatte. Dann begannen sie Skanga zu umkreisen.
»Die Alben haben euch eure Leiber genommen und in die Finsternis gestoßen. Ihr seid hier, weil ich euch gerufen habe! Ihr seid gefangen im goldenen Netz, das eure Finsternis umschließt. Ich weiß, wie sehr ihr euch nach Körpern sehnt. Danach, mehr zu spüren als Hass. Den Wind auf eurer Haut. Den Geschmack von Blut auf den Lippen. Ich kann euch all dies geben. Oder euch zurück in die Dunkelheit stoßen.«
Einer der Schatten sprang Skanga an. Grelles Licht flammte auf. So hell, dass es selbst durch ihre toten Augen brannte. Ein schriller Klagelaut erklang, der die Kaskaden aus Eis entlang der Wände leise klirren ließ. Der Schatten, der sie angegriffen hatte, hatte an Substanz verloren. Er war kleiner geworden. Wie ein geprügelter Hund glitt er von ihr fort.
Der Albenstein auf ihrer Brust war so heiß geworden, dass er ihr Fleisch verbrannt hatte. Wie vielen solchen Angriffen könnte sie widerstehen? »Glaubt ihr, ich hätte euch gerufen, wenn ich mich nicht vor euch schützen könnte? Ich könnte euch verschlingen, wenn ich wollte! Seht ihn euch an! Seht, was eine einzige Berührung vermochte! Ich lösche euch aus, wenn ihr mir nicht gehorcht!« Das lag jenseits ihrer Möglichkeiten, aber das konnten sie ja nicht wissen. Sie konnte ihnen Schmerzen bereiten. Töten konnte sie einen Yingiz nicht.
»Ihr werdet meine Henker sein! Ich werde euch das Lebenslicht meiner Feinde schenken. Heute noch richtet ihr einen Verräter für mich. Und dann sucht ihr Emerelle, die Königin der Elfen. Ihr Licht ist stark und alt. Findet sie. Tötet sie, und ich erfülle euch euren sehnlichsten Wunsch. Ich kleide euch in Fleisch!«
Skanga empfand es als beunruhigend, bei den Schattengestalten nicht in Auren lesen zu können. Auch sie verspürte aufkeimende Angst. Mit diesen Kreaturen konnte man keinen Pakt eingehen. Sie würden sich an kein gegebenes Wort halten. Sie sprachen ja nicht einmal. Die Schamanin strich über das Amulett mit dem Albenstein. Seine Kraft zu spüren, half gegen die Angst. Sie war nicht wehrlos! Und auch ihr stand es frei, sich an ein gegebenes Wort nicht zu halten.
Die Schamanin deutete auf den Bannkreis mit den drei Elfen. »Sie sind erwählt, euch einen Körper zu geben, der es euch erlaubt, die Pfade der Alben zu nutzen. Das Goldene Netz wird euch kein Gefängnis mehr sein.«
Skanga blickte zu Alathaias Leibwachen. Sie hätte zu gern gewusst, was die Fürstin den drei Elfen gesagt hatte.
Was sie erwartete, war schlimmer als der Tod. Sie hatten Angst, aber sie machten keinerlei Versuch, aus dem Bannkreis auszubrechen oder um Gnade zu bitten.
»Nehmt euch die Körper! Ihr wisst, was ich von euch erwarte!« Mit diesen Worten setzte Skanga einen Fuß auf die weiße Kreidelinie und verwischte sie. Wie Rauch flössen die Schatten in den Schutzzirkel. In dunklen Schlieren tanzten sie um die Leiber der Elfen. Das Haar der drei überzog sich mit Raureif, so dass es aussah, als sei es binnen eines Herzschlags weiß geworden. Sie waren wie schwarze Schlangen.
Skanga wusste, was geschehen würde. Doch auch sie vermochte es eine ganze Weile nicht wahrzunehmen. Die Elfen atmeten den Schatten ein. Sie kämpften dagegen an.