Je weiter sie hinaufkamen, desto schäbiger sah die Treppe aus. Die Wände waren mit nicht ganz passenden Steinen repariert. Der Putz, den man über den beschädigten Stellen aufgebracht hatte, bröckelte bereits wieder ab.
Der Mann mit dem Löwenamulett blieb vor einer Tür stehen, die ganz aus Gold gefertigt zu sein schien. In der oberen Hälfte war eine Sonnenscheibe in das Gold gearbeitet. Weiter unten sah man Männer mit Tierköpfen vor einem Haus stehen, das von Säulen umringt war.
Ihr Führer klopfte laut.
Elodia trat noch näher an die Tür. Obwohl die Figuren darauf kleiner als ihr kleiner Finger waren, konnte man sie sehr deutlich erkennen. Einer der Männer hatte einen Wildschweinkopf. Ein anderer den Kopf eines Pferdes. Ob das Masken waren?
Die Tür schwang auf. Stickige Wärme schlug ihnen entgegen. Die Luft war von Wohlgerüchen erfüllt, wie Elodia sie aus den Tempeltürmen der Tjuredkirche kannte.
Und noch andere, fremde Gerüche waren dabei.
Breite, halb durchsichtige weiße Stoffbahnen hingen von der Decke. Sie sah Bronzebecken auf massigen Ständern mit Löwenfüßen, in denen Kohlen glommen.
Überall waren Kerzen.
Sie hatte den Raum kaum betreten und begann schon zu schwitzen.
1 Durch die wogenden Stoffbahnen konnte man nicht einschätzen, wie groß das Zimmer war. Sie blickte zur Decke empor. Sie war aus Gips oder weißem Stein gefertigt. In den Stein waren Pferde mit Adlerflügeln geschnitten. Sie sahen wunderschön aus. Die Decke war bestimmt sechs Schritt hoch.
»Komm!« Ihr Begleiter zog sie ungeduldig am Ärmel. Vor ihnen schob ein Krieger eine Stoffbahn zur Seite. Der Ritter trug das Stierkopfwappen der Leibwache des Königs auf seinem Waffenrock. Auch er erschien Elodia unglaublich groß. Er hatte den Schädel kahlrasiert und eine Nase wie ein Messer. Sein Blick verhüllte nicht, woran er dachte, als er sie ansah.
Ihr Führer musste diesen Blick bemerkt haben. Er sagte allerdings nichts.
Weitere Stoffbahnen glitten wie von Geisterhand gezogen zur Seite. Dann standen sie vor dem Bett. Hunderte Kerzen hüllten es in goldenes Licht. Es stand leicht erhöht.
Man musste drei Stufen hinaufsteigen, wenn man an es herantreten wollte.
Ihr Begleiter ließ ihren Ärmel los. Auch vor das Bett waren halb durchscheinende Tücher gespannt. Es war unglaublich groß. Der Mann, den man als vagen Schemen erahnen konnte, wirkte darin klein und zerbrechlich.
»Wenn sie nicht so hübsch ist, wie du gesagt hast, dann lasse ich dich aus dem Fenster stürzen.« Die Stimme war kraftvoller, als Elodia es bei einem so alten Mann erwartet hätte.
»Ich verspreche dir, mein König, du wirst nicht enttäuscht sein.«
»Ja, ja. Das versprecht ihr immer alle ... Ich will sie sehen!« Augenblicklich glitten die Vorhänge vor dem Bett auseinander. Elodia sah, dass sie von dünnen Kordeln gezogen wurden und nicht von Geistern. Die Diener, die dies taten, blieben jedoch ihren Blicken verborgen.
»Komm, Mädchen, komm.« Er sprach, wie man zu einem scheuen Zicklein sprach.
»Meine Augen sind nicht mehr so gut. Du hast die Erlaubnis, dich auf mein Bett zu setzen, damit ich dich besser betrachten kann.«
Sie sah ihn sehr deutlich. Man hatte ihm Kissen hinter den Rücken gestopft, damit es ihm leichterfiel, zu sitzen. Seine Augen lagen unnatürlich weit auseinander. Etwas war mit seiner Nase ... Sie sah aus, als sei sie halb weggefressen. Schlecht verheiltes Fleisch lag offen zutage. Von seinem Kopf hingen nur ein paar dünne Strähnen weißen Haares. Ansonsten war er kahl. Seine Lippen waren so dünn, als habe man ihm den Mund mit einem Messerschnitt ins Gesicht gekerbt. Ein Labyrinth von Falten furchte seinen Hals. Eine Decke war bis weit auf seine Brust hinaufgezogen. Der König war so schmal und ausgezehrt wie ein zehnjähriger Bettlerjunge. Ein Arm lag auf der Decke. Blaue Adern schimmerten durch milchweiße Haut. Überall waren verschorfte Stellen, und auf seinem Handrücken sah Elodia eine offene Wunde. Mit rotbrauner Tinte hatte man verschlungene Muster auf seine Haut getupft. Vielleicht Zauberzeichen? Ein riesiger Ring steckte auf dem Mittel- und Zeigefinger des Königs.
Ein in Gold gefasster Stein prangte darauf. Er zeigte einen roten Stierkopf auf weißem Grund.
»So stellt sich ein junges Mädchen wohl nicht seinen Liebhaber vor?« Ein volltönendes Lachen begleitete seine Worte. »Ich muss zugeben, Balduin hat nicht gelogen. Du bist hübsch!«
Elodia ekelte sich vor ihm, aber sie versuchte ein kokettes Lächeln und betete zu allen Göttern, dass er nicht erriet, wie sehr sie ihn verabscheute. Sie blickte ihm jetzt geradewegs in die Augen, so musste sie den jämmerlichen Rest nicht sehen. Seine Augen waren von tiefem Grün. Sie wirkten nicht alt, obwohl feine rote Äderchen das Weiß durchzogen.
»Hat Balduin dir nicht gesagt, dass man seinen König nicht anstarrt wie einen Tanzbären auf dem Marktplatz?«
Erschrocken senkte sie den Blick. »Verzeih.«
»Tjured sei Dank, du hast eine Zunge. Ohne Zunge wärst du auch nicht zu gebrauchen. Jetzt zieh dich aus!«
Elodia hatte sich schon etlichen Männern hingegeben. Aber meistens war es eine schnelle, hektische Liebe gewesen. Sie hatte ihren Rock gehoben, die Beine breit gemacht und fest an etwas anders gedacht, bis es vorüber war. Nur dreimal hatte sie zärtlichere Liebhaber gehabt, die sie entkleideten, sie dabei streichelten und so romantische Worte fanden, dass sie fast vergessen hätte, dass es nur ein Geschäft war.
Scheu öffnete sie die Brosche ihres Umhangs. Dann streifte sie das Mieder ab, das sie über dem Kleid trug. Ihre Hände zitterten, als sie die Brustschnüre ihres Kleides öffnete. Sie sah, wie dem König ein Speichelfaden über das Kinn lief.
Elodia atmete schwer aus. Dann streifte sie das Kleid zusammen mit dem fadenscheinigen Untergewand über den Kopf.
Jetzt trug sie nur noch den Stoffgürtel, mit den Lederriemchen, die ihre Beinlinge hielten. Und ihre schäbigen, vom Straßenschlamm bedeckten Holzschuhe.
»Das reicht.« Cabezan klopfte mit der Hand neben sich auf das Bett. »Setz dich hier hin. Ich will dich berühren. Und ich will dich riechen.«
Eine Gänsehaut kroch über ihren ganzen Leib. Hoffentlich sah der König nicht mehr gut genug, um es zu bemerken.
Sie gehorchte. Das Betttuch war so zart wie kein anderer Stoff, den sie je berührt hatte.
Von Cabezan ging ein unangenehmer Geruch aus. So nah, wie sie ihm nun war, vermochte auch der Weihrauch den Gestank nicht mehr zu überdecken. Der König roch nach fauligem Fleisch!
»Du bist also eine Hure, die es mit Fleischhauern und anderen armen Würstchen treibt.« Balduin kicherte.
Sie brachte keinen Laut hervor.
»Du bist dumm!« Er legte ihr seine Hand auf den Schenkel. Seine Finger streichelten über ihre Haut. »Du könntest Gold statt Würste bekommen, wenn du zu den richtigen Männern gingest. Wie alt bist du?«
»Sechzehn Sommer.«
Er stieß einen tiefen Seufzer aus. »Sechzehn. Das ist gut. Sehr gut...« Er zupfte an ihrem Schamhaar. »Und das hier ist zu bäuerlich!«
Sie wich ein klein wenig zurück. Die Hand des Königs krallte sich in das Fleisch ihres Oberschenkels. Durch die Bewegung hob sich seine Decke kurz, und ein überwältigender Gestank stieg auf. Sie hielt den Atem an und musste die Augen schließen.
Verzweifelt kämpfte sie gegen den Würgereiz an, den der Verwesungsgeruch bei ihr auslöste.
»Gefällt dir mein Parfüm? Tjured ist ein Bastard! Er gefällt mir umso besser, je mehr ich von ihm höre. Schenkt mir Unsterblichkeit und sorgt zugleich dafür, dass ich keinen Spaß an meinem Leben habe. Weißt du, Mädchen, früher, da hätte ich es mit dir getan ... « Seine schmale, dunkle Zunge stach obszön zwischen seinen Lippen hervor. »Leider hat mir Tjured auch diesen Spaß genommen. Manchmal lade ich Tankret ein, irgendeine Dirne neben mir auf dem Bett zu vögeln. Aber zuzuschauen, ist einfach nicht dasselbe.« Er nickte in Richtung der Tür. »Tankret ist mein Leibwächter. Er hat nur eine einzige Tugend. Er ist mir treu. Ansonsten ist er völlig ohne Moral. Aber lassen wir das. Weißt du, woran es meinem Königreich mangelt?«