Endlich zog er die Hand zurück. Ohne zu fragen, griff sie nach dem Weinpokal und trank noch einen Schluck.
Cabezan sah sie an, und ein erstes, dünnes Lächeln spielte um seine Lippen und grub tiefe Furchen in seine Mundwinkel. »Die meisten hätten das nicht über sich gebracht.
Ich werde dich brauchen können. Damit du ganz und gar verstehst wozu, werde ich ein wenig ausholen müssen ... Ich sagte dir ja bereits, wie kostspielig meine Liebe zur Vergangenheit ist. Auch wenn ich König bin, kann ich leider kein Gold scheißen.
Meine Mittel sind begrenzt. Du kannst dir nicht vorstellen, wie teuer es ist, Kriegsschiffe zu unterhalten. Krieger und Ritter wollen ihren Sold. Waffen und Rüstungen müssen bezahlt werden.
Sie verschlingen unglaubliche Summen. Nun hat mir mein etwas beschränkter Priester schon vor einiger Zeit eine Predigt gehalten, in der es darum geht, dass Tjured sich Frieden auf Erden wünscht. Und dass man Liebe zeugen soll statt Krieg. Diese Worte sind mir lange im Kopf umgegangen. Fast alle Länder rings um Fargon sind ärmer als wir. Sie schauen voller Neid auf unsere Städte. Da gibt es die Barbaren in den Wäldern von Drusna und die Piraten im fernen Fjordland, die jetzt angeblich eine Kriegerkönigin auf ihren Thron gesetzt haben. Gefährlicher noch ist Angnos, wo man die letzte Niederlage gegen die Heere Fargons nicht vergessen hat und immer noch auf Rache sinnt. Dann wären da noch die Piraten auf den Aegilischen Inseln ... Ich könnte wohl noch endlos weiterreden. An Feinden herrscht leider nie Mangel. Die Worte des Priesters haben mich darin bestärkt, einen neuen Weg zu suchen. Nach reiflicher Überlegung bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die richtige Frau im richtigen Bett leicht tausend Krieger ersetzen kann. Allerdings müssen dies sehr besondere Frauen sein. Schön zu sein, so wie du es bist, genügt nicht. Diese Frauen müssen klug sein. Sie müssen lesen und schreiben können. Sie müssen mir unverbrüchlich ergeben sein. Sie müssen willig sein, Dinge zu tun, die nicht einmal die niedersten Straßendirnen tun würden, und das so gut, dass sie wie eine Droge sind. Die Männer, die die besondere Gunst genießen, mit diesen Frauen ihr Lager und vielleicht auch ihr Leben zu teilen, müssen ihnen mit Körper und Geist verfallen sein. Sie müssen Frauen sein, wie es sie im wirklichen Leben nicht gibt. Vollkommene Geliebte, aber auch Gefährten. Kannst du dir vorstellen, eine solche Frau für mich zu werden? Die Hure deines Königs, die niemals das Lager mit mir teilte. Und die jeden Mann, dem sie sich hingibt, betrügt, weil sie stets nur an die Interessen Fargons denkt.«
Elodia konnte sich vorstellen, was aus ihr werden würde, wenn sie Nein sagte. Sie wusste inzwischen, dass alle Badehäuser des Königreiches von Beamten des Königs beaufsichtigt wurden. Für jeden Beischlaf, der dort stattfand, floss Gold in die Kassen des Königs. Sie war sich ganz sicher, dass man sie in eines dieser Häuser bringen würde, wenn sie Cabezan nicht zu Willen war. Was sie nicht wusste, war, welches Schicksal dann ihren kleinen Bruder erwartete.
»Was wird mein Lohn sein, wenn ich eine Hure für das Königreich werde?«
Cabezan lachte leise. »Wie ich sehe, hast du die richtige Einstellung zu deiner Arbeit.
Mein Preis ist dein Bruder. Er wird eine Ausbildung an meinem Hof bekommen. Man wird feststellen, wozu er sich am besten eignet. Ob er ein Krieger oder ein Schreiber in meinem Scriptorium werden sollte. Oder vielleicht einer der Gelehrten, die für mich nach Relikten der fernen Vergangenheit suchen. Wenn er ins rechte Alter kommt, werde ich für ihn ein Mädchen aus gutem Hause aussuchen. Wenn er das Zeug dazu hat, dann wird er es in meinem Königreich weit bringen. Darauf hast du mein Wort als König.«
Das war mehr, als Elodia zu hoffen gewagt hatte. »Das ist großzügig. Was soll ich nun tun?«
Der König nahm die Hand von ihrem Schenkel. »Morgen wird jemand kommen und dich fortbringen. Du wirst auf deine neue Zukunft vorbereitet werden. Man wird dir einen neuen Namen geben. Und du wirst deinen Bruder und auch sonst niemanden, den du kennst, noch einmal wiedersehen. Es wäre schlecht, wenn dein Bruder wüsste, was du bist.«
»Ja«, sagte sie kleinlaut.
»Du kannst ihm schreiben. Sag, du hättest dich in ein Refugium der Tjuredpriester zurückgezogen. Schreib, es sei dein Preis für seine Zukunft gewesen.«
»Darf ich mich noch von ihm verabschieden?«
»Balduin wird dir jeden Wunsch erfüllen. Aber morgen bei Sonnenaufgang beginnt dein Dienst für dein Königreich. Von da an gehörst du ganz mir. Dies ist die letzte Nacht des Blumenmädchens Elodia. Sehr bald schon wird niemand, der dir früher einmal begegnet ist, dich wiedererkennen. Du sollst mein schärfstes Schwert werden. Und wenn du mir gute Dienste leistest, wird dein Bruder in höchste Würden aufsteigen. Nun geh! Du hast gewiss noch viel mit deinem Bruder zu besprechen.«
Ein Kinderstreich
Nikodemus hielt den Atem an und pinkelte auf den schmutzigen Stoffstreifen. Sein Urin hatte eine dunkle, fast braune Farbe. Der Lutin war sich sicher, dass das Gift des Landes schon in seinen Körper eingedrungen war! Nie zuvor hatte er etwas wie die Schwefelwüste gesehen! Ein Land voller Gift. Am Boden und in der Luft.
Mit spitzen Fingern nahm er das Stück Stoff auf. Seine Lungen begannen zu brennen.
Voller Ekel wickelte er sich den Stoff um Nase und Schnauze. Alle taten das. Alle au-
ßer Emerelle!
Der Gestank des durchtränkten Stoffs war ungeheuerlich. Nikodemus kämpfte gegen den aufkommenden Brechreiz an. Er atmete zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch. Jeder Atemzug machte ein zischendes Geräusch. Widerlich!
Er beeilte sich, um wieder zu den anderen aufzuschließen. Sie zogen an einem ausgetrockneten Bachbett entlang. Gelbe Schwefelkrusten überzogen das Ufer. Ein Stück entfernt trieb weißer Rauch dicht über den Boden.
Über den Rand der Senke hinweg blickte man auf eine Ebene, die von ausgetrockneten Bächen und weiten Flächen brodelnden Schlamms bedeckt war. Der Sand hatte mitunter merkwürdige Farben. Mal grünlich, dann rostrot und bald wieder hellgelb bis hin zu weiß. Feiner Staub, der wie Salz in den Augen brannte, wirbelte in der sengenden Luft.
Am Morgen waren sie an einem See vorbeigekommen, den die Kobolde das Drachenauge nannten. Er hatte so seltsam ausgesehen, dass niemand von ihnen auch nur auf den Gedanken gekommen war, in die Nähe seines Ufers zu gehen. Wie ein gewaltiges, blutunterlaufenes Auge lag er in der Wüste. Er hatte eine fast vollkommene Kreisform. In seiner Mitte war das Wasser von dunklem, beinahe schwärzlichem Blau. Darum lag ein Kreis aus hellerem, türkisem Blau. Dicht am Ufer wurde das Wasser dann plötzlich blutrot. Emerelle hatte gesagt, die Farbe stamme von winzigen Tieren, die im Wasser lebten. Aber Nikodemus mochte das nicht glauben.
Vor zwei Tagen war am Horizont vor ihnen ein weites Massiv aus Tafelbergen erschienen. Wie die Festungsmauern einer Stadt von Riesen erhoben sie sich am Horizont. Anfangs hatten die Berge in der Ferne blau ausgesehen. Jetzt wirkten sie rötlich.
Aber obwohl sie ihnen um mindestens dreißig Meilen näher gekommen sein mussten, schienen sie immer noch unerreichbar fern. Dorthin wollte Emerelle die Grauhäute führen. Es hieß, inmitten der Berge gebe es eine Oase. Nikodemus hatte seine Zweifel, wenn er auf das vergiftete Land ringsherum blickte.
Näher als die Berge sah man eine Felsstufe, die sich durch die Wüste zog. Sie schien ein naher Vorläufer der Berge zu sein.
Als er die Grauhäute wieder eingeholt hatte, stieg Nikodemus das kurze Stück zum Rand der Uferböschung hinauf, um zu sehen, um wie viel sie der Felsstufe schon näher gekommen waren. Sie war der einzige Orientierungspunkt, abgesehen von den fernen Bergen. Die Luft tanzte in glasigen Schlieren dicht über dem Wüstenboden. Es war unmöglich, zu sagen, wie weit die Felsstufe entfernt war. Manchmal glaubte Nikodemus dunkle Flecken im Felsen zu erkennen. Gab es dort Höhlen? Die Mittagsstunde war nicht mehr fern. Der Lutin träumte davon, die Zeit der größten Hitze in einer Höhle zu verbringen. Sie sollten nachts wandern! Aber aus irgendeinem Grund wollten das weder die Grauhäute noch Emerelle. In jeder Nacht bezogen Posten auf den Erhebungen rings um den gewählten Lagerplatz ihre Stellung. Nikodemus hatte sie einmal besucht. Es waren keine normalen Wachen. Sie waren in einem Zustand zwischen Traum und Wachen. Manchen troff klebriger, seltsam riechender Speichel aus den Mundwinkeln. Sie hatten Muster, die an verzerrte Spinnennetze erinnerten, auf ihre Körper bemalt. Ganz offensichtlich woben diese mit Muschelketten geschmückten Männer und Frauen irgendeine Art von Magie. Und obwohl Nikodemus insbesondere nachts oft das Gefühl hatte, dass sie belauert wurden, kam es nie zu einem Zwischenfall.