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Der Lutin kletterte die Böschung hinab und schloss sich wieder den Kobolden an.

Stunde um Stunde ging ihr Marsch. Sie erreichten die Höhlen nicht, wenn es sie denn überhaupt gab und sie ihm nicht allein von seinem kochenden Verstand vorgegaukelt worden waren. Nicht einmal während der größten Mittagshitze erlaubte ihnen Emerelle eine Rast. Die Elfe wirkte gehetzt. Unbarmherzig wie nie zuvor trieb sie alle an.

Auch das Wasser war knapp geworden. Inmitten der giftigen Schwefelwüste schien auch ihre Magie keine Wunder mehr bewirken zu können. Seit drei Tagen hatte es kein frisches Wasser mehr gegeben. Fast alle Kürbisflaschen waren leer. Nikodemus hatte sein letztes Wasser am späten Morgen getrunken. Obwohl die Grauhäute die Hitze viel besser vertrugen als er - schließlich hatten sie ja auch kein Fell -, würde er jede Wette eingehen, dass auch ihnen nicht mehr viel Wasser geblieben war. Vielleicht wollte Emerelle sie ja zu einer Quelle bringen? Vielleicht würde die Giftwüste schon bald hinter ihnen liegen. Nikodemus blickte zur Uferböschung. Was verbarg sich dahinter? Seine Erschöpfung war jetzt größer als seine Neugier. Müde blieb er auf seinem Platz in der Marschkolonne. Die Augen auf die Fersen der Frau vor ihm geheftet, schlurfte er weiter.

Der Boden war so heiß, dass er durch die Sohlen hindurch die Füße verbrannte.

Nikodemus wunderte sich, wie die Grauhäute das aushielten. Sie gingen alle barfuß.

Er hatte das Gefühl, dass selbst ihre Kinder ausdauernder waren als er. Seit Tagen kämpfte er gegen eine immer tiefere Müdigkeit an. Schon morgens, wenn sie aufbrachen, hatte er das Gefühl, er könne keine Meile mehr gehen. Und dann sah er ihre Kinder, die, ohne zu murren, dem Treck folgten. Nur die Kleinsten von ihnen weinten manchmal. Sie zu sehen, gab ihm zwar keine neue Kraft, aber den Willen, sich nicht gehen zu lassen. Sie nannten ihn Drachenreiter! Die Grauhäute kannten sein Volk. Sie hatten die Lutin wohl manchmal beobachtet, wenn sie zu den anderen Oasen zogen, jenen Fluchtorten der verschiedenen Lutinsippen, die nicht zu tief in der Wüste verborgen lagen.

Die großen Hornschildechsen hielten sie für Drachen. Und die Grauhäute waren überzeugt, dass alle Lutin mächtige Zauberer und Krieger sein mussten, wenn sie Drachen ihrem Willen unterwerfen konnten.

Nikodemus musste unwillkürlich lächeln. Er stellte sich vor, ein Koboldritter zu sein, der auf einem richtigen Drachen ritt. Dann holte ihn die Wirklichkeit ein. Er war ein fußkranker Wanderer, mit einem Lappen voller Pisse vor der Schnauze. Viel größer könnte der Unterschied zu einem Drachenritter wohl nicht sein. Wenigstens war es seine eigene Pisse, dachte er bitter.

Sie passierten eine Stelle, an der sich das Bachbett auf etwa hundert Schritt Länge zu einem Schlammsee weitete. Der Schlamm und die Brühe, die auf ihm stand, schillerten in allen Regenbogenfarben. Es sah hübsch aus. Im Schlamm stiegen dicke Blasen auf, die mit einem schmatzenden Geräusch auf der Oberfläche zerplatzten. Das war neu. So etwas hatte er bei den anderen Schlammlöchern nicht gesehen. Manche der Blasen hielten sich erstaunlich lange. Er ertappte sich dabei, wie er stumm mitzählte.

Auch die Kinder waren begeistert. Plötzlich gab es wieder Lachen im Treck. Manche warfen mit Steinen und Klumpen aus zusammengebackenem Sand nach den Blasen auf dem Schlamm. Eine besonders dicke Blase schien einen Schutzzauber zu besitzen.

Jeder Wurf verfehlte sie. Ein Mädchen lief los, um die Schlammblase mit ausgestrecktem Finger zum Platzen zu bringen.

»Nicht!« Die Warnung kam zu spät. Sie schaffte genau drei Schritt, dann blieb sie schreiend stehen, statt sofort umzukehren. Der zähflüssige Schlamm war kochend heiß. Noch war das Koboldmädchen nur bis zu den Knöcheln eingesunken.

Schwankend versuchte sie zurückzukommen.

Ihre Mutter wollte ihr zu Hilfe eilen, doch zwei Jäger des Stammes packten sie. Alle starrten das Kind an. Doch keiner machte Anstalten, ihm zu helfen. Es war nicht mehr zu retten!

Madra kam. Der Troll streckte sich. Doch selbst seine langen Arme reichten nicht bis zu dem Kind.

Das Mädchen ging in die Knie. Es fing den Sturz mit den Händen ab, riss diese aber sofort zurück, kaum dass seine Finger den Schlamm berührt hatten.

Selbst durch den uringetränkten Stoffstreifen roch Nikodemus den Geruch von gekochtem Fleisch. Voll hilfloser Wut ballte er die Fäuste. Er hatte das Gefühl, es dem Mädchen schuldig zu sein, zumindest nicht einfach wegzusehen. Auch wenn er sonst nichts tun konnte.

Plötzlich trat Madra in den Schlamm. Er machte einen hastigen Schritt, packte das Mädchen und rettete sich auf sicheren Boden. Dunstschwaden wogten über seinen Fü-

ßen wie über Schweinshaxen, die man frisch aus kochendem Wasser hebt. Sein Gesicht war zu einer Grimasse verzerrt. Aber er gab keinen Laut von sich. Vorsichtig legte er das kleine Koboldmädchen in den Schatten eines Felsens.

Sofort war die Mutter bei der Kleinen. Sie bedeckte ihr Gesicht mit Küssen. Das Kind war ohnmächtig geworden. Die Füße und die Beine bis fast zu den Knien hatten alle graue Farbe verloren. Sie waren von einem dunklen Rosa. Ein durchsichtiges, leicht gelbliches Sekret nässte durch die Haut.

Auch ihre Hände hatten die Farbe verloren. Die kleinen Finger waren aufgequollen.

Als ihre Mutter die Hand anheben wollte, um sie zu küssen, glitt die Haut wie ein Handschuh von den gekochten Fingern.

Emerelle kam von der Spitze der Marschkolonne. Sie stellte keine Fragen. Ein Blick auf das Kind gab alle Antworten. Madra nickte sie mit stummem Respekt zu. Dann kniete sie sich neben das Mädchen.

Nikodemus sah, wie sie den Albenstein mit der Linken umklammerte, während sie die Rechte sehr vorsichtig auf einen Fuß des Koboldkindes legte. Sie zuckte zusammen.

Die Elfe schloss die Augen. Auch sie schien Schmerzen zu leiden, während die Mutter des Mädchens händeringend neben ihr stand.

Madra hatte sich in den Sand gesetzt. Seine Füße waren mit großen, weißen Blasen übersät.

»Schlimm?« Nikodemus bereute seine dämliche Frage, kaum dass sie ihm über die Lippen gekommen war, aber da war es schon zu spät.

Der Troll sah ihn finster an. »Ihr Kobolde habt doch auch große Kupferkessel, um darin Suppen und Fleisch zu kochen.«

Der Lutin sah ihn verwundert an. »Ja.«

»Bist du als Kind einmal an einen der Kessel gekommen, bevor sie ganz ausgekühlt waren?«

Er nickte.

»Stell dir vor, du hättest die Hand nicht weggezogen. Vielleicht als eine Mutprobe.« Er stieß die Worte gepresst hervor, bemüht, jedes Stöhnen zu unterdrücken. »Du hättest sie auf dem heißen Kupfer gelassen. Bis sie wie gut gebratenes Fleisch gerochen hätten. Bis dein Fleisch bis zum Knochen hinab gar gewesen wäre. Du weißt, wenn man einen Braten aufschneidet, dann ist das Fleisch außen graubraun. Nur tief innen hat es sich eine zartrote Farbe erhalten. Stell dir vor, das ganze Fleisch deiner Hand wäre grau. Und dann erst versuchst du sie fortzunehmen. Aber es geht nicht mehr, weil sie mit dem Metall des Kessels zusammengebacken ist. Du ziehst und zerrst. Als sie endlich doch freikommt, kleben die kümmerlichen Reste deiner Haut noch auf dem Metall. Und Brocken von deinem Fleisch. So fühlt es sich an!« Um die Worte zu unterstreichen, hob Madra seine Füße an.

Nikodemus kämpfte gegen einen Würgereiz an. Die zähe, zerfurchte Haut hatte begonnen, sich von den Fußsohlen zu lösen. So wie vorhin bei der Hand des Mädchens.