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Wahrscheinlich wird es dir in Zukunft schwerfallen, Fremde davon zu überzeugen, dass du die Königin bist. Du solltest dir ein bisschen Würde zulegen und vielleicht nicht immer in Hosen herumlaufen.«

Sie kannte seine Spaße und ahnte, dass sie womöglich noch derber werden würden.

Eigentlich war das nicht seine Art. Es sei denn, er wollte seine wahren Gefühle verbergen. Kadlin nahm seine Hand und legte sie an ihren Bauch. Das Kind war jetzt wach. Deutlich spürte sie seine Tritte. Alle Härte verschwand aus Melvyns Gesicht, als er es fühlte. »Sein Vater ist tot. Wenn es leben wird, dann nur, weil du uns gerettet hast.«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, das …«

»Ganz gleich, was du auch sagen willst. Für mich wird es immer so sein. Deine Bereitschaft, allein gegen hundert Trolle anzutreten, und dein Glück haben uns gerettet.«

Er lächelte. »Du redest schon wie eure Sagendichter. Aber nein, das war kein Glück.

Orgrim mag dich, meine sture kleine Schwester. Wahrscheinlich denkt er insgeheim, dass du, wenn du nur ein wenig größer, grauer und haarloser wärst, ein verdammt gutes Trollweib abgeben würdest.«

»Und wenn du etwas weniger Unsinn reden würdest, würdest du einen verdammt guten Bruder abgeben.«

Er senkte den Blick. Sie spürte, dass es nicht wegen ihrer Worte war. Da war etwas, das ihm einfach nicht über die Lippen kommen wollte. Seine Spaße, sein merkwürdiges Verhalten: All das sprach für sich. Es schrie ihr förmlich entgegen, dass dahinter mehr steckte. Was ging in ihm vor?

Sie sah nur einen Weg, es herauszufinden. Sie drückte seine Hand, die noch immer auf ihrem Bauch lag. »Sag es.« Er sah überrascht auf. »Was?«

Wie verräterisch ein einzelnes Wort doch sein konnte. Es sollte Unwissenheit vorschützen und tat doch genau das Gegenteil. Kadlin ging nicht darauf ein. Sie sah ihn einfach nur an.

»Ich ... « Er räusperte sich. »Wenn Skanga Orgrim zu sich befiehlt, dann kann das nur eines bedeuten. Es wird Krieg geben in Albenmark. Und die Maurawan waren schon immer Feinde der Trolle. Ich muss Leylin dort fortholen ... Ich muss sie ... « Kadlin konnte ihm ansehen, wie er innerlich all seinen Mut zusammennahm. »Können wir hierherkommen?«

Sie konnte nicht begreifen, warum ihn diese Frage solche Überwindung gekostet hatte.

»Ich würde mich freuen. Komm an meinen Hof. Ich ...«

Er hob abwehrend die Hand. »Wir werden uns einen einsamen Ort suchen. Irgendwo an der Grenze zu den Trollgebieten. Wir werden so gut wie unsichtbar sein.«

»Warum? Es gibt keinen Grund, dass du dich ... «

»Ich sehe aus wie ein Elf«, unterbrach er sie. »Und die Menschen hier glauben, dass Elfen Unglück bringen. Sie haben den Elfenwinter nicht vergessen und auch nicht, wie Emerelle kam, um Alfadas zu rauben. Ich habe sie reden hören, als sie dich zurückgebracht haben.«

Kadlin waren seine Worte ganz fremd. Aber vielleicht lag es daran, dass sie die Königin war und niemand offen mit ihr sprach. Außer Lambi! »Wir werden ihnen zeigen, dass sie sich irren!«

Er zögerte.

Sie strich sanft über seine Hand. »Bitte. Ich werde dich brauchen. Du bist hier willkommen.« Sie lächelte. »Und du sagtest ja schon, dass ich stur bin. Wehe dem, der dich oder Leylin schlecht behandelt. Wir werden einen Ort finden, an dem ihr in Frieden leben könnt.«

Er wirkte erleichtert, obwohl sie nicht darauf geschworen hätte, dass er ihr Angebot annehmen würde. Schweigen lag zwischen ihnen. Ein gutes, verstehendes Schweigen.

Endlich drückte er ihr die Hand. »Sie warten auf ihre Königin. Du musst gehen.«

»Wenn du nicht kommst, werde ich dich suchen gehen!«

Er lachte. »Ja, das würde ich dir zutrauen.« Darauf nahm er sie in den Arm. »Mach keinen Unsinn«, sagte er zärtlich.

Kadlin musste schlucken. Sie sah ihm nach, wie er am Ufer entlangging. Hoch oben am Hartungskliff löste sich ein großer Schatten aus dem Dunkel der Felsen. Sie beneidete ihn um seine Freiheit. Sie würde jetzt auch gern mit einem Adler fliegen.

Mit einem Seufzer wandte sie sich ab. Dann straffte sie sich und ging zu Lambi, der noch immer am Grabhügel wartete. Der alte Krieger war sichtlich erleichtert.

»Ich hätte nicht darauf gewettet, dass du kommst. Aber gut, dass du da bist. Es sind fast alle wichtigen Jarls dort oben. Mehr als bei deiner Krönung. Wir sollten das Schauspiel noch einmal wiederholen. Ich werde dir die Krone aufs Haupt setzen und dich zur Königin ausrufen. Und unser Skalde wird die ersten Verse aus dem Heldenepos über dich vortragen. Alle dort oben haben schon getrunken und um die Toten geweint.

Es wird leicht sein, ihre Herzen zu berühren. Du wirst sehen, deine Herrschaft beginnt...«

» ... mit einer Lügengeschichte!«

Lambi lachte laut auf. »Fast dasselbe hat dein Vater in der Nacht seiner Krönung gesagt. Und doch wurde aus ihm ein König, von dem man noch in tausend Jahren er-zählen wird. Er sagte auch, ich sei ein Mann ohne Moral. Ich finde, das ist nicht ganz richtig ... Mir fehlt die Moral nur dort, wo sie im täglichen Leben allzu hinderlich ist. Du wirst sehen, ein König braucht einen solchen Mann an seiner Seite. Alles Licht wird auf dich fallen. Ich erledige, was im Schatten getan werden muss.«

Trollansichten

Falrach sah den Troll loslaufen und blickte zu der Wand aus Sand und Staub. Ein Troll, der den Helden spielte und Kinder rettete? Er blickte auf die flüchtenden Kobolde. Sie waren viel zu langsam! Er könnte es schaffen. Emerelle auch. Aber sie würde bei den Kobolden bleiben. Er tastete über den schweren Beutel mit Türkisen, der von seinem Gürtel hing. Das war das Gewicht eines Kindes. Und sein großes Zweihandschwert wog mindestens so viel wie drei Kinder. Ollowain hätte sicherlich nicht gezögert. Er fluchte leise und ließ den Gürtel mit den Türkisen fallen. Dann warf er das Schwert zur Seite und sah sich um. Ihm war gestern schon ein Mädchen aufgefallen, das hinkte.

Seine Haare waren zu Dutzenden kurzen Zöpfen geflochten, die ihm wie Stacheln vom Kopf abstanden. Und eine blinde Alte, die am Stock ging.

Die Blinde sah er zuerst. Sie war die Letzte im Zug. Man würde sie zurücklassen! Er lief zu ihr. »Du wirst jetzt getragen werden, Mütterchen.«

»Nimm einen, der sein Leben noch vor sich hat, du ... «

Ohne auf ihre Einwände zu achten, hob er sie sich auf den Rücken. »Halt dich fest. Ich schaffe den Weg zweimal!« Das war gelogen. Obwohl die Alte nur noch aus Haut und Knochen bestand, war sie schwerer, als er erwartet hatte.

Er sah sich wieder nach dem Mädchen um. Er hatte ihren Vater in den letzten Nächten beim Würfeln ausgenommen. Zuletzt hatte der Kerl sogar seine Muschelkette gesetzt und verloren. Falrach hatte sie genommen. Aus Prinzip. Das Würfeln war kein Spaß! In seinem früheren Leben hatte er sich mit allen Arten von Spielen seinen Lebensunterhalt verdient. Und er war nicht arm gewesen.

Er entdeckte das Mädchen, das er gesucht hatte, weiter vorne. Ihr Vater und ihre Mutter hatten es auf ihre überkreuzten Arme gehoben und liefen, so gut es ging. Und es ging schlecht. Er rannte zu ihnen. »Los, leg deine Arme um meinen Hals und schling die Beine um meine Hüften. Ich nehm dich vor den Bauch!«

Der Sturm riss ihm die Worte von den Lippen, aber das Mädchen schien verstanden zu haben. Ihre Eltern halfen ihr. Sie war sehr leicht, doch Falrach wusste, dass er mehr nicht tragen konnte. Er war halt kein Troll!

Dann lief er los. Der Lärm des Sturms schwoll an. Er drang nicht nur durch seine Ohren. Er war in ihm. Erschütterte seinen ganzen Leib. Und er schien ihn zurück-zudrängen zu den anderen, die trotz all ihrer Bemühungen hinter ihm zurückfielen.

Gemeinsam mit der Frau, für die er einmal gestorben war.

Die Böen, die der brodelnden Sturmwand vorauseilten, trafen ihn wie Schläge. Wie große, graubraune Staubgeister streiften sie über die Ebene. Falrach hätte jeden Eid geschworen, dass sie die Richtung wechselten, wenn er ihnen nahekam. Natürlich war das Unsinn.

Die Alte auf seinem Rücken wurde mit jedem Schritt schwerer. Und die Kleine klammerte sich so verzweifelt um seinen Hals, dass ihre Fingernägel in seine Haut schnitten. Ihr Kopf war fest gegen seine Brust gedrückt, und er spürte, dass sie schluchzte, obwohl der Sturm längst keinen Laut mehr duldete, den er nicht selbst hervorbrachte.