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Noch immer wichen die Grauhäute in Richtung Höhleneingang zurück. Und das, obwohl dort nach wie vor der Sturm tobte.

Rotes Licht stach in Fairachs empfindliche Augen. Selbst seine Lider waren vom Sand verletzt. Nur dort, wo ihn Stoff geschützt hatte, hatte der Sand keinen Schaden anrichten können.

Jetzt entdeckte er Emerelle. Sie kniete ganz am Ende der Höhle. Eine Aura aus rotem Licht umgab sie. Das verfluchte rote Licht! Er dachte an den Kerker in Feylanviek. An das Massaker an Trollen und Kobolden. Ein Messer ragte aus der Armbeuge der Königin. Sein Messer! Wie war es dorthin gelangt? Vor Emerelle lag eine verkrümmte Gestalt.

Falrach stand auf. Er schwankte, wollte sich mit einer Hand an der Höhlenwand abstützen und schreckte im letzten Moment zurück. Mit seinen gehäuteten Händen könnte er sich nirgendwo festhalten.

Bei jedem Schritt um sein Gleichgewicht kämpfend, gelangte er zu Emerelle. Er war so schwach, dass er der Ohnmacht nahe war, als er sich neben die Königin kniete. Sie war es, die geschrien hatte.

Falrach sah nach dem Kobold am Boden. Der Tote sah aus wie mumifiziert. Emerel es Arme waren vom Ellenbogengelenk abwärts verbrannt. Spiralen roten Lichts wanden sich um sie. Der Elf streckte vorsichtig eine Hand nach ihr aus. »Ruhig«, sagte er leise.

»Hier gibt es keine Feinde.«

Blut rann über die Dolchklinge. Da ihr Arm abgebunden war, wagte er es, die Waffe zu ziehen. Er konnte spüren, wie das Metall über die Gelenkkugel schrammte. Diesmal gab die Königin keinen Laut von sich. Ihre Augen waren weit aufgerissen, doch sie schien nichts zu sehen. Die Pupillen waren nur winzige, schwarze Nadelpunkte.

Ihre Arme sahen jetzt besser aus. Aber ihre Hände ... Er musste sich zwingen, den Blick nicht abzuwenden. Sie erinnerten an ineinander verschränkte, verkohlte Äste. Die Hände, die ihn einst liebkost hatten. Er dachte wieder an Feylanviek. Offensichtlich vermochte die Königin, sich zu heilen. Jedem anderen hätte man die Arme amputieren müssen. Der Kobold, der tot zu ihren Füßen lag, hatte helfen wollen!

Falrach sah zu den Grauhäuten. Sie alle starrten ihn und die Königin an. Sie waren verängstigt, unentschlossen ... Noch. Würden sie angreifen? Oder davonlaufen? »Er hat ihr ein Messer in den Arm gestoßen!« Es war ungerecht, aber er musste die Tatsachen verdrehen, um die Lage wieder zu beherrschen. »Er hat sie angegriffen!

Habt ihr vergessen, wie sie in Oblons Dorf kam? Wie konntet ihr sie angreifen? Habt ihr vergessen, wie sie euch alle vor dem sicheren Untergang im Sandsturm bewahrte?«

Einige senkten den Blick. Aber ein durchschlagender Erfolg waren seine Worte nicht gewesen. »Sie ist die Herrin der Magie.« Falrach entdeckte den Lutin zwischen den Grauhäuten. Ein falsches Wort von ihm konnte jetzt alles zunichtemachen.

»Nikodemus, komm an meine Seite.«

Der Lutin wurde vorgeschoben. Keiner der Grauhäute versuchte ihn in Schutz zu nehmen. »Ihr werdet...«

Ein Raunen ging durch die Reihen der Kobolde. Einige warfen sich zu Boden, wie es manche Menschenkinder vor ihren Götzenbildern taten. Falrach verstand sie nicht, bis auch er aus den Augenwinkeln sah, wie die Königin ihre Hände hob. Die Handflächen waren makellos weiß. Nichts erinnerte mehr an die Verbrennungen.

Mehr und mehr Kobolde warfen sich nieder. Sogar der Lutin.

Falrach wusste, dass hier kein Wunder geschah. Sie nutzte die Kraft des Albensteins.

Aber er spürte, dass auch noch eine andere Macht wirkte. Etwas Fremdes, Dunkles.

Der Elf hatte die ungute Ahnung, dass Emerelle Kraft aus dem Tod des Kobolds gewonnen hatte, der so leichtfertig versucht hatte, ihren Arm zu amputieren. Sie wirkte Blutmagie!

Sag ihnen, sie sollen ausruhen, erklang ihre Stimme in seinen Gedanken. In sieben Stunden, beim ersten Morgen

licht, werden wir aufbrechen, und wir werden nicht rasten, bevor wir den Jadegarten erreichen.

Erst dort sind wir in Sicherheit.

Er führte ihre Befehle aus. Die Kobolde waren zu verängstigt, um Fragen zu stellen.

Die meisten wagten es nicht einmal mehr, in ihre Richtung zu blicken.

Himmelsbrücke und Sonnentor

Vierzehn Stunden nachdem sie die Höhle verlassen hatten, erreichten sie jene eine Schlucht, die durch das Felslabyrinth der Tafelberge zum Jadegarten führen würde.

Emerelle war angespannt. So viel Zeit war verstrichen, seit sie das letzte Mal hier gewesen war. Wie würden die Gärten des Drachenkönigs jetzt wohl aussehen? Und wie würde die Gazala sie aufnehmen?

Die Elfe blickte zu Falrach, der als einer der Ersten den engen Saumpfad erklomm, der an der Flanke einer knochenweißen Felswand entlangführte. Bildete sie es sich nur ein, oder hatte er eine sinnlichere Art, sich zu bewegen? Noch in der Höhle hatte sie Falrach geheilt. Sie sehnte sich danach, in seinen Armen zu liegen. Nicht in denen Ollowains! Sie wünschte sich, mit ihm an einem einsamen Ort zu sein. Tagelang! Ihre Gedanken befremdeten sie. Hatte der Marsch durch die Wüste auch sie verändert? Es hieß, in der Wüste würde man zu sich selbst finden. Oder veränderte sie die Lebenskraft, die sie dem Kobold gestohlen hatte?

Sie schob die Gedanken von sich. Ein letztes Stück Weg war noch zu gehen. Eine letzte Probe zu bestehen. Wie der sah sie zu Falrach. Er hatte einen guten Körperbau. Er war wie geschaffen dazu, mit ihm ... Sie schritt weiter aus. Nicht jetzt!

Die Schlucht lockte mit einem kleinen See, dessen Wasser fahlgrün schimmerte. Früher einmal hatte es dort Kaimane gegeben; sie hatten auf Steinböcke und andere Tiere gelauert, die aus den Felsen hinabstiegen, um dort zu trinken. Emerelle bestand energisch darauf, den schmalen Pfad zu nehmen, der aus der fast senkrechten Felswand geschlagen war. Die Grauhäute sahen sehnsüchtig zum Wasser hin, doch wagte es keiner, sich ihr zu widersetzen. Sie spürte den Hass der Kobolde. Er war die Kraft, die sie noch auf den Beinen hielt. Die meisten Kinder mussten inzwischen getragen werden. Ein Greis war auf dem letzten Stück Weg durch die Wüste an Entkräftung gestorben. Aber sie marschierten.

Auch Emerelle fühlte sich zu Tode erschöpft. Alle äußerlichen Wunden waren verheilt, aber die Schmerzen hatten ihre Kräfte aufgezehrt und ihre Seele verletzt. Sie hatte sich verändert ... Wenn sie einige Nächte gut geschlafen hätte, dann wäre das vorbei, redete sie sich ein.

Ein Schwärm hellgrüner Palmwächter flog durch die Schlucht. Die kleinen Vögel musterten sie neugierig. Gewiss hatten sie noch niemals Zweibeiner gesehen! Mit munterem Gezwitscher stürzten sie sich in die Tiefe. Sie schössen dicht über dem schillernden Wasser dahin und verschwanden dann zwischen den Uferpalmen.

Der Pfad, dem sie folgten, war kaum eine Elle breit. Einige der Grauhäute drückten sich dicht an den heißen Fels und vermieden es, hinabzusehen. Emerelle war schwin-delfrei. Jedes Mal, wenn der Pfad sich um einen Felsvorsprung wand oder eine Kehre machte, beugte sie sich weit über den Abgrund, um aus einem anderen Blickwinkel in die Schlucht hinabzuschauen. Der See hatte einen anderen Umriss als früher. Wie sehr sich das weite Tal wohl verändert hatte?

Hier zwischen den Tafelbergen hatte der Zauber, den die Grauhäute so treffend Drachenatem nannten, keine Macht mehr. Der Wind, der über die weißen Felsen strich und über die Jahrhunderte die seltsamsten Formen in den weichen Stein schnitt, wurde nicht durch Magie gezeugt.

Ihr Anstieg dauerte mehr als eine Stunde. Emerelle wusste, das sie ihr Ziel fast erreicht hatten, als die Marschkolonne vor ihr ins Stocken geriet. Auf den Zehenspitzen am Abgrund entlanglaufend, drängte sie sich an den Grauhäuten vorbei. Der kleine See mit den Palmen lag mehr als zweihundert Schritt unter ihr. Der Felsen fiel fast senkrecht in die Tiefe. Sie blickte über ihre Schulter hinab, und ein seltsames Gefühl überkam sie. Eine sinnliche Schwere, tief in ihrem Bauch, verbunden mit der Lust, sich mit ausgeweiteten Armen nach hinten fallen zu lassen. Sie wollte nicht Selbstmord begehen. Nie würde sie sich auf diesem Weg davonstehlen! Es war einfach die Lust, sich fallen zu lassen. In ihrer Vorstellung verhieß der Fall Freiheit. Sie sollte schlafen, ermahnte sie sich in Gedanken.