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»Du siehst in letzter Zeit gar nicht gut aus«, sagte der König.

Balduin hatte das Gefühl, als zöge sich eine Schlinge um seinen Hals zusammen.

Tankret bedachte ihn mit einem abfälligen Lächeln. Der Krieger war mindestens zwanzig Jahre jünger als er. Tankret stand in der Blüte seiner Manneskraft. Mit seinen geölten Muskeln und seiner bronzefarbenen Haut war er ein Bild von einem Mann, auch wenn einige Narben auf seinen Armen und der Brust in Balduins Augen einen Makel darstellten. Aber er wusste, dass Cabezan solche Narben mochte.

»Du wirkst müde, mein Freund.« Der König runzelte die Stirn. »Willst du etwas sagen?«

»Der Junge ... Es ist Elodias Bruder. Ihr werdet doch nicht ...« Er war zu vorsichtig, um es auszusprechen. »Sie erwartet seine Briefe. Es wäre schlecht, wenn sie erführe …«

Der Knabe blickte gehetzt zwischen ihnen hin und her. Er begriff nicht, wovon sie sprachen. Aber er schien ein Unheil zu ahnen. »Es tut mir leid, dass ich die Tinte vergossen habe und das Pergament unbrauchbar gemacht habe. Es war ein Unglück.

Das wird nie wieder vorkommen ... «

Balduin bemerkte erst jetzt die Reste von Tintenflecken an Händen und Unterarmen des Knaben.

»Aber, mein Junge, sehe ich aus, als würde ich wegen solcher Kleinigkeiten lange zürnen?« Der König schlug sein Tuch zurück und streckte einen Fuß in das warme Wasser. Er stieß einen wohligen Seufzer aus. »Das tut gut.« Mit einiger Mühe streckte er auch den zweiten Fuß ins Wasser. Dann winkte er dem Jungen. »Du heißt Jean, nicht wahr? Ein hübscher Name für einen hübschen Jungen. Komm ein bisschen näher.

Meine Augen sind nicht mehr so gut.«

Als Jean nicht sofort gehorchte, packte Tankret ihn und schob den Knaben vor seinen König. Der Junge war so verängstigt, dass er sich weder wehrte noch den geringsten Laut von sich gab.

Cabezan zwickte den Jungen in die Brust. »Was für eine makellose Haut du hast, Jean.

Was für ein Geschenk! Sieh mich nur an. Das tut die Zeit all jenen an, denen die Gnade eines frühen Todes verwehrt bleibt. So wunderbare Haut... Wusstest du, dass Pergament aus Haut gemacht wird, Junge? Es ist sehr kostbar. Um ein einziges Buch zu machen, muss man eine ganze Herde schlachten. Blut ist der Preis für Wissen. Es ist der Preis für fast alles im Leben.«

Balduin wurde übel. Er ahnte, was kommen würde.

»Dreh dich einmal um, mein Junge.«

Jean gehorchte.

Mit angehaltenem Atem beobachtete Balduin, wie die Finger des Königs über den Rücken des Knaben fuhren. Sie umrissen ein Rechteck auf der glatten Haut. So groß wie eine Pergamentseite.

»Das beste Pergament wird aus der Haut ungeborener Ziegen und Lämmer hergestellt.

Das muss man sich vorstellen. Ihr Leben endet, bevor es begonnen hat. Und doch währt es auf gewisse Weise für Jahrhunderte, denn ihre Haut trägt unsere Geschichte weiter. Oder heilige Schriften der Tjuredkirche. Oder Verträge, die Königreichen Frieden bringen. Was hast du in deinem Leben getan, das wirklich hervorragend ist, Jean?«

Der Junge glotzte verängstigt.

»Jean, du kannst doch sprechen, oder? Willst du deinem König seine Frage nicht beantworten?«

»Ich kann die Namen aller Heiligen schreiben«, stieß er hervor.

Cabezan nickte. »Heiligennamen aufschreiben ... Ich glaube, das können Dutzende in diesem Palast. Das also ist deine größte Leistung in deinem jungen Leben. Gehört der Name Guillaumes zu denen, die du gelernt hast?«

»Ja, mein König.« Die Stimme des Jungen war kaum mehr als ein Flüstern.

»Kennst du auch die Geschichte Guillaumes?« Ein harter Unterton schwang jetzt in der Stimme des Königs mit.

»Ja, er ist der größte unter den Heiligen.« Jean hatte offensichtlich ein wenig Mut gefasst. Vielleicht weil er nun über etwas reden konnte, das ihm vertraut war. »Er wurde von den Elfen ermordet. Er war durchdrungen von der heiligen Kraft Tjureds.

Eine Berührung seiner Hände genügte, um Blinde wieder sehen und Krüppel wieder gehen zu lassen.«

Balduin sah, wie der König seine Fäuste ballte. »Ja, das konnte er wohl. Es gibt Hunderte, die von diesen Wundern Zeugnis ablegen können. Nur war er auch störrisch und ungehorsam. Wusstest du, dass er sich mir verweigert hat, als ich ihn rufen ließ, um auch mich zu heilen?«

Der Junge schüttelte den Kopf. Er war so arglos, dachte Balduin bekümmert. »Mein König, Ihr wisst, dass wir nicht auf die Dienste des Mädchens im Refugium ... « Er wagte es nicht, Elodias Namen auszusprechen. Er wollte den Jungen nicht argwöhnisch machen. Vielleicht kam er ja davon, wenn Cabezan sich besann.

Der König winkte ärgerlich ab. »Schweig, Balduin. Es ist sehr unhöflich, eine Unterhaltung zu stören. Wie soll mein kleiner Gast da guten Benimm lernen?«

Cabezan strich wie der über die Haut des Knaben. »So zart.« Er sah zu Tankret. »Siehst du das? Er hat nicht einen einzigen Pickel. Keine Unreinheit in der Haut. Keine Schramme. Kein Rötung.« Der König seufzte. »Ich glaube, der liebe Jean ist in allem das genaue Gegenteil von mir. Was meinst du, Jean? Ist das so?«

Balduin hielt den Atem an. Ganz gleich, welche Antwort der Junge gab, sie würde gegen ihn verwendet werden. Der Hofmeister kannte die grausamen Spiele seines Königs nur zu gut.

»Ja«, sagte Jean zögerlich.

»Du glaubst also, du bist besser als ich?«, fuhr Cabezan den Knaben an. »Nein, mein König, ich …«

»Du widersprichst mir! Jetzt bin ich also auch noch ein Lügner!«

Jean sah den alten Herrscher in fassungslosem Entsetzen an. Und dann begann er zu weinen. Es war herzzerreißend. Er war völlig hilflos.

»Hör auf zu flennen! Pass auf, dass deine Tränen nicht in mein Bad fallen, Dummkopf!

Weißt du denn nicht, wie sehr Tränen der Haut schaden? Tankret!«

Der Leibwächter verpasste Jean eine Ohrfeige, die den Jungen von den Beinen riss. Er fiel vor das Bad und rollte sich zusammen wie ein kleines, wehrloses Tier. Er schaffte es nicht, seinen Tränen Einhalt zu gebieten. Leise wimmernd lag er dort.

Balduin dachte, dass Cabezan sich nur an toten schönen Dingen erfreuen konnte. Eine Statue, dieser Palast, ein Mosaik. All die Schätze, nach denen er forschen ließ.

Lebendige Schönheit aber forderte ihn stets heraus, sie zu zerstören. Elodias Körper war nur deshalb unversehrt geblieben, weil der Alte sich noch großen Nutzen von ihm versprach. Aber im Refugium würde man ihre Seele zerstören, da war sich Balduin ganz sicher. Er wusste nicht, was man mit ihr anstellen würde, aber das Blumenmädchen würde sterben. Sie würde etwas ganz anderes sein, wenn sie das Tor wieder durchschritt, um ihren ersten Auftrag für den König zu erfüllen.

»Steh auf, Jean!«, sagte Cabezan mit kalter Gehässigkeit. »Und untersteh dich, auch nur eine Träne in dieses Bad fallen zu lassen! Tränen sind voller giftiger Salze!«

Vielleicht hatte der Junge ihn nicht gehört. Jedenfalls blieb er liegen.

»Tankret!«

Der Leibwächter beugte sich hinab und packte Jean bei den Schultern. Er stellte ihn hin. Eine Hand blieb im Nacken des Jungen.

»Jean. Wie kann sich hinter einem so makellosen Gesicht in einem so zarten, jungen Körper so viel Schlechtigkeit verbergen? Du hast mich beleidigt, mir unterstellt, ein Lügner zu sein, und auch noch versucht, mich zu vergiften. Du hast mich enttäuscht.

So wie Guillaume.«

»Ich wollte nicht ... «, stieß Jean schluchzend hervor. »Ich ... «

»Hör auf zu weinen! Tankret, trockne seine Tränen!«

Einen Augenblick lang wirkte der Krieger bestürzt. Ein Anblick, den Balduin genoss.

Der Hofmeister wusste nur zu gut, dass es klüger war, die Befehle seines Königs umgehend zu befolgen. Und Tankret wusste es auch! Der Krieger riss sich das Tuch von seinen Lenden und wischte damit über Jeans Gesicht. Doch es half wenig. Der Kleine weinte einfach weiter.

»Jean«, die Stimme des Königs klang versöhnlich. »Du wolltest mich nicht kränken. Du bist nicht wie Guillaume, nicht wahr?«