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Ganz in der Nähe lungerten einige Grauhäute herum. Sie hatten mitten auf dem Weg ein Feuer entfacht und verbrannten Rosenholz und Streifen von Palmrinde. Falrach traute seinen Augen nicht! Diese Barbaren hatten tatsächlich einige der uralten Rosenstöcke bis zu den Wurzeln abgeschnitten, um die dicksten Zweige zu verfeuern.

Rauch, schwer vom Duft des Rosenöls, zog über den Weg und stieg in Wirbeln entlang des makellos weißen Mauerwerks der Pyramide dem Nachthimmel entgegen. Auf der goldenen Spitze brach sich das Licht der Sterne. Deutlich konnte man das mit Emaille eingelegte, allsehende Auge erkennen. Das Zeichen der Orakel.

Die fremde Stimme drängte Falrach, nicht länger zu verweilen, um den Grauhäuten zuzusehen. Sie führte ihn auf die Rückseite der Pyramide, wo am Fuß eines abschüssigen Hangs ein dunkler Teich lag. Sternlibellen tanzten mit grüngelb schimmernden Leibern im Dunkel der beginnenden Nacht ihren Liebesreigen. Leichter Modergeruch stieg vom Ufer auf. Zikaden und andere Geschöpfe der Dämmerung hatten ihre Lieder angestimmt.

Hoch über ihm, verborgen von den Orchideen, die sich in den Astgabeln eines alten Magnolienbaums eingenistet hatten, widmete ein Drachenrufer seine melancholische Klage dem weiten Sternenhimmel.

Am Ufer fand Falrach einen weiteren Pavillon, dessen steinernes Kuppeldach von sieben Statuen getragen wurde. Es waren schlanke Frauengestalten, die zu tanzen schienen. Sie hatten die Hände über den Kopf erhoben und griffen in fein gearbeiteten steinernen Rauch, der in träge wallenden Schwaden das Kuppeldach formte. Einzelne Flecken aus sanft zitterndem Sternenlicht, reflektiert von der spiegelnden, schwarzen Oberfläche des Teichs, entrissen die meisterliche Arbeit der Steinmetzen dem Schleier der beginnenden Nacht.

Verborgen hinter Rosenranken, die in den Pavillon hinreichten, entdeckte Falrach eine Treppe, die hinab ins Dunkel führte. Die Stimme drängte ihn weiter. Vorsichtig tastend nahm er Stufe um Stufe. Bald verstummte das Abendlied des Dschungels. Stille umgab ihn und der Geruch alten Mörtels.

Langsam gewöhnten sich seine Augen an das Dunkel. Auch das war früher, als seine Seele noch in seinem eigenen Körper lebte, besser gewesen. Die Treppe hatte ihn zu einem Tunnel geführt. Er sah so wenig, dass er zur Sicherheit eine Hand an der Wand entlanggleiten ließ, als er weiterging. Die Oberfläche war unregelmäßig. Sie schienen mit aufwendigen Reliefs geschmückt zu sein.

Bald sickerte schwaches, gelbes Licht ins Dunkel, zeichnete Konturen auf die Wände und tiefe Schatten. Falrach glaubte das Tal wiederzuerkennen, denn die Bilder zeigten eine einzelne Pyramide, umgeben von Gärten und Palastbauten. Ein Drache hatte hier regiert. Auf den Bildern umgab er sich mit einem prächtigen Hofstaat. Seine Leibgarde schien aus Elfen zu bestehen. Falrach wurde das Herz schwer, als er die Bilder sah. Sie erinnerten ihn an sein Leben. An die Zeit vor dem Drachenkrieg. Als die Drachenelfen die stolze Garde der Herren der Welt gewesen waren. Die Elfen hatten alles von den Drachen erlernt. Ihre Kultur, die Magie, ja, sogar ihre Musik war durch die Drachen beeinflusst worden. Heute schien dies in Vergessenheit geraten zu sein. Alle glaubten, die Elfen seien schon immer die Herren der Welt gewesen, aber er wusste es besser. Er war ein Gestrandeter aus einem fremden Zeitalter.

»Falrach!« Die Stimme war jetzt nicht mehr in seinem Kopf. Eine rauchige, leise Frauenstimme hallte durch den Tunnel. »Falrach!«

Der Ruf hatte etwas Magisches. Er war genauso zwingend wie jene Stimme, die in seinem Kopf erklungen war. Der Elf beschleunigte seine Schritte und gelangte bald ans Ende des Tunnels. Ein weiter, von Wasser überfluteter Saal lag vor ihm. In seiner Mitte erhob sich eine flache Insel. Dort kauerte die Gazala.

Emerelle hatte voller Zorn von der Seherin erzählt.

Auf ihre Art ist sie hübsch, dachte Falrach. Sehr ungewöhnlich, aber hübsch. Er war noch nie einer Gazala begegnet. Seherinnen und Spieler passten nicht gut zusammen.

Sie winkte ihm zu. »Komm, Falrach.«

Er stieg in das brackige Wasser und watete zur Insel. Firaz wartete reglos. Sie stand neben einer Feuerschale, aus der duftende, dichte Weihrauchschwaden aufstiegen. Als er ans Ufer trat, kam sie ihm entgegen. Zärtlich wie eine Liebende legte sie ihm eine Hand auf die Wange. Sie sah ihn durchdringend an. Nicht einmal blinzelten ihre hellbraunen Augen.

»Du hast eine lange Reise gemacht«, sagte sie schließlich vieldeutig. »Noch nie kam jemand wie du zu mir.«

Er wusste nicht recht, was er dazu sagen sollte.

»Fürchtest du dich vor Ollowain?«

»Nein.« Er sagte es ein wenig zögerlich, verwundert darüber, dass die Seherin ihm Fragen stellte.

Sie nahm seine Hand und betrachtete das Netzwerk der Linien. Nur einen Augenblick lang. Dann schüttelte sie den Kopf. »Hier kann ich dein Schicksal nicht lesen. Du warst einst ein Schlachtenlenker. Und dein Leib gehörte einst dem Schwertmeister der Königin. Komm mit mir!«

Sie ging zu einer Mulde am hinteren Ende der Insel. Dort standen sieben Ledersäcke in einer Reihe. Sie wählte den dritten aus und öffnete dessen Verschnürung. »Greif hinein, Falrach. Ganz gleich, was dabei geschieht! Greif mit beiden Händen zu. Hol heraus, was immer du zu packen bekommst, und lass es vor mir auf den Boden fallen.«

Falrach tat, wie ihm geheißen. Der Sack war voller scharfkantiger Metallstücke. Er schnitt sich.

»Du darfst nicht loslassen. Nimm, was du als Erstes berührt hast. Das ist wichtig!«

Wieder schnitt er sich. Falrach kämpfte den Reflex nieder, einfach loszulassen. Er zog die Hände aus dem Sack. Klirrend fiel das Metall zu Boden. Es waren Bruchstücke von Schwertklingen. Manche so breit wie drei Finger. Andere nur winzige Splitter. An den meisten Stücken haftete frisches Blut. Ungläubig blickte er auf seine offenen Hände.

Die Innenflächen waren zerfurcht von einem Netzwerk von Schnitten. Blut troff aus den Wunden auf den Boden.

Firaz hatte sich über das Muster aus Metallsplittern und verwischtem Blut gebeugt.

»Kannst du etwas zur Seite gehen? Wenn jetzt noch weiter Blut nachtropft, verdirbt es das Orakel.«

Falrach gehorchte, wandte den Blick aber nicht von seiner verletzten Hand ab. »Was ist das?«

Die Gazala machte mit einem ärgerlichen Winken klar, dass sie nicht gestört werden wollte. Aufmerksam betrachtete sie das Muster auf dem Boden. Dabei wiegte sie sich leise summend vor und zurück.

Falrach zog sich einen kleinen Metallsplitter aus der Hand und ließ ihn zu Boden fallen. Die Wunden waren allesamt nicht tief, aber zwei von ihnen bluteten stark. Er drückte die Wundränder zusammen und sah der Gazala zu.

Es dauerte schier eine Ewigkeit, bis sie sich erhob und ihn ansah. »Du bist mehr, als du scheinst, Falrach.«

Er musste sich beherrschen, um sich seine Enttäuschung nicht unmittelbar anmerken zu lassen. Was für ein nichtssagender Spruch! Das hätte ihm auch irgendeine Gossen-wahrsagerin in einer beliebigen Stadt sagen können.

»Ollowain wird zurückkommen. Aber es wird nicht der Schwertmeister von einst sein.

Und du entscheidest darüber, was für ein Mann er sein wird. Du kannst ihn auch aufhalten. Jetzt, in dieser Nacht. Ich könnte dir dabei helfen.«

Das war jetzt so weit von jedem Jahrmarktswahrsager gewäsch entfernt, dass er sie einfach nur verdattert ansah. »Wie kann ich ihn denn aufhalten?«, brachte er schließlich heraus.

»Ollowain ist tot. Er ist ermordet. Seine Erinnerung, alles, was sein Leben ausmachte, ist fort. Aber etwas ist geblieben. Stell es dir wie ein großes, leeres Gefäß vor. Ein Gefäß, das begierig ist, gefüllt zu werden. Es nimmt alles in sich auf, was du über Ollowain hörst. Wie er gelebt hat, was er getan hat. Wenn es weit genug gefüllt ist, dann wird sich daraus ein Bewusstsein bilden. Lass dir also niemals von jemandem den Lebensweg des weißen Ritters erzählen. Auf die Weise würde er wiederauferstehen. Aber das Ganze ist ein Trug. Es ist nicht der wahrhaftige Ollowain, der zurückkehrt. Es ist ein Ollowain, wie er in den Erinnerungen jener fortlebt, die ihm begegneten, und schlimmer noch, der Ollowain aus den Geschichten, die man sich über ihn erzählt. Wenn du ihm sagst, dass er als Kind einen schwarzen Hund hatte und ihm ein paar Anekdoten darüber erzählst, dann wird er es von Stund an glauben.