Fünfhundert Armbrüste. Für Ollowain drehte es sich letztlich darum. Er konnte es sich nicht leisten, einen so großen Teil seines Heeres zu verlieren. Andererseits galten Melvyns Männer als die besten Späher. Auch sie durfte er nicht verlieren. Sie sollten die Augen seines Heeres sein und der heimliche Dolch, der den gegnerischen Spähern an die Kehle ging, wenn sie am wenigsten damit rechneten.
»Seinetwegen ist mein Weib verstümmelt«, sagte Shandral, sichtlich darum bemüht, noch die Fassung zu bewahren. »Das Gift falscher Liebe, das dieser Frauenheld in ihr Herz geträufelt hat, hat für immer ihr Leben zerstört! Hör dich um im Feldlager, wenn du an meinen Worten zweifelst. Er ist wirklich ein Wolf! Wahllos bespringt er die Weiber, verdreht ihnen mit schönen Worten den Kopf, und dann lässt er sie fallen. Alle Glieder sollte man ihm brechen und ihn dann wehrlos wilden Hunden zum Fraß vorwerfen! Er gehört nicht in höfische Kreise. Er beschmutzt alles, was gut und edel ist!«
Melvyn schienen die Worte nicht im Mindesten zu berühren.
»Eines ist wohl wahr. Kaufen musste ich mir noch kein Weib. Und was soll das heißen, meinetwegen sei dein Weib verstümmelt?«
Shandral legte die Hand auf seinen Dolch. »Weißt du das wirklich nicht? Ich glaube dir nicht, dass du nicht schon davon gehört hast!«
»Wovon?«
»Von dem Unfall, den du verschuldet hast!« Shandral zog seinen Dolch.
Ollowain trat zwischen Melvyn und Shandral. Er war sich sicher, dass Melvyn den gehörnten Gatten selbst mit eisernen Handfesseln noch überwältigen könnte.
»Sie wollte zu dir, die Hure!« Shandral vergrub sein Gesicht in den Händen und schluchzte. »Gestern, gleich nach Einbruch der Dämmerung, geschah es. Sie hat sich davongeschlichen. Durch die Hammerschmiede wollte sie. Sie ist über die schalen Balken hoch über den Ambossen gelaufen. Leylin muss wie von einem Wahn besessenen gewesen sein. Dort oben ist alles voller Rauch. Und es ist so heiß, dass man kaum atmen kann. Selbst die Kobolde meiden diese Wege. Sie ...« Der Fürst ließ den Dolch sinken und schlug die Hände vors Gesicht. »Sie ist gestürzt. Unter die Hämmer ist sie ... Die großen Hämmer ...«
Melvyn wirkte wie vom Schlag gerührt. Benommen schüttelte er den Kopf. »Das ... das kann nicht stimmen.«
»Dein Werk ist das«, zischte Shandral kalt. »Dein Werk! Und wenn du nicht verurteilt wirst, dann werde ich einen Weg finden, dich zur Strecke zu bringen. Ich bin kein Mann des Schwertes, aber ich bin nicht machtlos. Das wirst du erleben.«
Er kämpfte mit den Tränen. »Meine Diener haben sofort die besten Heilkundigen der Stadt geholt, um Leylin zu retten. Aber ... Aber ... Ich wünschte, sie hätten es gewagt, mich bei meiner Unterredung mit dem Feldherrn ... dem ehemaligen Feldherrn, meine ich. Ich wünschte, sie hätten es gewagt, mich dort zu stören. Ich hätte bei ihr sein sollen! Ihre Beine ... Ihre beiden Knie sind unter einen der schweren Hämmer geraten. Es war ... Sie ... Ihre Kniegelenke sind völlig zerschmettert. Es war den Heilern unmöglich, die Knochen wieder zusammenzufügen. Sie mussten ... Sie haben ihr beide Beine abgenommen. Dicht über den Knien.« Voller Hass blickte er Melvyn an. »Sie wird nie wieder ... laufen können.«
»Du Ungeheuer!« Der Wolfself sprang auf. Er streckte die Hände vor, als wolle er Shandral erwürgen.
Ollowains Ellenbogen krachte gegen Melvyns Schläfe, als dieser ihn zur Seite stoßen wollte. Ohne einen Laut brach der junge Elf zusammen.
»Er ist wie ein Geschwür, das man aus dem Leib schneiden muss«, sagte Shandral gehässig. »Er hätte niemals seine Wolfshöhle verlassen dürfen.«
»Du hast die Erlaubnis, nun zu gehen, Shandral.«
Der Fürst stieß mit der Fußspitze gegen Melvyn. »Und was wird mit diesem Stück Dreck?«
»Morgen werde ich dein Weib besuchen, um mit ihr zu sprechen. Danach werde ich entscheiden.«
»Sie ist noch sehr schwach, Schwertmeister. Sie wird dir keine Hilfe sein.«
»Ich werde ihre Kräfte nicht lange beanspruchen. Heute Abend erwarte ich dich auf dem Fest der Kentauren. Enttäusche mich nicht. Und nun geh!«
Shandral verließ das Zelt mit leisen Flüchen auf den Lippen.
Ollowain war zutiefst erschüttert. Fast hätte der Fürst sich verraten. Der Schwertmeister war sich ganz sicher, dass Shandral eigentlich hatte sagen wollen: Sie wird nie wieder fortlaufen können. Das war kein Unfall in der Schmiede gewesen! Shandral hatte Leylin für ihre Untreue bestrafen lassen. Aber das würde er ihm wohl kaum beweisen können.
Das Fest der Kentauren
Ollowain kannte nichts, was einer Schlacht so nahe kam wie ein Fest der Kentauren. Das Tosen der Trommeln ließ ihm fast die Ohren bluten. Die dumpfen Rhythmen drangen bis in sein Innerstes und erzählten ihm von hunderten von Kämpfen. Sie weckten in ihm die Lust zu kämpfen, Blut zu vergießen.
Wilde Stimmen schmetterten melancholische Lieder. Sie waren ein wenig wie die Sagas der Fjordländer. Die Helden starben einen tragischen Tod. Ollowain lächelte traurig. Er dachte an den Befehl, den Emerelle ihm gegeben hatte. Natürlich würde er gehorchen. Ihr hatte er immer gehorcht.
Der Schwertmeister führte eine kleine Gruppe von Elfen ins Herz des Chaos. Das Lager der Kentauren war riesig. Zelte gab es hier keine. Nur hier und dort war eine Sonnenplane aufgespannt. Meistens um ein Lager aus Weinamphoren kühl zu halten.
»Gibt es etwas, wovor ich mich besonders in Acht nehmen sollte?« Obilee musste schreien, obwohl sie neben ihm ritt.
»Rühr keine Wolfsmilch an. Wer davon trinkt und keinen Pferdemagen hat, wird unweigerlich krank.«
»Was ist das, Wolfsmilch?«
»Vergorene Stutenmilch, mit Anis und anderen Gewürzen versetzt. Trink nichts, was weiß ist!« Ollowain beobachtete verstohlen die übrigen Reiter in seinem Gefolge. Melvyn schien es zu genießen, hier zu sein. Allerdings warf der Wolfself, wenn er sich unbeobachtet fühlte, Shandral Blicke zu, die keinen Zweifel an seinen finsteren Absichten ließen. Ollowain hatte Melvyn entwaffnen lassen, aber wahrscheinlich hätte dieser keine Schwierigkeiten damit, Shandral nur mit bloßen Händen zu töten.
Der Fürst von Arkadien zuckte immer wieder zusammen, wenn irgendein Trupp Betrunkener in plötzliches Gejohle ausbrach.
Elodrin hingegen ließ sich durch nichts aus der Fassung bringen. Der Seefürst wirkte äußerlich völlig gelassen. Doch Ollowain wusste, dass der Adlige es zutiefst hasste, seine Zeit auf einem barbarischen Saufgelage zu verbringen. Obwohl die Kentauren ihre treuesten Verbündeten waren, sah er in ihnen nur wenig mehr als Tiere.
Yilvina war angespannt wie eine Stahlfeder. Sie trug ein weißes Stirnband, damit ihr in der Hitze kein Schweiß in die Augen rann. Wie eine stumme Drohung ragten ihre beiden Schwertgriffe hinter ihren Schultern auf. Misstrauisch beobachtete sie jeden, der sich auch nur ungefähr in Richtung des Seefürsten bewegte.
Nardinels Schönheit umgab die dunkelhaarige Elfe wie ein schützender Panzer. Zugleich wirkte sie ein wenig entrückt, als sei sie in tiefe Meditation versunken oder als weigere sie sich schlicht, zur Kenntnis zu nehmen, wo sie hier gelandet war. Sie ritt als Einzige im Damensitz.
Obilee war im Gegensatz zu der Heilerin erfrischend neugierig. Sie sah sich um und belagerte Ollowain mit ihren Fragen. Jetzt deutete sie mit ausgestrecktem Arm auf ein Feuer. »Ist das ein Ochse, der da gebraten wird? Ist das nicht ein bisschen gefühllos, wenn man Minotauren zu Gast hat?«
»Die Pferdemänner denken da anders. Für sie ist das gutes Fleisch, und wenn man Gäste hat, dann bringt man nur das Beste auf die Bratspieße.«
Ein Pulk schreiender und aufeinander einprügelnder Reiter brach durch die Gruppen von Trinkern und Schaulustigen, die die Elfen angafften. Ständig die Richtung wechselnd, hieben die Männer aufeinander ein. Manchmal sah man in ihrer Mitte einen ledernen Ball hochschnellen, von dem ein armlanges Tau herabhing.
Ein Schimmel brachte den Ball in seinen Besitz und brach aus dem Reiterpulk aus. Sofort hefteten sich alle anderen an seine Hufe. Während einige Kentauren versuchten, seine Flanken gegen Angriffe abzuschirmen, ließen die anderen nichts unversucht, um ihm den Ball wieder abzunehmen.