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Nossew sprang ab, als die Kutsche des Fürsten anhielt. Er beeilte sich, den Verschlag aufzureißen, und verneigte sich tief, als Shandral ausstieg. So blieb sein Gesicht unerkannt.

Der Elfenfürst hinkte wie ein ausgemusterter Koboldveteran. Schwer stützte er sich auf den schwarzen Stab. Rings herum herrschte atemlose Stille. Von Ferne hörte man die Hämmer der Schmiede, und Misht hatte das Gefühl, dass sie seinem Herzen den Rhythmus vorgaben. Es pochte schmerzhaft in seiner Brust. Sein Atem ging keuchend von der halsbrecherischen Jagd über die Dächer. Er klammerte sich an einem rostigen Wetterhahn auf der Spitze eines Türmchens fest, das verspielt aus der Flanke eines großen Gildenhauses wuchs. Ob man ihn vom Platz aus sehen konnte, war Misht inzwischen egal. Das Einzige, was für ihn noch zählte, war, dass ihm nichts entging.

Inmitten des Platzes erhob sich plötzlich ein Bogen aus strahlendem silbernem Licht. Es war ein Torbogen in die Finsternis. Misht wusste, dass es dort auch einen goldenen Pfad geben musste, doch die Fuhrwerke verstellten ihm den Blick darauf.

Shandral winkte den Kutschen, und langsam setzte sich die Kolonne wieder in Bewegung. Einige der Pferde scheuten und mussten mit Gertenhieben durch das Tor gerieben werden. Wenn alle Schläge nicht halfen, verband man ihnen die Augen, und ein Diener führte sie am Zügel ins Nichts.

Wagen um Wagen verschwand durch das Tor. Dann folgten in Dreierreihen die Armbrustschützen. Schließlich war nur noch Shandrals Kutsche auf dem weiten Platz. Hinkend kehrte der Fürst zurück. Nossew riss ihm den Verschlag auf.

»Lass es damit gut sein«, flüsterte Misht beschwörend.

Der Kutscher ließ seine Peitsche über die Köpfe der Pferde knallen. Nossew warf den Verschlag zu. Dann sprang er auf das Trittbrett, und die Kutsche verschwand durch das Silbertor.

Misht wartete, bis der Zauber vergangen war und der Platz verlassen im Mondlicht lag. Bis zuletzt hatte er gehofft, Nossew werde es sich noch anders überlegen und durch das Tor zurückkehren, bevor es sich schloss. Doch der Dickschädel hatte andere Pläne.

Ein verlorener Soldatenstiefel, der in einer Pfütze lag, war alles, was von Shandrals Haushalt zurückgeblieben war.

Misht kletterte vom Wetterhahn herunter und stieg vorsichtig von der Dachkuppel. Es war an der Zeit, nach Melvyn zu suchen.

Lebendes Silber

Ganda betrachtete voller Widerwillen die silberne Hand, die vor ihr auf einem blauen Samttuch lag. Sie war ein Kunstwerk, das ließ sich nicht bestreiten. Ihr Stumpf war mit einer breiten Lederkappe bedeckt, wie der Stumpf, in dem Gandas Arm endete.

»Nun komm schon«, sagte Rika. »Berühr sie. Sie beißt dich schon nicht.« Ganda sah die Hexe skeptisch an. »Ich habe nicht um diese Hand gebeten.« Breitnase, der Mausling, trat auf das Samttuch und hakte die Daumen in seine Weste. »Weißt du, wie viel Arbeit das war? Als du schliefst, habe ich deine Hand genau vermessen. Ich kenne sie wahrscheinlich besser als du selbst. Die Schwielen, die Wirbel auf deinen Fingern, das geschwollene Gelenk an deinem Ringfinger und die alte Narbe an der Handkante. Ich habe deine Knochen vermessen.« Ganda überlief ein Schaudern. »Wie geht das, wenn noch Fleisch an meinen Fingern ist?« Breitnase grinste frech. »Ein Geheimnis meiner Zunft.«

»Was genau war deine Zunft? Es ist mir wieder entfallen.«

Der Mausling schüttelte den Kopf. »Nein, das ist es nicht. Ich habe es dir nie gesagt. Ich bin ein Entmangler.«

»Entmangler? Was soll das sein?«

»Er ist ein Zauberer und dazu einer der begabtesten, die ich kenne«, mischte sich Rika mit ihrer samtenen Stimme ein.

Es war ein Wunder, dachte Ganda, wie man so hässlich sein konnte, dass sich selbst Hühneraugen geschlossen hätten, um dem Anblick zu entgehen, und zugleich mit einer solchen Stimme beschenkt war. Fast mochte man meinen, die Schöpfung habe im letzten Augenblick versucht, wieder etwas gutzumachen.

Breitnase schüttelte den Kopf. »Ich bin kein besonderer Magier. Ich versuche Mängel zu beheben. Manchmal glückt es mir, die Welt ein klein wenig besser zu machen.«

»Ach, er ist viel zu bescheiden«, erwiderte Rika. »Vergiss seine Größe. Wenn Körpergröße etwas mit Können zu tun hätte, dann müsste er ein Riese sein. Ich selbst habe gesehen, wie er für einen verletzten Schmetterling einen Flügel aus lebendem Silber erschaffen hat. Und er konnte wieder fliegen. Du hättest das sehen sollen, Ganda. Es war einfach wunderbar! Er ist geflogen, als habe ihm nie etwas gefehlt.«

»Mit einem Flügel aus Silber?«, hakte die Lutin nach. »War der denn nicht viel zu schwer?«

»Lebendes Silber, Ganda. Lebendes Silber! In ganz Albenmark gibt es höchstens eine Hand voll Alchimisten, die dieses Metall erschaffen können.«

»Ach, ein bedeutender Alchimist ist er auch noch«, murmelte die Lutin.

Breitnase zuckte mit den Schultern. »Du musst die Hand nicht annehmen. Sie ist ein Geschenk. Ich glaube, sie ist eines der besten Werkstücke, die ich je gefertigt habe.«

»Wie kann man nur so undankbar sein!«, fluchte Rika.

»Hast du denn gar kein Feingefühl? Weißt du, dass Breitnase in den letzten beiden Tagen kein Auge zugetan hat, weil man die Arbeit am lebenden Silber nicht einen einzigen Augenblick ruhen lassen darf, bevor sie vollendet ist? Sonst verdirbt nämlich das Werk. Das Metall wird hart, der Zauber verfliegt, und alles war vergebens.«

Ganda betrachtete wieder die Hand. »Was soll das heißen, das Metall wird hart?«

»Berühr die Hand, dann wirst du es wissen«, sagte der Mausling sanft.

»Na los, mach schon«, drängte Rika. »Ohne Breitnase wärst du nicht einmal zu mir gekommen und würdest noch immer draußen den Wald voll bluten. Er ist der Mutigste unter allen Bewohnern Yaldemees. Die anderen haben sich ausnahmslos verkrochen, als sie deinen Elfen gesehen haben. Zum Fürchten hat er ausgesehen in diesem blutbesudelten Gewand. Sie haben geglaubt, die Trolle wären schon im Herzland. Nur Breitnase hat sich deinem Elfen gestellt. Er hat den Mangel an Gastfreundlichkeit behoben und euch beide hierher gebracht. Und das war gut so. Und jetzt solltest du dich als Entmanglerin versuchen und deine Schwächen in Sachen Höflichkeit ausbügeln, auch wenn du eine Lutin bist. Nimm die Hand und sieh dir Breitnases Arbeit an.«

Die beiden schafften es tatsächlich, ihr ein schlechtes Gewissen zu machen, dachte Ganda ärgerlich. Sie wollte nicht unhöflich sein. Doch die Silberhand machte ihr Angst. Bisher hatte sie es vermieden, den Stumpf ihrer Hand auch nur anzusehen. Sie war einfach noch nicht bereit, sich dem zu stellen. Am liebsten hätte sie einfach in der Schilfhütte gelegen, vor sich hin gestarrt und die Welt verflucht. Ollowain hatte sie hier einfach abgeladen, als er sie nicht mehr gebraucht hatte. Und das Buch hatte er ihr auch gestohlen. Wütend dachte sie an das, was Rika ihr erzählt hatte. Dieser Mistkerl! Er hatte ihr das Buch genommen und drohte ihr mit dem Scharfrichter der Königin. So war er fein raus. Er hatte die Gesetze Iskendrias nicht gebrochen, und sie war eine bestohlene Diebin, die den Henker fürchten musste, wenn sie zu Emerelles Burg ging, um Gerechtigkeit zu fordern.

Bestimmt hatte Emerelle ihren falschen Helden reichlich belohnt. In Melianders Buch stand sicherlich alles aufgeschrieben, was die Königin wissen musste, um die Yingiz zu vertreiben. Ganda hatte seine Macht spüren können. Dieses Buch war gefährlich. Gefährlich genug, die Schatten zu vernichten, denen sonst nichts gewachsen schien. Und wenn die Heldentat vollbracht war, dann konnte sie vermutlich froh sein, wenn sie als Fußnote in dieser Geschichte vorkam. Die arme verkrüppelte Lutin ... Wie war auch gleich der Name der bestohlenen Diebin? Eine Witzfigur war sie geworden, weil sie so dumm gewesen war, dem Schwertmeister zu vertrauen.

In den letzten beiden Tagen hatte Ganda oft an die Geschichte des Meisterdiebs Cabak gedacht. Jeder in ihrem Volk kannte sein Schicksal. Was Cabak widerfahren war, hätte ihr eine Lehre sein sollen, sich nicht mit Emerelle einzulassen!