Sie hatte ihnen gedroht, dass sie jede Sippe auslöschen würde, aus der ein Kämpfer hervorging, der den vermeintlich fliehenden Feinden hinterherlief und so die eigene Schlachtreihe in Unordnung brachte.
Skanga hatte angenommen, dass sie ihr Heer auf alles vorbereitet hätte! Aber diese Kugeln am Himmel hatte niemand je zuvor gesehen. Keiner wusste, was man von ihnen zu erwarten hatte. Nur eins war allen klar. Von den Elfen kam nie etwas Gutes!
Selbst Birga, ihrer Ziehtochter, die ihr sonst in stets gleichbleibendem Tonfall ihre Beobachtungen ins Ohr flüsterte, war die Anspannung anzumerken.
»Die schwarzen Kugeln kommen von Kutschen, die auf einem Hügel stehen. Es sind hunderte. Der ganze Himmel hängt voll mit ihnen, und der Sanhalla treibt sie uns entgegen.«
»Weißt du, was das ist, Fuchsgesicht?«
»Ballons!«, sagte Elija.
»Ich frage nicht, wie das heißt! Ich will wissen, was das ist!«
Die Überheblichkeit des Lutin hatte ein unerträgliches Ausmaß erreicht. Sie war auf ihn angewiesen, und das wusste Elija Glops genau. Aber wenn der Feldzug erst einmal beendet war, dann würde sie sein Herz essen. Oder nein ... Besser sein Hirn. Klug war er, das musste man ihm lassen. Er hatte ihrer Sache gute Dienste geleistet. Sein Plan mit den Hügelgräbern hatte den Krieg überhaupt erst möglich gemacht ... Wusste der Henker, was er sonst noch für Pläne verfolgte.
»Ballons sind Kugeln aus dünnem Seidenstoff, den man auf Draht oder Weidenruten spannt. Dann leitet man heiße Luft in das Innere der Kugel. So wie Rauch in den Himmel steigt, steigt auch heiße Luft nach oben. Sie trägt den Ballon. Man könnte einen Mausling mit so einem Ballon fliegen lassen.« Er lachte.
»Aber fliegende Mauslinge sind immer noch genauso ungefährlich wie Mauslinge zu Fuß. Die können nicht einmal einer Fliege was zu Leide tun.«
»Ballons.« Skanga sprach das Wort langsam, ließ es auf der Zunge zerfließen und suchte nach der Bedrohung, die sich dahinter verbergen mochte.
»Warum haben wir keine Ballons?«, fragte Gilmarak.
»Weil wir Krieger aus Fleisch und Blut haben. Das ist besser als Seide und heiße Luft. Solche Krieger eilen nicht davon, nur weil der Wind sich dreht.«
Das war es! Ganda schloss die Lider über ihren toten Augen und suchte nach der Kraft der Magie. Es war kein guter Platz, um zu zaubern. Nur ein einziger Albenpfad lag in der Nähe des Schlachtfelds, und er widersetzte sich. Das Blau war stark in ihm. Die einzige Farbe, die sie nie richtig gemeistert hatte. Die Farbe des Himmels, die ihre alte Meisterin Matha Naht ihr vorenthalten hatte. Magie war überall. Doch in den Pfaden der Alben floss sie mit besonderer Kraft. Dort war es leichter, sie dem eigenen Willen zu beugen. Der Wind widersetzte sich ihr! Schweiß rann ihr über das Gesicht. Nicht einmal eine einzelne Böe konnte sie dem Himmel abringen. Wenn sie Zeit hätte und Opfer bringen könnte, dann würde sie einen richtigen Sturm entfesseln können. Aber so ...
»Geht es dir nicht gut?«, flüsterte Birga.
Skanga versetzte ihr einen ärgerlichen Knuff. Manchmal war sie einfach nur lästig! Ständig belauerte sie einen! Sie hatte auch immer versucht, mit ihr zur Nachtzinne zu reisen. Regelrecht aufgedrängt hatte sie sich. Was sie wohl von Orgrim wollte?
Skanga war in den letzten Jahren immer wieder in die Andere Welt gereist. Sie hatte sogar den jungen König mitgenommen. Doch nichts vermochte Orgrim zu bewegen, sein Herzogtum zu verlassen. Er hatte sich zwei Weiber genommen und acht Welpen gezeugt. Skanga lächelte gehässig. Sechs davon waren Weiber. Aber Orgrim liebte sie alle. Er war ein seltsamer Krieger. Er flüchtete vor dem Krieg.
Als Skanga einsehen musste, dass er die Nachtzinne nicht verlassen würde, hatte sie versucht, von ihm die Kunst der Kriegsführung zu erlernen. Doch allzu bald hatte sie erkannt, dass ihr dazu die Begabung fehlte. Sie wusste darum, wie man Heere aufstellte und führte. Aber was ihr fehlte, war die Gabe, mit beweglichem Geist auf plötzliche Änderungen zu reagieren. Orgrim hatte versucht, ihr ein Spiel der Elfen beizubringen, bei dem man schwarze und weiße Figuren auf einem eigens gefertigten Tisch hin und her schob. Der Herzog schrieb sogar seine Gedanken und Gefühle auf! Skanga musste jedes Mal lachen, wenn sie daran dachte. Sie kannte keinen anderen Troll, der das tat. Niedergeschriebene Gedanken waren tot und begraben. Das begriff Orgrim nicht. Gedanken mussten frei sein und sich verändern dürfen.
Die Schamanin spürte, wie die Unruhe im Heer immer weiter wuchs. Es war schwer gewesen, ihre Trollkrieger dazu zu zwingen, in einer Reihe anzutreten und nicht einfach wild gegen den Feind zu stürmen. Auch wenn Skanga keine große Feldherrin geworden war, hatte sie einige grundlegende Einsichten der Kriegsführung dennoch begriffen. Die Krieger mussten mit ihren Schilden eine feste, hölzerne Mauer bilden, sonst würden die Reiter sie gnadenlos auseinander treiben und ein Blutbad unter ihnen anrichten.
Dass die Lutin ihr die Pläne der Elfen verschafft hatten, war der Schlüssel zum Sieg. Auch wenn sie nichts von den ... wie hießen diese Dinger gleich? Barlons? Egal! Skanga hatte den linken Flügel ihres Heeres verstärkt. Gut versteckt in einem breiten Streifen Buschland lagen fünftausend Trollkrieger unter dem Befehl des Rudelführers Brodgrim. Er hatte ihr lange als Kundschafter gedient und sich in den letzten Jahren als ein fähiger Anführer erwiesen. Wenn die Schlacht begann, würde Brodgrim zum trockenen Fluss durchbrechen und den Elfen den einzigen Rückzugsweg nehmen. Wenn dies gelang, saß ihr Heer gefangen zwischen dem übermächtigen Trollheer und den Bergen. Dann würden sie bis zum letzten Kobold vernichtet werden. Das wäre der Anfang vom Untergang. Von so einer Niederlage würde sich selbst Emerelle nicht mehr erholen. Das Verderben der Elfen war, dass sie ihre Toten nicht schnell genug ersetzen konnten.
Skanga blickte zum Himmel. Wenn nur diese Barlons nicht wären! Es war verwünscht! Sie führte das Heer, und sie war die Einzige auf der ganzen Ebene, die nicht sehen konnte, was dort auf sie zukam.
»Die ersten dieser schwarzen Kugeln schweben jetzt über uns«, flüsterte Birga.
Der Gestank der Angst lag in der Luft. Die meisten Trollkrieger würden sich ohne Bedenken nur mit einem Stein in der Faust einem Höhlenbären zum Kampf stellen. Aber vor der Heimtücke der Elfen fürchteten sie sich. Zu viele blutige Niederlagen hatte ihr Volk erlitten! Und niemand hatte vergessen, dass Emerelle sie für Jahrhunderte aus ihrer Heimat vertrieben hatte.
Hinter der Schlachtreihe erklang das ängstliche Blöken der jungen Hornechsen. Ein durchdringender, tiefer Laut. Er war Öl in die Glut der Angst. »Können deine Fuchsschnauzen nicht einmal ihre Echsen ruhig halten?«, herrschte sie Elija an.
»Ich werde mich darum kümmern, Skanga.« Der verdammte Lutin hatte es so eilig fortzukommen, dass die Schamanin überzeugt war, er habe nur auf einen Vorwand gewartet, sich zu verdrücken. Vielleicht hatte er seinen Leuten sogar befohlen, die Jungechsen zu schlagen, damit es einen Grund gab, nach dem Rechten zu sehen und den Feldherrenhügel zu verlassen. Den Lutin war jede Heimtücke zuzutrauen. Doch gerade das machte sie zu so wertvollen Verbündeten im Kampf gegen die Elfen. Ohne ihre Spitzel wäre das Trollheer an diesem Morgen überrascht worden, und die Elfen hätten ein Massaker angerichtet, das für viele Jahre alle Kriegspläne zunichte gemacht hätte.
»Kannst du ihr Heer sehen, Birga?«
»Nein. Die Pferdemänner wirbeln zu viel Staub auf. Ich sehe die Wagen, mit denen sie gekommen sind. Sie stehen auf einem Hügel, etwa eine halbe Meile entfernt und ...« Birga brach ab. Rings herum waren erstaunte Ausrufe zu hören.
»Sie malen auf dem Himmel«, sagte Gilmarak.
»Was passiert da?« rief Skanga ärgerlich darüber, dass selbst Birga verstummt war.
»Hinter dem Staub steigen dünne Rauchfäden in den Himmel. Es müssen hunderte sein. Manche gehen über Kreuz und bilden ein Gitterwerk. Sie folgen glühenden Funken ...«