Hinter ihnen erklang ein rauer Ruf. Einer der Trolle forderte ihn zum Kampf. »Bring sie zu Nardinel!«, befahl Ollowain dem Kentauren. »Zu niemand anderem! Nardinel wird sie retten. Wenigstens diesmal werde ich nicht zu spät gekommen sein.«
Der Kentaurenkrieger wartete.
»Bring sie fort, Senthor!«
»Nicht ohne dich, Herr!«
»Du bist zu schwach, um sie zu tragen, und auch mein Hengst ist zu erschöpft, um zu entkommen, wenn ich hinter Caileen in den Sattel steige. Zögere nicht. Noch können wir den Trollen zwei Leben entreißen!«
»Warum tust du das?«
Wie sollte er das dem Kentauren erklären? »Weil ich ein Ritter bin«, sagte er kurz angebunden. »Nun reite, damit es jemanden gibt, der meine Geschichte erzählen kann.«
Dunkles Blut rann von der Rüstung der Elfengräfin und troff auf das schneeweiße Fell des Hengstes.
Ollowain musste an Lyndwyns Blut im Schnee denken. »Reite!«, rief er. Dann schlug er dem Hengst auf die Flanken.
»Reite!«
Senthor griff nach den Zügeln. »Ich hole Verstärkung. Halte aus!« Wieder erklang die fordernde Stimme hinter Ollowain. Es war zu spät! Die Trolle waren überall. Sie schnitten Senthor und Caileen den Weg zurück in die Hügel ab. Dem Kentauren wurde das Schwert aus der Hand gewunden.
Caileen war zusammengesunken. Ihr Kopf ruhte auf der Mähne des Schimmels.
»Lasst die beiden! Sie sollen sehen, wie er stirbt! Der Schwertmeister hat Recht. Es soll einen Zeugen für seinen Tod geben. Sonst werden sie unsinnige Geschichten erfinden.« Die alte Vettel hatte gesprochen. Ihre Stimme war voller Kraft. Obwohl sie mehr als hundert Schritt entfernt war, verstand der Elf jedes Wort so deutlich, als stünde sie unmittelbar vor ihm.
Die Trollkrieger fügten sich ihr.
»Hol deine Waffe, Schwertmeister!« Ollowain gehorchte. Caileen blieb nicht mehr viel Zeit. Wenn er einen wirklichen Kampf lieferte, dann würde sie verbluten.
Der Schwertmeister hob die Klinge zum Fechtergruß und küsste den Stahl. Er würde niemanden mehr töten.
Da waren sie wieder, Lyndwyns grüne Augen. Hinter dem Schleier aus Rauch. Sie war hier und wartete auf ihn!
Lächelnd ging Ollowain dem Troll entgegen, der ihn herausgefordert hatte, und wich dem Hieb nicht aus, der auf seinen Kopf zielte.
Der Bote
Erleichtert atmete Alvias auf, als er dem endlosen Strom abgekämpfter Reiter entkam. Eine der Lehren des Falrach ging ihm durch den Kopf. Eine Reitereinheit ist wie ein Pfeil im Köcher des Kriegsmeisters. Ist das Ziel gut gewählt, wird der Schuss töten. Doch wie einen Pfeil wirst du deine Reiter in dieser Schlacht kein zweites Mal einsetzen. Ganz gleich, ob die Reiter siegten oder abgeschlagen wurden, selbst disziplinierte Einheiten hatten die Angewohnheit, sich nach einem Angriff zu zerstreuen. Entweder flohen sie vor einem übermächtigen Gegner, oder sie setzten dem geschlagenen Feind nach.
Blutende Kentauren und Elfenritter in zerschlagenen Rüstungen zogen sich Seite an Seite durch das trockene Flussbett zurück. Sie sahen nicht aus wie Sieger.
Der Hofmeister Emerelles lenkte seinen Rappen eine flache Uferböschung hinauf. Er hielt neben einem Minotauren mit bandagiertem Kopf, der sich schwer auf einen Speer stützte und auf den Flüchtlingsstrom hinabblickte.
»Wo finde ich den Befehlshaber, Freund?« Der Stiermann hob den Kopf. Ihr Blick begegnete sich fast auf gleicher Höhe. Eines der Augen des Kriegers war nur noch eine leere, blutende Höhle. Stumm wies der Minotaur zu einem Hügel im Osten.
»Danke.« Alvias winkte seiner Eskorte, ihm zu folgen. Der Hofmeister war erschöpft. Seit einem Tag und einer Nacht war er nicht mehr aus dem Sattel gekommen. Seinem Hengst schien der lange Ritt weniger auszumachen als ihm. Sein Schritt war immer noch kraftvoll, auch wenn das Fell voller Kletten war und der Staub der weiten Steppe ihm das Weiß in den Augen gerötet hatte.
Das Land fiel in sanften Wellen nach Norden hin ab und öffnete sich auf eine weite Ebene. Meilen entfernt erkannte er eine Herde von Hornschildechsen, die sich in schützendem Kreis um ihre Jungen aufgestellt hatten. Überall auf der Ebene eilten einzelne Reiter und Streitwagen dem Hohlweg entgegen, der hinab zur ausgetrockneten Myra führte. Nur wenige scherten nach Osten aus, dorthin, wo auf einem Hügel über schweren Fuhrwerken das Banner der Königin, ein goldenes Pferd auf grünem Grund, und die Standarte Alvemers mit ihrer silbernen Nixe wehten.
Alvias war froh, die Botschaft der Königin endlich überreichen zu können. Solange er Emerelle kannte, hatte er sie noch nie in so seltsamer Stimmung erlebt wie an dem Abend, an dem sie ihn bat, Ollowain zu finden. Eindringlich hatte sie ihm eingeschärft, dass die Nachricht nur dem Schwertmeister und niemand anderem ausgehändigt werden durfte.
Der Hofmeister führte seine Eskorte den Hügel hinauf. Die Wagen oben waren zu einem weiten Kreis zusammengeschoben, als wollten sie wie die Hornschildechsen eine Herde schützen. Auf dem Hang lagen hunderte tote Trolle im zertrampelten Gras. Doch auch die Verbündeten hatten einen mörderischen Blutzoll entrichtet.
Ein Kobold, der eine schmutzig rote Signalfahne schwang, wies die neuen Verteidiger zu einer Lücke im Wall der Wagenburg. Eine Gruppe von Bogenschützen und Speerkämpfern stieg von Streitwagen, die am Fuß des Hügels gehalten hatten. Müde stapften sie über die Leichen hinweg, während die Wagenlenker ihre Gefährte hinab zum Flussbett brachten. Alvias sah eine Kriegerin mit langem, blondem Haar verharren. Langsam hob sie ihren Speer und stach die lange Klinge einem der Trolle durch die Kehle. Die Gliedmaßen des Hünen zuckten, während sie das Stichblatt in der Wunde drehte und wieder frei zog. Ihre Kameraden nahmen nicht einmal Notiz von dem beiläufigen Mord an einem Verwundeten.
Im Inneren der Wagenburg standen hunderte Pferde zusammengepfercht. Ein Teil der Kutschen bildete ein zweites, inneres Karree. Die Seitenwände der Ladepritschen waren heruntergeklappt. Dort lagen Kobolde neben feingliedrigen Elfen und Minotauren, deren Brustkörbe so massig wie Weinfässer waren. Ihr Leid hatte alle Grenzen zwischen ihnen verwischt. Blut troff von den Pritschen. Es stank nach Fäkalien und Urin. Die Luft summte vor Fliegen. Einige Elfen und Koboldweiber versuchten verbissen, den Strom von Blut zu stillen und den Tod in seine Schranken zu weisen. Alvias sah die lange Reihe von Leibern unter den Kutschen. An diesem Nachmittag führte der Tod die längere Liste der Siege.
Ein ausgemergelter alter Kentaur trug eine Frau in grün-
goldener Rüstung zu einer der Pritschen. Obwohl er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, bedrängte er die Heiler so lange, bis eine wunderschöne Elfe neben der Kriegerin niederkniete. Ihr Gesicht war mit Blutspritzern besudelt und aschgrau vor Erschöpfung, doch all dies vermochte ihre fast schon ätherische Schönheit nicht verblassen zu lassen. Sie hatte etwas Gütiges und Nobles an sich. Etwas, das hier inmitten dieses Schlachthauses des Krieges so fehl am Platz wirkte wie ein Gewappneter inmitten einer Blumenwiese.
Die Heilerin fühlte nach der Kehle der Kriegerin, zog ihren zerrissenen Umhang zur Seite und blickte auf die abgebrochene Radspeiche, die seitlich aus der Rüstung der Sterbenden ragte. Alvias war zu weit entfernt, um hören zu können, was die Heilerin sagte, aber das musste er auch nicht. Ihr trauriges Kopfschütteln sagte mehr als alle Worte.
Der Kentaur packte sie grob am Arm. »Er ist für sie gestorben, hörst du? Das darf nicht vergebens gewesen sein! Du rettest sie! Und wenn es das Letzte ist, was du tust. Das schulden wir ihm! Du ...«
Hörnerklang übertönte das wütende Geschrei des Pferdemanns.
»Braucht ihr eine schriftliche Einladung oder seid ihr einfach nur Feiglinge?«, herrschte ein junger Krieger Alvias an und griff nach den Zügeln seines Rappens. Der Hofmeister sah, wie der Hauptmann seiner Wache zu einer angemessenen Erwiderung ansetzte. Ein Blick, und die Worte blieben unausgesprochen. Alvias hatte von dem jungen Krieger in der abgetragenen Lederrüstung und mit den seltsam wulstigen Armschienen schon gehört.