»Ich denke, Hauptmann Melvyn ist einer der Feldkommandanten hier. Er wird ...«
»Er wird sich nicht mit Höflichkeiten aufhalten. Runter von den Pferden! Und folgt mir!« Alvias stieg ab und löste den schwarzen Schild von seinem Sattel. Er warf den Umhang über seine Schultern und folgte dem Wolfselfen. Obwohl er noch regelmäßig Fechtübungen machte, war es lange her, dass er das letzte Mal auf einem Schlachtfeld gestanden hatte. Er versuchte, die Ruhe eines gleichmäßigen Atemrhythmus in seine Glieder fließen zu lassen. Doch statt sich zu entspannen, verkrampfte er seinen Schildarm.
Melvyn brachte sie zu einer umgestürzten Kutsche, bei der die Leichen so dicht lagen, dass man das Gras nicht mehr sehen konnte. Der Hofmeister vermied es, in die Gesichter der Toten zu blicken. Hier waren viele Elfen gefallen. Die meisten hatte er von Festen auf Emerelles Burg gekannt.
»Ich hab dich bisher noch nicht beim Heer gesehen«, stellte Melvyn fest. »Ich hoffe, du schlägst dich gut.«
»Das hoffe ich auch«, entgegnete Alvias trocken. Am Fuß des Hügels sammelten sich hunderte Trolle. Das scharfe Klacken von Speerschleudern löste den Klang der Hörner ab. Der Hofmeister konnte sehen, wie einer der Trolle mehrere Schritte nach hinten gerissen wurde, als einer der kurzen Speere glatt seine Brust durchschlug.
»Damit wir uns richtig verstehen, wenn du glaubst, das ist hier nichts für dich, dann geh jetzt. Wenn du mitten im Gefecht abhaust, steche ich dich ab.«
»Und du glaubst, das ist so einfach.«
Aus den Armschienen des Wolfselfen schnellten lange stählerne Krallen hervor. »Ob einfach oder nicht, ich werde es tun. Verlass dich darauf! Auch deine Leibwächter werden mich nicht daran hindern. Wir müssen diesen Hügel halten, du Hofschranze. Ich weiß nicht, was im Schädel des Rudelführers da unten vor sich geht, aber er hat sich offensichtlich vorgenommen, uns hier zusammenzuschlagen und erst dann zum Flussbett vorzustoßen.
Das heißt, so lange wir hier kämpfen, bleibt der Fluchtweg offen. Mit jedem Atemzug, den wir den Hügel halten, retten wir einem Krieger das Leben. Wir sind in der Unterzahl und ausgelaugt. Ein einziger Feigling, der aus der Schlacht flüchtet, kann über Sieg oder Niederlage entscheiden.« Melvyn deutete mit der Rechten die Linie entlang. »Sie alle wollen eigentlich nicht hier sein. Sie halten aus, weil sie wissen, wie wichtig es ist. Aber wenn auch nur einer im Gefecht davonläuft, dann könnte die Panik um sich greifen wie ein Strohfeuer. Also bist du Manns genug, hier zu bleiben?«
»Weißt du, ich habe so lange im Sattel gesessen, dass es sich anfühlt, als würde man mir eine Fackel unter mein geschätztes Hinterteil halten. Selbst wenn ich wollte, könnte ich kaum laufen. Das sind wohl beste Voraussetzungen, hier einen Helden abzugeben.«
Melvyn grinste ihn an. »Für einen Mann, der sich nur mit einer Eskorte von Schoßhündchen in die Steppe wagt, beweist du Auge in Auge mit einer Trollhorde noch erstaunlich viel Humor. Ich heiße Melvyn.«
»Angenehm«, entgegnete der Hofmeister und musste darüber schmunzeln, dass ihm Förmlichkeiten des Umgangs bei Hof so sehr in Fleisch und Blut übergegangen waren, dass er selbst jetzt nicht aus seiner Haut kam. »Mich nennt man Alvias.«
Melvyn stöhnte. »Bist du etwa der Alvias? Emerelles Hofmeister?«
»Ich fürchte, das kann ich nicht verneinen.«
»Ein Ort mehr, an dem ich mich nicht mehr blicken zu lassen brauche.«
»Warum?«
»Ich nehme an, du würdest dich revanchieren.« Alvias lächelte. »Nun, auch bei Hof gelten einige Regeln, genau wie hier auf dem Schlachtfeld. Und dort führe ich unbestritten das Kommando. Ein einziger Gast wie du, der Wasser offenbar nur nutzt, um sich gelegentlich die Kehle zu befeuchten, könnte eine ganze Festgesellschaft in die Flucht schlagen mit dem Duft, der ihn sicherer umschließt als jede Rüstung. Dein Erscheinen könnte auf immer den Ruf meiner Herrin zerstören, die prächtigsten Bälle Albenmarks zu geben. Eine Neuigkeit, die die flüchtenden Gäste gewiss binnen kürzester Zeit bis in die entferntesten Fürstentümer tragen würden. Ich müsste dich also, sobald du einen Fuß in Emerelles Burg setzt, von ein paar Pferdeknechten packen lassen, die besser gegen strenge Gerüche ankommen als die Dienerinnen in unseren Bädern. Sie würden dich in einem Stall schrubben, bis dein Duft auf ein Maß reduziert ist, dass unsere Ankleidedamen und Baderinnen dir bei deinem Erscheinen nicht reihenweise ohnmächtig zu Füßen liegen. Wenn du dann ein zivilisiertes Bad über dich ergehen lässt und deine Muskeln mit wohl riechenden Ölen massiert wurden, dann kann ich mir vorstellen, dass du dich zumindest für die Damen, die bei Hof weilen, als ein Gewinn erweist, denn schließlich eilt dir ein gewisser Ruf voraus, Melvyn.«
Der Halbelf hob abwehrend die krallenbewehrten Hände.
»Genug, Alvias! Genug! Darf ich mich nun in eine friedliche Schlacht stürzen? Scharfen Zungen bin ich wehrlos ausgeliefert.«
»Das Wortgeplänkel kann man erlernen wie das Schwerterschwingen. Ich würde mich gerne der Herausforderung stellen, dir ein paar Unterrichtsstunden zu geben. Ich glaube ...« Der ohrenbetäubende Schlachtruf der Trolle beendete Alvias‘ Rede. Mit Kriegshämmern und Keulen auf die großen Schilde schlagend, setzte sich der Kriegerpulk am Fuß des Hügels in Bewegung.
»Wie viel Munition haben wir noch, Misht?« Ein Kobold, dessen linker Arm in einer blutbesudelten Schlinge ruhte, beugte sich über die Brüstung des Fuhrwerks neben ihnen. »Drei Schuss je Speerschleuder und eine Hand voll Armbrustbolzen. Die meisten Bogenschützen von den Streitwagen kommen mit leeren Köchern hier an. Das wird der letzte Angriff, den wir mit ernst zu nehmendem Beschuss empfangen können.«
»Dann sorgen wir am besten dafür, dass sie nicht wiederkommen.«
»Da müsst ihr im nächsten Nahkampf wohl ein wenig unfreundlicher zu ihnen sein, damit diese Dickschädel endlich begreifen, dass sie hier nicht willkommen sind.«
»Machen wir, Misht. Machen wir. Diesmal haben wir eine Geheimwaffe. Einen parfümierten Hofmeister.«
Der Kobold kicherte. »Du kannst wirklich grausam sein, Melvyn.« Alvias fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. Es war lange her, dass er zuletzt in einer Feldschlacht gekämpft hatte, aber er hatte nicht vergessen, wie bestimmte Zeichen zu deuten waren. Diese alberne Art verhieß nichts Gutes. Es war ein Weg, mit Angst fertig zu werden. Und wenn ein Krieger wie Melvyn Anzeichen von Angst zeigte, gab es allen Anlass, beunruhigt zu sein.
Trotz der Pfeile, die ihnen entgegenschlugen, verfielen die Trolle nicht in Laufschritt. Alvias hörte die tiefen Stimmen der Rudelführer. Sie ermahnten ihre Männer, die Schilde hochzuhalten und ruhig zu bleiben. Wenn sie die Hügelflanke hinaufliefen, würden sie außer Atem hier oben ankommen und schlechter kämpfen. Sie waren nur noch zwanzig Schritt entfernt!
Alvias zog sein Schwert. Koboldarmbrustschützen, die unter den Fuhrwerken kauerten, schossen eine Salve ab. Sie zielten tief und trafen die Trolle in die Beine. Ein Dutzend von ihnen ging in die Knie.
»Du kennst doch sicher die Schriften des Schwertmeisters Falrach«, sagte Melvyn.
Der Hofmeister nickte.
»Er meint, in aussichtsloser Lage sei es das Beste, seine Feinde zu überraschen. Bist du bereit für eine Überraschung?«
Alvias sah erschrocken auf. »Du wirst doch nicht ...« Der Halbelf riss die Faust hoch. »Zum Angriff! Jagt sie den Hügel hinab!« Überall zwischen den Wagen sprangen die abgekämpften Krieger der Verbündeten auf. Kobolde zogen Kurzschwerter und liefen neben hünenhaften Minotauren. Die Elfenritter Alvemers und Arkadiens hoben ihre prächtigen Schilde. Kentauren in goldenen Rüstungen preschten den Hang hinab. Es war ein verzweifeltes letztes Aufbäumen. Alvias sah, wie Pferde vor die Fuhrwerke mit den Verwundeten geschirrt wurden. Der letzte Angriff würde ihnen vielleicht die Möglichkeit geben zu entkommen.
Der Hofmeister ließ sich mit der Welle der Angreifer treiben. Es war verrückt! Die Trolle waren ihnen um mindestens das Dreifache an Zahl überlegen. Schlagartig wurde ihm bewusst, dass Emerelles Botschaft Ollowain niemals erreichen würde, wenn er hier starb. Er hätte die Nachricht jemand anderem geben müssen. Er hätte ... Alvias duckte sich unter einem wuchtigen Keulenhieb hinweg. Seine Reflexe waren noch gut. Die ungezählten Stunden im Fechtsaal der Burg würden sich bezahlt machen. Er sah die Lücke in der Verteidigung des Trolls, und noch bevor er den bewussten Gedanken zum Gegenangriff fasste, machte er einen Ausfallschritt und stieß dem Troll sein Schwert durch den Fuß. Mit einer leichten Drehung bekam er die Klinge wieder frei, ließ sich nach vorne fallen und spürte den Luftzug eines Keulenhiebs im Nacken, der ihn nur um Haaresbreite verfehlt hatte. Er rollte sich seitlich über die Schulter ab und führte noch im Aufstehen einen Rückhandschlag gegen den Knöchel des Trolls. Das Schwert schnitt durch Fleisch und Knochen. Der Troll stürzte, und noch bevor er auch nur schreien konnte, rammte ihm ein Kentaurenkrieger sein Doppelschwert in die Brust.