Выбрать главу

Zu dritt stiegen die Geisterwölfe vom Himmel hinab. Sie streiften über das Schlachtfeld und naschten Leben. Bevorzugt töteten sie jene, die noch Hoffnung hatten. Leicht Verletzte, die aber nicht aus eigener Kraft gehen konnten. Jene, denen noch zu helfen war und die das auch wussten. Die Sterbenden kümmerten sie nicht.

Die Art, wie die drei Wölfe sich verhielten, erinnerte Sebastien an einen Stadtvogt, den er als Kind einmal beobachtet hatte. Der Mann war auf einen großen Wochenmarkt gekommen und von Stand zu Stand geschlendert. Überall hatte er sich etwas genommen. Es war Erntezeit gewesen. Hier hatte er ein paar Pflaumen genascht, dort eine Birne, von der er nur zwei Bissen genommen hatte, bevor er sie fortwarf. Und niemand hatte etwas gesagt! Das war wahre Macht, hatte er sich in seiner kindlichen Einfalt gedacht, und er hatte sich gewünscht, so mächtig zu werden wie dieser Vogt.

Manche Wünsche wurden unseligerweise erfüllt, dachte der Abt bitter. Zuerst hatte er Sorge, dass die Waffen oder die Magie der Elfen ihnen etwas anhaben könnten. Er war zu Tode erschrocken, als ein Krieger ihnen ein Langschwert durch den Leib stieß. Sebastien spürte die Waffe, aber sie richtete keinen Schaden an. Einen jämmerlichen Augenblick lang hatte selbst er Gefallen ander Todesangst im Blick des Elfen, nachdem der Angriff fehlgeschlagen war. Der Abt bereute es aufrichtig, seiner Seele diesen Makel zugefügt zu haben. Er war eine jämmerliche Gestalt!

»Du liebst es einfach, dich selbst zu geißeln«, verhöhnte ihn die Stimme der Bestie. »Während ich es liebe, anderen Leid zuzufügen. Wir ergänzen uns gut in unseren Unzulänglichkeiten. Deine Qual ist mir ein nie versiegender Quell der Freude, Sebastien. Deshalb werde ich dich noch immer in mir dulden, wenn ich all die anderen winselnden Seelen, mit denen wir diesen Leib teilen, schon längst verschlungen haben werde.«

Sebastien wünschte sich von ganzem Herzen, dass er einen Weg fände, sich vor dieser Stimme zu verschließen. Er sah zu den anderen Geisterwölfen. Waren dort Seelen wie seine, gefangen in höchster Not? Konnten sie ihn hören? Er erhielt keine Antwort.

Wir sollten fort von hier, dachte der Abt schließlich enttäuscht. Wir haben eine Aufgabe!

»Genießt ihr Menschen denn niemals die Früchte eurer Arbeit? Das hier ist es, woran wir so hart arbeiten. Und es ist erst der Auftakt! Uns erwarten brennende Städte. Endlose Flüchtlingszüge, zehntausendfacher Tod. Wir sind wie Chorleiter, die einen tausendstimmigen Chor dirigieren. Und jede Stimme schreit in Todesqual. Freust du dich auf das Lied, das über ganz Albenmark erklingen wird? Du musst es doch genießen! Die Elfen haben euren heiligsten Priester ermordet. Und dich haben Tjured und Bruder Jules ausgewählt, zum Schwert der göttlichen Rache zu werden. Warum höre ich dich nicht in einem fort vor Freude jauchzen? Bist du deinem Gott Tjured untreu geworden?«

Ein Heer zerbricht

»... Schon am Abend nach der Schlacht wurde offenbar, dass die Verluste am Mordstein weit weniger hoch waren, als es zunächst den Anschein gehabt hatte. Die versprengten Einheiten fanden langsam wieder zueinander. Ruhelos eilten die Hauptleute die lange Marschsäule im Flussbett entlang, erstellten Verlustlisten und versuchten ihre Einheiten wieder zusammenzuführen.

Fürst Elodrin von Alvemer hatte den Oberbefehl wieder an sich gezogen, und niemand unter den Verbündeten machte ihm diese Position streitig. Doch schon am ersten Abend des Rückzugs kam es zu einer Auseinandersetzung mit Hauptmann Melvyn. Entgegen aller Befehle zog er sich mit den Schwarzrückenadlern zurück. Erst viel später erfuhr ich, dass er das Schlachtfeld nach unserem verlorenen Feldherrn absuchte. Wir alle wussten, was mit unseren Toten geschehen würde. Melvyn war der Gedanke daran, dass die Leiche Ollowains in die Hände der Trolle fallen würde, unerträglich. Die ganze Nacht und einen guten Teil des nächsten Tages suchten sie nach ihm. Es kam wohl auch zu einigen Scharmützeln mit den Trollen. Doch den Feldherrn fanden sie nicht. Und der Bruch zwischen Melvyn und Elodrin war nur der erste Riss in dem zerbrechlichen Gefäß, zu dem das Heer von Feylanviek geworden war. Melvyn und seine Männer wurden vom Heer ausgeschlossen, obwohl sie doch unsere Augen hätten sein sollen.

Militärisch gesehen war es wohl ein Sieg, was wir in der Schlacht am Mordstein erlangten. Die Trolle hatten tausende Krieger verloren, wir letzten Endes nur ein paar hundert. Ihr Feldzug in das Windland war um Monde verzögert worden, wie sich später zeigen sollte. Doch was hilft ein Sieg, den niemand sieht? Mit dem Tod Ollowains war die Moral unseres Heeres zerbrochen. Sieger lassen ihre Toten und Verwundeten nicht auf dem Schlachtfeld zurück, hieß es unter den einfachen Kriegern. Sieger flüchten nicht wie verprügelte Hunde. Siegern hat man nicht das Herz herausgeschnitten, denn nicht weniger war Ollowain für uns gewesen. Er war das Herz des Heeres, mehr noch als sein Kopf.

Die wenigen Tage, die der Schwertmeister uns geführt hatte, hatten Elodrins Unzulänglichkeiten noch stärker hervorgehoben. Der Fürst von Alvemer ist ein kühler Taktiker. Er kennt den Krieg, und er formte aus dem schwer angeschlagenen Heer, welches das Schlachtfeld am Mordstein verließ, in den sechs Tagen des Rückzugs wieder eine Truppe, die in ordentlichen Fünferreihen zur Siegesparade über die Hauptstraßen von Feylanviek zog. Wahrscheinlich hatte er zu viel Verstand, um die Herzen der Krieger zu berühren. Bald verließen uns die Minotauren, um ihre geheimen Rituale für die Herbstmonde in ihren heimatlichen Bergen vorzubereiten. Und nicht viel später gingen auch die Kentauren, denn es war an der Zeit, die Herden auf die Winterweiden zu treiben, und in den Stämmen der Steppe wurde jeder Mann gebraucht. Doch vorher gab es noch die Totenfeier. Jenes Fest, auf dem auch das brüchige Bündnis der Stämme des Windlands zu Grabe getragen wurde....«

Vom Krieg mit den Trollen,
von: Caileen, Gräfin zu Dorien,
Talsiner Goldschnittausgabe, s. 759

Ein Frühlingstag in den Bergen

Kadlin lehnte sich gegen den warmen Fels und blickte den Hang hinab. Björn war ein gutes Stück hinter ihr zurückgeblieben. Er hatte einen hochroten Kopf und schnaufte wie ein alter Elchbulle. Wenn er nicht auf seinem Pferd saß, bewegte er sich kaum schneller als ein fußkrankes Murmeltier. Und bei dem Lärm, den er machte, brauchte sie nicht darauf zu hoffen, dass sie auch nur eine Felsmaus stellen würde, so lange er in der Nähe war. Er mochte ja ein guter Bogenschütze sein, aber ein guter Jäger war er nicht! Und wenn die Windböe nicht gewesen wäre ... Dass sie im Bogenschützenturnier gegen ihn verloren hatte, ärgerte sie noch immer. Björn ließ auch keine Gelegenheit aus, sie darauf hinzuweisen, dass er der bessere Schütze war. Manchmal war er eine rechte Plage! Sie hätte ihn nicht mitnehmen sollen. Alleine kam sie viel schneller voran! Eirik hatte den größten Teil der Jäger ausschwärmen lassen, nachdem ihr Heerzug aus Kriegern und Arbeitern den Pass erreicht hatte, auf dem die neue Festung erbaut werden sollte. Bis zum Einbruch des Winters sollten sie weit abseits des Bauplatzes jagen, damit es noch Wild in der Nähe der neuen Burg gab, wenn der erste Schnee kam und lange Jagdausflüge zu beschwerlich wurden. Auch sollten sie sich mit dem Gelände vertraut machen und sich an die dünne Luft in den Bergen gewöhnen. Eirik hatte seine Jäger in Trupps von zwei bis drei Mann aufgeteilt. Grinsend dachte Kadlin daran, was für ein Gerangel es darum gegeben hatte, wer mit ihr losziehen durfte. Ihr Plan, einen netten Kerl zu finden und vielleicht im nächsten Winter Hochzeit zu feiern, würde wohl aufgehen.

Kadlin hatte den Verdacht, dass Björn seine hohe Geburt ausgespielt oder Eirik mit einer Hand voll Münzen bestochen hatte. Dass ausgerechnet er mit ihr losgeschickt wurde, hatte Kadlin überrascht. Eigentlich gehörte Björn ja eher zu den Kriegern als zu den Jägern, obwohl er ein sehr guter Bogenschütze war.