Kadlin war gerne mit ihm zusammen. Es fiel ihm leicht, sie zum Lachen zu bringen. Wenn er nur ein bisschen älter wäre. Grinsend blickte sie zu ihm hinunter. Er hatte sich hoffnungslos überladen. Außer seinem Bogen, dem Köcher mit den Pfeilen und einem Jagdmesser hatte er auch noch eine Saufeder mit breiter Klinge mitgenommen. Dazu eine Decke, zwei Wasserschläuche und einen Proviantsack, der ausgereicht hätte, eine Familie mit zehnköpfiger Kinderschar über den Winter zu bringen. Kadlin selbst trug nicht einmal halb so viel. An Proviant hatte sie außer etwas Brot und Käse und ein bisschen Salz nichts dabei. Sie waren schließlich Jäger. Wenn sie es nicht schafften, sich ein Essen zu schießen, dann hatten sie es auch verdient, am Abend mit leerem Magen am Feuer zu sitzen.
Als Björn sie endlich eingeholt hatte, stützte er sich schwer schnaufend auf den Felsen, an dem sie lehnte. Sein Gesicht war nass von Schweiß.
»Brauchst du eine Rast?«, fragte sie, obwohl sie genau wusste, was er darauf antworten würde.
»Sehe ich so aus?«, stieß er japsend hervor. »Ich bin absichtlich langsamer gegangen, damit du hier ein bisschen verschnaufen kannst. Ich bin doch kein Mädchen, das alle paar hundert Schritt eine Pause braucht.«
»Du siehst in der Tat mehr wie ein Packesel als wie ein Mädchen aus.« Sie nahm den Bogen und deutete den Hang hinauf.
»Dort oben, dicht unter der Baumgrenze, ist eine Schneise zwischen den Kiefern. Wahrscheinlich ein Windbruch. Dort finden wir sicher einen guten Lagerplatz, was meinst du?«
»Sicher.«
Ganz offensichtlich hatte Björn nicht mehr genug Puste, um einen anderen Vorschlag zu machen. Die Schneise war mehr als eine Wegstunde entfernt. Kadlin überlegte, ob es nicht klüger wäre, noch ein wenig stehen zu bleiben und zu plaudern, damit der Junge wieder zu Atem kam. »Ganz schön heiß heute.«
»Nicht besonders.«
Er sagte das und fuhr sich mit dem Ärmel über die schweißnasse Stirn. Blödmann! »Dann hast du dir wohl nur etwas Wasser aus deinem Trinkschlauch ins Gesicht gespritzt.«
»Genau.«
»Jetzt verstehe ich, warum du zwei Wasserschläuche trägst. Aus einem trinkst du, und den anderen benutzt du, um dich gelegentlich zu erfrischen.«
»Richtig.«
Langsam wurde sie wütend. Wie konnte man nur so schamlos lügen! »Wo du so gut erfrischt bist, könntest du ja jetzt vorneweg laufen. Ich würde auch vorschlagen, dass wir einen Schritt schneller gehen. Dort oben soll es irgendwo einen kleinen See geben. Etwas schwimmen zu gehen wäre angenehm, nicht wahr?« Björn wurde noch etwas röter. Ob er sich schämte, sich ihr nackt zu zeigen? Vielleicht konnte er auch nicht schwimmen. Plötzlich grinste er frech. Er sah eigentlich gar nicht schlecht aus. Wenn er nur nicht so verdammt jung wäre!
»Es ist nicht klug, erhitzt ins Wasser zu steigen.« Er war immer noch kaum bei Puste und sprach stockend. »Außerdem gehe ich gerne hinter dir und sehe mir deinen Hintern an. So wie du damit wackelst, weißt du das auch.« Kadlin unterdrückte den Impuls, ihm eine Ohrfeige zu geben. Nicht, weil er sie nicht verdient hätte, sondern weil sie sich nicht eine solche Blöße geben wollte. »Na, dann halt dich mal ran, sonst hast du meinen Allerwertesten schnell aus den Augen verloren.«
Mit weiten Schritten eilte sie dem Wald entgegen. Sie ärgerte sich darüber, dass seine Worte sie so aufgebracht hatten. So ein blöder Hund! Er würde noch darum betteln, dass sie ihm etwas von seinem Gepäck abnahm. Als ob sie absichtlich mit dem Hintern wackeln würde! Was bildete der sich ein! Wenn man ging, bewegte sich nun einmal der Hintern. Das ließ sich nicht vermeiden. Sie und mit dem Hintern wackeln! Hielt er sie für eines von den Mädchen, die alle Scham vergaßen, weil sie einen Mann abbekommen wollten? Wenn er das von ihr dachte, dann würde er sie kennen lernen! Dieser Bursche sollte erst einmal trocken hinter den Ohren werden! Der hatte sicher noch nie bei einer Frau gelegen. Außer zu pissen, wusste er mit dem Ding zwischen seinen Beinen wahrscheinlich noch gar nichts anzufangen. Hätte sie sich bloß nicht darauf eingelassen, ausgerechnet mit ihm loszuziehen. Was hatte sie nur geritten, als sie zugestimmt hatte? Sie blickte über die Schulter. Björn hatte ganz offensichtlich Mühe, auch nur einen Schritt weiter zu kommen. Und er glotzte ihr tatsächlich auf den Hintern! Kadlin ging stocksteif weiter. Björns begehrliche Blicke hatten sie aus der Fassung gebracht. Vielleicht war er ja doch schon mehr Mann, als sie wahrhaben wollte. Sein frecher Spruch hatte sie geärgert. Sie fand ihren Hintern viel zu schmal. Er sah aus wie bei einem Knaben. Ihre Schwester hatte sie immer deshalb aufgezogen. Silwyna hatte üppigere Formen. Deshalb hatte sie ja ihren Fischer, obwohl sie zwei Jahre jünger war. Sie sah eben aus, wie ein Weib aussehen sollte.
Kadlin sah noch einmal flüchtig zurück. Björn starrte ihr immer noch hinterher. Ganz schön schamlos! Sie lächelte und entspannte sich etwas. Dann betonte sie bewusst ihren Hüftschwung, während sie weiterging. Sollte er nur schauen! Wenn sie oben im See badete, würden ihm wahrscheinlich die Augen aus dem Kopf fallen. Gut, sie hatte auch zu kleine Brüste. Aber wenn sie ihr Haar offen trug, würde er das erst einmal nicht bemerken. Und er mochte ihren Hintern! Ein Herzogssohn!
Gut gelaunt trat Kadlin in den Kiefernwald. Es duftete wunderbar nach Harz und frischem Grün. Das dicke Polster aus Kiefernnadeln ließ ihre Schritte federn und dämpfte jedes Geräusch. Es war, als gleite man schwerelos dahin. Sie lief etwas langsamer, damit Björn sie nicht aus den Augen verlor. Ob er wohl schon einmal bei einer Frau gelegen hatte? Sein Vater war ein ziemlich grober Klotz. Vielleicht hatte er eine der Mägde ins Bett seines Sohnes geschickt, damit aus dem Jungen ein richtiger Mann wurde. Björn war anders als Lambi. Vor allem konnte man ihm ins Gesicht sehen, ohne eine Gänsehaut zu bekommen. Der alte Herzog sah mit seiner halb abgeschnittenen Nase zum Fürchten aus!
Kadlin dachte an ihren eigenen Vater. Kalf war geradezu erleichtert gewesen, als sie mit Björn losgezogen war. Er schien den Jungen zu mögen. Und er hatte ein gutes Auge für Menschen. Warum er allerdings den König stets mied, war ihr ein Rätsel. Man hörte nur Gutes über Alfadas. Dennoch wurde Kalf immer ganz unruhig, wenn er in der Nähe war.
Kadlin fröstelte es. Unter den Bäumen war es doch recht kühl. Weiter oben am Hang konnte sie in den Schattenlagen sogar noch Schneeflecken sehen. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, schwimmen zu gehen. Das Wasser in dem Bergsee war sicher eisig.
Sie verdrängte die Gedanken und versuchte eins zu werden mit dem Wald. Seit sie laufen konnte, war sie mit Kalf auf die Jagd gegangen. Ihr Vater hatte ihre Sinne geschärft. Sie wusste, dass es sich nicht lohnen würde, der Rentierspur zu folgen, die ein paar Schritt weiter verlief. Sie war älter als fünf Stunden. Die Aussichten, das Tier noch einzuholen, waren gering. Ihr entgingen auch die flachen Furchen im Teppich aus Kiefernnadeln nicht. Jene Wege, die Kleintiere hinterlassen hatten, die zwischen Verstecken und möglichen Futterplätzen immer wieder demselben Pfad folgten.
Sie beobachtete ein Eichhörnchen, das hektisch im weichen Boden wühlte und nach den Kiefernzapfen suchte, die es im letzten Jahr verborgen hatte. In der Ferne hörte sie das rhythmische Hämmern eines Spechts. Andere Vögel bemerkte sie nicht. Wahrscheinlich wurden sie alle von dem zweibeinigen Packesel vertrieben, der ihr noch immer beharrlich folgte.
Fast eine Stunde war Kadlin im Wald unterwegs, als sie eine große Barriere aus gestürzten Bäumen erreichte. Riesige Felsbrocken ragten zwischen den zersplitterten Stämmen auf. Eine Lawine hatte eine breite Schneise in den Wald geschlagen.
Die Jägerin machte einen Bogen um das Hindernis. Der Ort eignete sich bestens für ein Lager. Zwischen den Stämmen und Ästen würde man leicht einen windgeschützten Platz finden. Vielleicht sogar eine Höhle, die so eng war, dass man gar keine andere Wahl hatte, als sich näher zu kommen, wenn man dort Unterschlupf suchte. Sie dachte an die Nächte des letzten Sommers, an das ungestüme Liebesspiel mit dem Fischer, und eine wohlige Wärme stieg zwischen ihren Schenkeln in den Bauch hinauf.