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»Aber hast du seine Leiche gesehen, Alvias?«

»Nein, Herrin. Melvyn hat Ollowain gesucht. Er scheint seinen Tod noch schwerer als die anderen genommen zu haben. Er hat sein Leben riskiert, um den Leichnam des Schwertmeisters zu bergen. Aber er konnte ihn nicht finden.«

Emerelle schüttelte den Kopf. Sie wirkte nicht mehr wie eine Herrscherin auf den Hofmeister, sondern wie ein junges Mädchen, das sich trotzig gegen jede Vernunft weigerte anzuerkennen, welch tragische Folgen der Streit mit dem Schwertmeister gehabt hatte. »Er ist nicht tot. Deshalb konntet ihr auch keine Leiche finden.«

»Herrin, vielleicht ist er ins Mondlicht gegangen. Oder ... Du weißt, was die Trolle mit den Toten auf den Schlachtfeldern tun. Gerade mit jenen, vor deren Mut sie Respekt haben.«

»Genug! Ich verbiete dir, so zu sprechen. Ich ...«

»Herrin, bitte.«

Die Königin legte die Hand auf ihr Herz. »Ich weiß, dass er nicht von uns gegangen ist. Ich spüre ihn hier in meinem Herzen. Er lebt. Es geht ihm gut. Wo immer er auch sein mag. Er hat mich nicht verlassen!«

Wieder bei der Herde

»Welch eine seltsame Form von Hass.« Ganda zuckte zusammen. Sie hatte Elija nicht kommen hören. Der Kommandant stand im Eingang zu ihrem Zelt und stützte sich an eine der Stangen, die fest mit dem Holzgerüst auf dem Rücken der Hornschildechse verbunden war.

»Nikodemus glaubt, dass er einer deiner Folterknechte war.«

Elija trat ein und ließ die Zeltklappe hinter sich zufallen. Er stand breitbeinig da und hielt mühelos das Gleichgewicht auf dem schwankenden Holzboden, der sich bei jedem Schritt der Hornechse leicht hob und senkte. »Hat er Recht?«

Ganda wusste, dass es aussichtslos war, dem Kommandanten etwas vorzumachen. »Nein«, sagte sie leise. »Dieser Elf hat mich verraten. Und dennoch schulde ich ihm etwas. Er hat um mein Leben gekämpft.«

Der Lutin setzte sich neben sie an das Krankenlager. »Sie sind gut darin, uns Schuldgefühle zu machen, Ganda. Das liegt daran, dass sie uns vorgaukeln, so weit über uns zu stehen. Wenn sich dann einer von ihnen um uns kümmert und Dinge tut, die eigentlich selbstverständlich sein sollten, sind wir ganz fassungslos vor Glück und haben das Gefühl, ihnen fortan etwas zu schulden. Das ist einer der Mechanismen ihrer Herrschaft.«

Ganda blickte müde zu Elija auf. »Vielleicht hast du Recht. Wenn ja, dann funktioniert es verdammt gut. Ich dachte, ich hasse ihn. Und jetzt sitze ich hier und kämpfe um sein Leben.«

»Bist du sicher, dass er es dir danken wird?«

»Darum geht es nicht. Ich brauche seinen Dank nicht. Ich tue es ...«

»Du hast mich falsch verstanden. Sieh ihn dir an! Er wird nie mehr sein, was er einmal war. Ist dir jemals ein verkrüppelter Elf begegnet? Sie sind besessen von ihren Vorstellungen der Vollkommenheit. Das Unvollkommene können sie nicht ertragen. Er wird entstellt sein. Vielleicht wird er sogar gelähmt sein. Glaubst du, er wird es dir danken, dass du ihm so ein Leben schenkst? Tust du ihm wirklich einen Gefallen? Oder ist es vielleicht doch eine merkwürdige Form von Hass? Wenn er stirbt, dann geht er ins Mondlicht ein oder wird wiedergeboren. Für ihn ist der Tod nicht das Ende, so wie für uns. Ganz gleich, welcher von beiden Wegen ihm bestimmt ist, er wird sich verbessern. Lass ihn gehen.«

Ganda sah auf die bandagierte Gestalt, die vor ihr auf einem im Boden eingelassenen Lager ruhte. Ollowain hatte einen schweren Schädelbruch und sieben weitere Knochenbrüche. Drei tiefe Schnittwunden hatten ihn fast verbluten lassen, und eine Unzahl von Prellungen und Quetschungen bedeckte seinen Leib. Wie ein Kleinkind musste sie ihn Löffel für Löffel mit Fleischbrühe füttern. Seit sie ihn gefunden hatte, war er nicht zu Bewusstsein gekommen, und es war unmöglich zu sagen, welchen Schaden sein Verstand genommen hatte. Sein Gesicht war so angeschwollen, dass sie ihn nicht wiedererkannt hätte, wäre er nicht ganz in Weiß gekleidet gewesen. Vielleicht tat sie ihm wirklich keinen Gefallen ... Aber sie konnte ihn auch nicht einfach sterben lassen. Das brachte sie nicht übers Herz.

»Willst du mir seinen Namen sagen?«

»Ollowain.«

»Der Schwertmeister?« Elija seufzte. »Ach, Ganda. Er ist einer der treuesten Diener Emerelles, und wir pflegen ihn. Das ist widersinnig. Glaubst du, er würde auch nur einen Herzschlag lang zögern, sich gegen uns zu stellen, wenn wir die Tyrannin stürzen wollen? Er darf nicht sehen, was wir tun. Er darf nicht einmal unsere Gesichter kennen. Du hast eine Natter in unsere Mitte gebracht. Er steht für all das, was wir bekämpfen.«

»Ich schulde ihm mein Leben.«

»Das mag ja sein, Ganda, aber was schulden wir ihm? Vor drei Stunden habe ich dir unsere Herde anvertraut, und nun muss ich sehen, auf was für Abwege du dich verirrt hast.«

»Habe ich dich nicht an den Ort gebracht, an den du wolltest? Ich weiß, was ich der Herde schuldig bin. Ich habe euch sicher durch das goldene Netz geführt. Du kannst dich darauf verlassen, dass ich meine Pflichten so wie früher gewissenhaft erfüllen werde.«

»Und was würdest du tun, wenn ich von dir verlangen würde, dass wir den Elfen zurücklassen?«

»Ich wäre traurig, dass es den Elija, den ich von früher kannte, nicht mehr gibt. Er hätte sich nicht vor einem schwer Verwundeten gefürchtet, der vielleicht nicht einmal die nächste Nacht überleben wird.«

Der Lutin zuckte ärgerlich mit der Schnauze. »Komm, Ganda! Nicht so ... Was ist, wenn du den Elfen gesund pflegst? Dann haben wir den Schwertmeister in unserer Mitte. Wenn auch nur die Hälfte der Geschichten stimmt, die man sich über ihn erzählt, dann sind wir alle zusammen ihm nicht gewachsen. Und was glaubst du, wird geschehen, wenn er begreift, was wir getan haben? Bleibt er hier, so sind wir alle in Gefahr. Ich führe unsere kleine Herde, und ich werde nicht dulden, dass wir einen Wolf in unserer Mitte haben.«

»Also was willst du tun? Mich verstoßen?«

Elija richtete sich auf. »Nein. Ich war glücklich, als du wieder zu uns zurückgekehrt bist. Ich will dich nicht sofort wieder verlieren. Und das werde ich nicht. Ich werde dich und den Schwertmeister beobachten, und wenn ich den Eindruck habe, dass er eine Gefahr für uns wird, dann werde ich etwas unternehmen.«

»Was soll das heißen, etwas unternehmen? Willst du ihn töten?«

»Vielleicht.«

»Wenn du ihn umbringst, wirst du auch mich für immer verlieren.«

Elija seufzte. »Das ist grotesk! Hast du dich etwa in ihn verliebt? Dir ist hoffentlich klar, dass er das nicht einmal bemerken würde, Ganda. Er ist ein Elf. Für ihn sind wir nichts anderes als nützliche Diener. Wenn er dich mag, dann so, wie man einen treuen Hund mag. Lieben wird er dich niemals.«

»Wer spricht hier von Liebe!«

»Deine Taten, Ganda. Deine Taten.«

»Bist du etwa eifersüchtig?«

Elija lächelte, doch wie bei allen Lutin sah es aus, als fletsche er die Zähne. »Vielleicht, Ganda. Mein Leben lang bekämpfe ich die Überheblichkeit der Elfen. Für sie sind wir nicht mehr wert als der Dreck unter unseren Fingernägeln. Und nun holst du mir einen Elfen mitten in unser Lager, der alles zunichte machen kann, wenn er begreift, wie nahe wir unserem Ziel gekommen sind. Ich könnte aus der Haut fahren vor Wut! Und zugleich freue ich mich immer noch, dass du wieder zurückgekehrt bist.«

Elija sagte das ruhig, ohne ein Gefühl in der Stimme. Er war ihr unheimlich.

»Ich mache dir einen Vorschlag, Ganda. Ich werde das Leben des Elfen schonen, und er kann in unserem Lager bleiben. Aber dafür fordere ich deine Treue, Ganda. Diene unserer Sache, so wie du es früher getan hast. Schwöre mir das!«