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Galawayn wirkte betroffen. Er hob abwehrend die Hände.

»Ich wollte dich nicht beleidigen. Und philosophisch betrachtet, hast du sicherlich Recht, doch gemeinhin macht man ja einen Unterschied zwischen Soldaten, die ihre Feinde töten, und einem Mörder, der scheinbar wahllos zuschlägt. Wurde er denn nun gefasst?«

»Nein! Wir haben uns bemüht. Aber es war die Schlacht, der Kampf ums schlichte Überleben, der unsere volle Aufmerksamkeit forderte. Über den Mörder wissen wir nur, dass er ein zutiefst von Magie durchdrungenes Wesen war. Offenbar konnte er durch Wände gehen ... Und er hatte Freude am Töten. Er scheint wahllos zugeschlagen zu haben.«

Ollowain hatte sein Teeglas abgestellt und die beiden Hände auf die Oberschenkel gelegt. Seine Augen waren geschlossen, so als versuche er sich die Bilder der vergangenen Schrecken in aller Deutlichkeit in Erinnerung zu rufen.

»Muss das denn sein?«, fragte Ganda. Es war nicht zu übersehen, wie sehr es den Schwertmeister aufwühlte, von den vergangenen Kämpfen zu erzählen.

Jetzt setzte auch Galawayn sein Teeglas ab. »Ich wünschte, man hätte eine andere Aufgabe für mich gewählt, aber es ist nun einmal meine Pflicht, von Ollowain eine möglichst genaue Beschreibung der Ereignisse einzufordern.« Nachdenklich strich er sich über das Kinn. »Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, dir den Bericht zu erleichtern. Du kennst doch gewiss das Falrach-Spiel. Es heißt, man könne jede Schlacht auf einem Falrach-Tisch nachstellen. Falrach selbst war ein Feldherr, und er hatte ausdrücklich im Sinn, mit diesem Spiel den taktischen Verstand künftiger Befehlshaber zu schärfen. Wenn wir also abstrakt die Schlacht auf dem Spieltisch nachstellen, wird es vielleicht weniger schmerzlich für dich sein, darüber zu erzählen.«

Ganda hielt das für ausgemachten Unsinn, aber Ollowain schien ernsthaft über den Vorschlag nachzudenken. Elfen! Welcher Kobold würde sie jemals verstehen. Die Lutin bediente sich ein weiteres Mal. Die Speisen, die ihr Gastgeber aufgetischt hatte, waren wirklich köstlich!

Galawayn bedachte sie mit einem gönnerhaften Lächeln, bevor er weitersprach. »Für heute würde es dann genügen, wenn du mir die Truppen auflistest, die auf beiden Seiten gekämpft haben, und in knappen Worten einige der herausragenden Ereignisse während der Belagerung zusammenfasst. Ich würde dann in der Nacht den Tisch vorbereiten.«

»Versuchen wir es«, sagte Ollowain mit wenig Begeisterung.

Ganda räusperte sich. »Nachdem mein Begleiter nun bereit ist, sich den Gesetzen der Bibliothek zu unterwerfen, bleibt noch eine drängende Frage zu klären.« Die Lutin machte eine weit ausholende Geste. »Du hast einen wunderschönen Ort inmitten düsterer Büchersäle erschaffen, Galawayn. Geradezu eine Oase. Aber wo sind die Bücher, über die du wachst? Ich bin hierher gekommen, um die Geheimnisse der Albenpfade zu studieren.« Sie deutete auf die wenigen Schriftrollen. »Ist das der ganze Bestand an Schriften, über die du wachst?«

»Natürlich nicht.« Ihr Gastgeber lächelte breit. »Ich sagte ja schon, es gibt ein besonderes System der Ablage für die Schriften, die meiner Obhut unterliegen. Es wurde ersonnen, um sie vor leichtfertigem Zugriff zu schützen. Sich in den Saal des Lichts zu schleichen, wird dem Neugierigen kaum weiterhelfen.« Galawayn erhob sich.

Die Lutin warf einen bedauernden Blick auf das köstliche Mahl, das der Hüter der Geheimnisse aufgetragen hatte. Von der Leber hatte sie bislang noch gar nicht gekostet. Dass Galawayn es jetzt plötzlich so eilig hatte, passte ihr gar nicht!

»Folgt mir.« Er lächelte hintersinng. »Machen wir uns auf die Suche nach längst verschüttetem Wissen. Möchtet ihr zunächst mit den Schriften über die Entstehung der Albenpfade beginnen, oder habt ihr andere Interessen?«

Sie kratzte sich nachdenklich unter der Schnauze. Durfte sie zulassen, dass er ihre Nachforschungen lenkte, indem er die Richtung vorgab? Vielleicht sollte sie zunächst einmal auf seinen Vorschlag eingehen. »Das erscheint mir sinnvoll.«

»Gut. Dann folgt mir, ich zeige euch das Geheimnis dieses Büchersaals.« Der Elf verließ das Zelt, sah sich nachdenklich um und führte sie dann über zwei niedrige Dünen hinweg. Wieder blickte er sich um. Ganda konnte keine besonderen Geländemerkmale erkennen, an denen sich Galawayn orientierte. Für sie sah jede der Dünen hier gleich aus.

Der Elf trat ein kleines Stück zurück und hielt sich dann nach links, wobei er leise seine Schritte zählte. Bei dreiundzwanzig kniete er nieder. Mit beiden Händen begann er im warmen Sand zu graben.

Fassungslos sah Ganda ihm zu. Sie traute ihren Augen kaum. Das durfte doch nicht wahr sein! »Sind die Bücher etwa im Sand vergraben?«

Ihr Gastgeber hielt inne und sah sie vorwurfsvoll an. »Natürlich nicht. Die Trockenheit würde sie zerstören. Lagert man Schriften in zu trockenen Räumen, so ist das ebenso schädlich für sie wie Feuchtigkeit. Die Seiten werden brüchig und fallen mit der Zeit auseinander. Ah. Das ist es ja!« Er schien einen rotbraunen Stein gefunden zu haben. »Kommt, helft mir!« Ganda und Ollowain tauschten einen Blick. Der Schwertmeister nickte kaum merklich. Dann knieten auch sie sich in den Sand und halfen ihrem Gastgeber beim Graben.

Wenig später zogen sie eine bauchige, rotbraune Urne aus dem Sand, deren Deckel mit Wachs versiegelt war. Galawayns Finger tasteten über zwei Zeilen fremdartiger Schriftzeichen, die in den kurzen Hals des Tongefäßes geritzt waren. »Von den Pfaden des Lichts und ihren Schöpfern«, murmelte er vor sich hin. »Das ist, was ich gesucht habe. In der Urne wirst du siebzehn Schriftrollen finden, die sich mit der Entstehung des Netzes der Albenpfade befassen.«

Ganda blickte über die Landschaft aus Sanddünen. Das war verrückt! »Gibt es viele solcher Verstecke?«

»Ich wache über siebzehntausenddreihundertacht Schriftrollen mit Texten über die Alben und die fünf Welten, die laut Ratschluss der Hüter des Wissens schwer zugänglich sein sollen.« Er machte eine weit ausholende Bewegung und deutete von Horizont zu Horizont. »Diese Schriften sind in zweitausendfünfundsiebzig Urnen vergraben. Dazu kommen noch einunddreißig Bücher, die in flachen Kisten aus gebranntem Ton begraben wurden. Wer immer hier nach Wissen sucht, der sollte sich meiner wohlwollenden Unterstützung erfreuen oder sehr viel Zeit mitbringen.« Er stemmte die Urne hoch. »Bringen wir den Schatz zurück ins Zelt und beginnen wir mit unserer Arbeit.«

Das goldene Netz

»... Von einem Netz zu sprechen, wenn man die Pfade der Alben mein, ist keine glückliche poetische Metapher. Wer dieses Bild nutzt, legt allenfalls Zeugnis von seiner eigenen Unwissenheit ab. Wenn man aber in seinem schlichten Geiste festgelegt ist auf diese grobe Vereinfachung der Wirklichkeit, so müsste man zumindest von drei Netzen sprechen. Albenmark und die Welt der Menschen sind von einem engmaschigen Netz von Albenpfaden umgeben. Das Netz der Zerbrochenen Welt ist jedoch zerrissen. Man vermag zwar von Albenmark und auch aus der Welt der Menschen zu den Bruchstücken zu gelangen, die im Nichts treiben, doch sind mir keine Pfade bekannt, welche die Trümmer dieser Welt noch miteinander verbänden.

Wer jemals die Pfade der Alben betrat, der weiß um die Schrecken, die im Dunkel lauern. Die Pfade selbst sind geschützt, aber wehe dem, der sie verlässt. Außer den Yingiz gibt es noch eine zweite unsichtbare Gefahr. Sie, begründet sich in der Beschaffenheit der magischen Wege, die denjenige, der sie betritt nicht nur mit wenigen Schritten zu fernsten Zielen zu bringen vermögen. Der Unvorsichtige, der sich die Zeit einer Reise ersparen will, findet sich leicht durch die Zeit davongetragen und muss feststellen, wenn er sein Ziel erreicht, dass während der vermeintlich kurzen Zeit, die er auf den Wegen der Alben schritt, dass in seiner Welt Jahre, vielleicht sogar Jahrhunderte vergangen sind. Davor zu schützen vermag sich nur der, der seine Zauber mit größter Sorgfalt wirkt und stets die großen Albensterne wählt, um seine Reise zu beginnen und zu beenden. (...)