»Ich hatte keine Wahl«, antwortete Skanga ausweichend.
»Drauf gefurzt! Man hat immer die Wahl. Vor mir steht das gefürchteteste Weib unseres Volkes. Trolle, die selbst in den Flammen des Königssteins weitergekämpft haben, erzittern, wenn nur dein Name fällt. Aber beuge ich mich deinem Willen? Nein! Man hat immer die Wahl.«
Skanga betrachtete den Herzog mit einer Mischung aus Zorn und Respekt. Welch ein König er sein könnte! Aber nicht einmal um seinetwillen würde sie mit den alten Gesetzen brechen. Branbart hatte ein Recht auf den Thron, so lange er wiedergeboren wurde. Und er wurde langsam besser als Herrscher. Die Alben hatten ihm den Thron zugedacht, warum auch immer ... Sie würde nicht in den Plänen der Alten herumpfuschen. Das überließ sie Emerelle, der die Macht mit der Zeit offenbar jede Vernunft geraubt hatte.
»In dieser Kammer bist du gestorben«, wechselte die Schamanin das Thema. »Ich glaube, es war sogar dieses Lager. Ich erinnere mich. In deine Kehle war ein zweiter, klaffender Mund geschnitten.«
Eine breite Spur von Rot pulsierte jetzt in der Aura Orgrims.
»Ich kenne die Geschichte!«
»Ob dieser Elf schon gehört hat, dass es einen neuen Herzog auf der Nachtzinne gibt?«, fuhr Skanga ungerührt fort.
»Schläfst du eigentlich gut in diesem Bett?«
»So ruhig wie ein Welpe, der gerade gesäugt wurde.«
Die Schamanin wusste, dass er log. »Deshalb kommst du erst mitten in der Nacht zu deinem Lager.«
»Meine lüsternen Weiber haben mich nicht früher ziehen lassen.« »Ach so. Und ich dachte schon, du meidest diesen Ort, so gut es geht«, spottete Skanga. »Lüge nicht! Du kommst doch nur deshalb noch hierher, damit dich niemand einen Feigling nennen kann! Und jede Nacht zögerst du es länger hinaus. Erzähl mir nichts! Ich kann in dein Herz sehen, Herzog. Ich sehe Stolz und Angst in beständigem Ringen miteinander.«
»Warum erzählst du mir das?«, fragte er barsch. »Ich weiß, wie es in meinem Herzen aussieht. Ich brauche keine Belehrungen darüber.«
»Ich will nur dein Bestes, Orgrim. Auch wenn ich sehr enttäuscht darüber bin, dass du mir meine Bitte abschlägst.«
Skanga beugte sich in dem hohen Stuhl vor. Ihre Amulette stießen leise klackend gegeneinander. »Du weißt, dass dein Mörder weder durch die Tür noch durch ein Fenster gekommen ist?«
»Nein.«
»Es gibt eine verborgene Tür in dieser Kammer. Deine ganze Felsenburg ist durchzogen von einem Netz geheimer Gänge. Sie sind zu eng, als dass ein Troll sie jemals betreten könnte. Und das war auch die Absicht ihrer Erbauer. Die Kobolde haben dir ein fettes Kuckucksei in dein Felsennest gelegt. Vielleicht hättest du deine Sklaven etwas netter behandeln sollen, als sie diese Burg errichteten.«
»Worauf willst du hinaus?«
Skanga hob abwehrend die Hände. »Aber, aber. Ich bin doch nur in Sorge. Bedenke, hier ist alles für deine Ermordung vorbereitet. Nicht einmal in deinem Schlafgemach bist du sicher. Aber wenn du mit mir in die Snaiwamark kämest, könnte ich Tag und Nacht über dich wachen. Und du könntest auch mir helfen. Wir beide hätten etwas davon, wenn du meinen Vorschlag annimmst.«
Wieder beherrschte ein schlammfarbenes Braun die Aura des Fürsten, Ausdruck seines Zweifels. »Könnte es sein, dass du mir diesen verrückten Elfen auf den Hals gehetzt hast? Strafst du mich so, alte Vettel, wenn ich nicht gehorsam bin? Und hast du die Geschichte von der Seelenfehde am Ende nur erfunden, damit ich in Angst geboren werde, wenn ich wiederkehre, und mich dann leichter deinem Willen füge?«
Skanga kratzte sich nachdenklich am Ohr. »Ein guter Plan. Leider nicht meiner, aber ich werde ihn mir merken.« Sie erhob sich seufzend; ihre Glieder schmerzten vom langen Sitzen.
»Deine Gelegenheit ist verstrichen, Orgrim. Andere Herzöge werden nicht zögern, wenn ich ihnen den Thron anbiete, und sei es auch nur für ein paar Jahre.«
»Wie bist du überhaupt hier hereingelangt? Überall in den Gängen und an allen Toren stehen Wachen.«
Auch der Herzog hatte sich jetzt erhoben. Sie spürte, dass er nackt war. Er war wahrhaft stattlich. »Ja, ja«, entgegnete sie gehässig. »Ich hatte auch das Gefühl, dass du dich belagert fühlst. Wie leicht wird es wohl der Elf haben, wenn deine Krieger nicht einmal ein altes Weib aufhalten konnten?«
»Niemand hält ein Weib auf, das auf dem Weg in mein Schlafgemach ist.« Die Stimme des Herzogs klang spöttisch, doch Skanga spürte seine kalte Angst.
»Ich bin wie der Wind, Orgrim. Ich gehe, wohin ich will. Ich blende deine Wachen mit Leichtigkeit. Sie blicken in eine andere Richtung, wenn ich vorbeigehe, oder sie halten mich für einen Kameraden oder für einen Kobold, der ein großes Bündel Brennholz auf dem Rücken trägt. Es ist leicht, ihre Augen zu betrügen. Sie sind stets geneigt zu sehen, was sie sehen wollen. Dieser Elf hat deine früheren Inkarnationen inmitten eines Kriegslagers getötet oder hier auf deiner Burg. Er kennt keine Angst, wenn er auszieht, dich zu ermorden. Sein eigenes Leben scheint ihm egal zu sein. Deshalb ist er kaum aufzuhalten.«
»Danke für deine Warnung.«
Skanga betrachtete die Aura des Trollfürsten eindringlich. Das Rot des Zorns fehlte, sein Dank war wirklich aufrichtig.
Die Alte blieb stehen. Ihr Rücken schmerzte. Krumm lehnte sie an ihrem Stab. »Was hält dich nur hier, Orgrim? Auch wenn du nicht König sein kannst, du wärst der Erste unter den Herzögen der Snaiwamark. Die Krieger verehren dich. Warum bleibst du hier? Was hat dir die Welt der Menschen zu bieten?«
»Frieden.«
Zornig schüttelte Skanga den Kopf. »Du machst dir etwas vor. Du bist dazu geboren, Schlachten zu führen. Selbst die Elfen fürchten dich. Frieden, das war noch nie dein Leben. Du bist zum Krieg geboren. Und glaub mir, ich lebe lang genug, um zu wissen, dass niemand sich seiner Bestimmung entziehen kann.«
Jetzt lächelte der Fürst. Seine Ruhe war zum Aus-der-Haut-
Fahren. »Manchmal wird man auch im hohen Alter noch überrascht.«
Die Schamanin dachte an eine seltsame Geschichte, die ihre Ziehtochter Birga ihr erzählt hatte. »Du hast das Weib des Menschenfürsten gefunden und ihr das Leben gerettet, habe ich gehört. Jetzt ist er dir etwas schuldig, ja. Glaubst du, Menschen kennen Ehre?«
»Dieser eine vielleicht. Sein Weib kennt sie ganz gewiss. Ihre Tapferkeit hat selbst meine Krieger beeindruckt. Wir haben sie, ihr Kind und einen Knecht vor dem Erfrieren gerettet. Alfadas wird sich daran erinnern. Er weiß jetzt, dass ich Frieden will. Wir werden gute Nachbarn sein. Hin und wieder wird es ein paar Geplänkel geben, damit unsere jungen Krieger ihren Mut beweisen können. Einen kleinen Raubzug, einen Viehdiebstahl. Nichts Bedeutendes. Krieg werden wir nicht führen.«
»Du glaubst also, dass die Menschen über den Frieden genauso denken wie du.«
»Sie sind Krieger«, sagte er geradezu mit Respekt. »So verschieden unsere Körper auch sein mögen, unsere Herzen sind sich ähnlicher, als man glauben mag.«
Skanga lächelte trocken. »Und all das weißt du nach einem einzigen Kriegszug gegen sie? Du kennst ihre Herzen!« Die Schamanin spuckte aus. »Einen Dreck kennst du. Du wirst schon noch sehen, wie sie wirklich sind — wenn dich der verrückte Elf lange genug leben lässt. Ich werde nicht vergessen, dass du nicht zu deinem Volk gestanden hast, als ich mit einer Bitte zu dir gekommen bin. Fürchte den Tag, an dem du mich um etwas bitten musst, Orgrim. Denn mein Herz wird dann so hart und kalt sein, wie deines heute war.« Müde verließ sie das Zimmer. Jeder Schritt war eine Qual. Ein langer Gang führte zu einer Treppe. Immer wenn sie innehalten musste, um zu verschnaufen, lauschte sie. Nichts rührte sich. Als sie die Treppe erreichte, wusste Skanga, dass Orgrim nicht mehr kommen würde.
Der Preis verbotenen Wissens