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Nur wenige Ordensbrüder lebten noch. Die meisten lagen zusammengekrümmt am Boden, entstellt wie Tomasin, das Fleisch von den Knochen gebrannt, ohne dass ihre Haut die kleinste Wunde zeigte.

Mariotte ging wie in Trance. Sie hielt die Arme vorgestreckt. Ein Schatten wirbelte um ihre nackten Füße.

Noch immer sang die Ordensschwester. Der Chor war leiser geworden. Nur Mariotte, Lucien und die beiden anderen Brüder, auf die Jules gedeutet hatte, lebten noch.

Mariotte presste ihre Rechte gegen die unsichtbare Barriere, hinter der Guido ausgesperrt stand. Sie war so nah und doch unerreichbar. Er versuchte ihre Hand zu berühren. Durch den Zauberbann hindurch konnte er ihre Wärme spüren, auch wenn er ihre Hand nicht zu berühren vermochte.

Wie schwarze Nebelschlieren stieg der Schatten an Mariotte empor. Doch sie achtete nicht darauf. Sie hatte aufgehört zu singen. Ihr Blick war fest auf Guido gerichtet, und dann lächelte sie inmitten all des Schreckens. »Ich weiß um deine Liebe.«

Ihre Worte verbrannten ihm die Seele. Verzweifelt hieb er mit den Fäusten auf die Barriere ein. Er trat gegen den Schutzwall und rammte den Kopf gegen die Mauer, bis ihm Blut aus der Nase quoll.

»Ich werde dich retten«, schrie er. »Ich hole dich dort heraus. Ich ....«

»Ich liebe dich auch«, sagte sie leise. Ihre Lippen berührten die Wand. Die schwarzen Schlieren hatten ihr Haupt erreicht. Sie atmete sie ein!

»Nicht, Liebste! Du darfst nicht ...«

Der warme Glanz erlosch in Mariottes Augen. Sie waren noch immer auf Guido gerichtet. Doch jetzt war es etwas anderes, das ihn ansah. Kalt, taxierend, gierig.

»Ich verfluche dich, Gott!«, schrie Guido. »Wo bist du in der Stunde, in der deine Kinder dich brauchen, Tjured? Was haben wir dir getan, dass du ein so schreckliches Strafgericht mit uns hältst?«

Mariottes Lippen wölbten sich vor, als wolle sie ihn küssen. Doch unter dem weichen Fleisch waren jetzt Fänge wie von einem Wolf zu sehen. Ein hechelnder Laut begleitete die obszöne Geste und ein Knacken, das einem das Blut gefrieren ließ. Guido konnte sehen, wie sich die Fänge weiter aus dem Kiefer schoben. Unter ihrer Haut wand sich etwas, als säßen fingerdicke Würmer in ihrem Fleisch. Ihr Leib sackte nach vorne. Immer schneller veränderte sie sich. Arme und Beine wurden dünner und länger. Ihr Rücken wölbte sich. Die blaue Kutte zerriss.

Lucien und die beiden anderen Brüder machten eine ähnliche Verwandlung durch. Schließlich hatten sie alle die Gestalt riesiger Hunde angenommen. Groß wie Pferde waren sie, doch hagerer. Kurzes weißes Fell bedeckte die ausgezehrten Leiber. Jules Geschöpfe umspielte ein blauweißes Licht. Man konnte durch sie hindurchsehen, manchmal zumindest. Denn hin und wieder schienen sie auch aus Fleisch und Blut zu sein.

Geifer troff von ihren langen Schnauzen, in denen mörderische Reißzähne blitzten. Ihren gierig funkelnden Augen war anzusehen, dass ihr Hunger nach dem Lebenslicht der Sterblichen noch lange nicht gestillt war.

»Warum?«, flüsterte Guido, der immer noch nicht fassen konnte, was geschehen war.

Der Wanderer sah ihn freundlich an. »Weil sie nun nützlichere Diener für mich sind. Es ist an der Zeit, Furcht und Schrecken in die Welt der Elfen zu tragen. Ihr seid die Geißeln Tjureds. Hätte ich euch als blau gewandete Priester geschickt, die Elfen hätten euch verlacht. Doch so werden sie die Furcht kennen lernen. Ihre Schwerter und Pfeile können euch nichts mehr anhaben.«

»Was hier geschehen ist, kann nicht Tjureds Wille sein!« Guido vermochte dem Wanderer nicht länger ins Gesicht zu blicken. Was für ein Geschöpf der Finsternis hatte sich in die Reihen der Priester geschlichen? Wie hatte das geschehen können? Und wie konnte Gott solchen Frevel dulden?

»Du kennst also den Willen Gottes, Guido?« sagte Jules herausfordernd.

»Zumindest weiß ich, was nicht sein Wille sein kann.«

»Wusstest du, dass Lucien falsches Zeugnis über den Tod des heiligen Guillaume ablegte? Er behauptete, dabei gewesen zu sein, als Guillaume starb. Und mit seinen Lügen verdrehte er die Wahrheit in ihr Gegenteil.« Guido schwindelte es. Er sollte getäuscht werden!

»Immer wieder, wenn ich dieses Refugium besuchte, habe ich mit dem Abt über dessen Wahn gesprochen. Doch Lucien war verstockt. Er bestand darauf, Lügen über den Tod unseres bedeutendsten Heiligen zu verbreiten. Ja, er behauptete sogar, er habe teilgehabt am Tod von Guillaume. Und die Elfen seien gekommen, um Guillaume zu retten.« Jules lachte. »Verrückt! Alles was geschah, hat er ins genaue Gegenteil verkehrt!«

Guido vermochte den Blick nicht von all den Toten zu wenden. Manche hatten sich bei den Händen gehalten oder aneinander geklammert, als sie gestorben waren. »Das kann nicht Gottes Wille sein«, sagte er noch einmal. »Tjured ist voll der Gnade!«

»Das ist er«, bestätigte Jules. Er stieg über Tomasins Leiche hinweg und packte Guido bei den Armen. »Deshalb hat er mich dreimal geschickt, um mit Lucien zu reden und auf ihn einzuwirken. Selbst heute habe ich es noch einmal versucht.« Er schob Guido eine Hand unter das Kinn und zwang ihn, ihm in die Augen zu sehen. So schöne, blaue Augen. »Was wäre, wenn ich das Schwert Gottes bin, Bruder Guido? Was wäre, wenn Tjured mich geschickt hätte, den letzten Überlebenden der Mörder des heiligen Guillaumes zu strafen, weil dieser beschlossen hatte, sich seiner Bluttat zu brüsten?«

»Dann hättest du neunundzwanzig Unschuldige getötete!«

Guido machte sich los und trat einen Schritt zurück. »Warum musste Mariotte sterben, wenn du Lucien strafen wolltest? Und warum Jacques und Tomasin und all die anderen?«

»Weil Gott in seiner unergründlichen Weisheit beschlossen hat, dass das Gift von Luciens Lügen schon zu lange auf sie eingewirkt hat, sodass er sie ihres Leibes berauben musste, um ihre Seelen retten zu können. Ich bin das Richtschwert, Guido. Doch das Todesurteil hat Lucien gesprochen, als er anfing, sie zu verblenden.« Die blauen Augen blickten ihn unerbittlich an.

»Bist auch du ein Verblendeter, Guido?«

Der Bruder wusste nicht, was er noch glauben sollte. Er zitterte am ganzen Leib. Auch wenn Jules die Wahrheit sagte, so war die Strafe zu hart. Das war nicht das Urteil des Gottes, an den er glauben wollte.

»Nun?«

Einer der geisterhaften Hunde stieß ein heiseres Bellen aus. Seine Hinterläufe knickten zur Seite. Die Pfoten strampelten hilflos, während er sich mit den Vorderläufen noch vorwärts zu schleppen versuchte.

Jules wandte seinen eisigen Blick ab.

Jetzt brach ein zweiter Geisterhund zusammen. Seine Brust wölbte sich wie der Blasbalg eines Schmiedes. Die Rippen brachen durch das bleiche Fleisch, und etwas Schwarzes quoll aus dem Hundeleib.

Der Wanderer trat zu den verbliebenen beiden Hunden. Einer von ihnen hatte Mariottes Augen. Guido hätte jeden Eid geschworen, dass es jetzt wieder Mariotte war, die ihn ansah, so traurig waren diese Augen. Zuckend erbrach der Geisterhund einen Schatten, der sich windend in die Finsternis der Lichtpforte zurückkroch. Alle vier Hunde verendeten. Stille herrschte im Allerheiligsten.

Rastlos ging Jules von einem Kadaver zum nächsten. Dabei achtete er nicht darauf, ob er auf die Leichen der Ordensbrüder trat. »Ihre Seelen waren zu schwach«, sagte er und blickte zu Guido, als müsse dieser verstehen, wovon er sprach. »Sie konnten die Yingiz nicht halten. Es war vergebens.«

»Was war vergebens?«

»Der Tod deiner Brüder und Schwestern«, entgegnete Jules kühl. »Ihr Sterben hat nicht seinen göttlichen Zweck erfüllt.«

Blinde Wut packte Guido. Was sollte das heißen? Das Gott sich irren konnte? Dass dieses Massaker ein Irrtum war? Mit einem Wutschrei warf er sich auf Jules. Seine Fäuste schlugen auf das Gesicht des Ordensbruders ein. Unter seinen Hieben platzte Jules Lippe auf. Mit einem lauten Knacken brach sein Nasenbein. Blut rann ihm über Lippen und Kinn.

Ein Wort ließ Guido versteinern. Eine unsichtbare Kraft hielt ihn gefangen und hob ihn hoch, sodass gerade noch seine Zehenspitzen den Boden berührten.