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Zwei der Schützen verließen fluchend die Wiese. Einer von ihnen war ein wahrer Hüne, ein Kerl mit dichtem Vollbart und schütterem, weißblondem Haar. Nun waren nur noch das Mädchen, Björn und Eirik übrig.

»Der streichelt seine Bogensehne wie Vehleif die Saiten seiner Laute«, grummelte Lambi verstimmt. »Bei dem wird man nie sehen, dass eine Scheibe umstürzt. Die Nadelstiche einer Jungfer sind gefährlicher als seine Pfeile.«

Alfadas legte seinem Weggefährten den Arm um die Schultern. »Sei nicht so streng mit ihm! Er gehört zu den besten drei des Fjordlands, obwohl noch kaum Flaum auf seinen Wangen spießt. Jeder andere Vater wäre stolz.«

Lambi sah ihn verbittert an. »Da kannst du nicht mitreden. Dein Sohn ist der beste Schwertkämpfer des Reiches. Du hast es nie erlebt, wie es ist, wenn dein Junge immer nur die zweite Wahl ist. Und jetzt sieh dir mal an, wie er der Rothaarigen nachgafft. Gleich tritt er noch auf seine Zunge, der läufige Bastard. Ich kann froh sein, wenn er nicht auf die Idee kommt, sie hier vor allen zu bespringen. Kannst du das fassen? Er ist der Herzogssohn. Er könnte Königstöchter abbekommen, wenn ich es wollte. Und was tut er? Er steigt irgendeiner ungewaschenen Schlampe aus den Bergen nach. Siehst du dieses verfluchte blaue Kleid? Das hat er ihr geschenkt, obwohl sie ihm fast den Kiefer gebrochen hat.«

Alfadas schmunzelte. »Hat sie ihn mit dem Bogen niedergeschlagen?«

»Von wegen Bogen! Einen Fausthieb hat sie ihm verpasst. Die schlägt zu wie ein auskeilender Esel. Und was macht mein trotteliger Sohn? Der schenkt ihr vor lauter Dankbarkeit für die Prügel ein Kleid, das so teuer ist, dass man ein ganzes Gehöft dafür kaufen könnte. Die hat ihm das letzte bisschen Verstand aus dem Schädel geprügelt. Hat dir Ulric denn gar nichts erzählt? Er hat daneben gestanden.«

Der König schüttelte den Kopf. »Nein. Du kennst ihn doch. Er ist zu ernst, um solche Geschichten zu erzählen.« Alfadas beobachtete, wie die Bogenschützen erneut in Stellung gingen. Daher also rührte der Verband an der linken Hand der Rothaarigen. Er seufzte. Es war nicht gut, sich so viele Gedanken um das Mädchen zu machen. Sie stürzte ihn in ein Wechselbad der Gefühle. Er hatte Spaß daran, ihr zuzusehen. Sie schien ein ausgemachter Sturkopf zu sein. Eine Hose und ein Kleid zusammen zu tragen! Sich mit Männern zu prügeln und die Oberhand zu behalten. Sich als einziges Weib zu den Jägern zu melden und hier nun bei den besten drei zu stehen. Und das, obwohl ihre linke Hand verletzt war. Was würde geschehen, wenn sie siegte? Sie würde einen schweren Stand unter den Jägern haben.

Doch im gleichen Maße, wie sie seinem Herzen Freude bereitete, brachte sie ihm auch Schmerz. Die alten Albträume waren in den letzten Nächten wiedergekehrt. Er dachte an all die toten Kinder, die er entlang der Route des Flüchtlingszugs auf dem Eis des Fjordes gesehen hatte. An die kleinen steifgefrorenen Hände, die aus den eingeschneiten Kleiderbündeln ragten. Und dann hörte er wieder die dünne Kinderstimme, die seinen Namen rief. Sie kam aus einem Bündel, aus dem ein roter Haarschopf hervorlugte. Halb im Schnee vergraben, streckte sich ihm eine Hand entgegen. Kadlin.

Er presste die Lippen aufeinander und versuchte die Albtraumbilder aus seinen Gedanken zu vertreiben. Diesen Sommer würde er die Trolle bluten lassen! Niemals würde er Frieden mit den Menschenfressern schließen, die ihm seine Familie geraubt hatten. Und er würde das fremde Mädchen nicht an seine Tafel rufen. Nicht einmal, wenn sie das Wettschießen gewann. Er musste sich vor ihr hüten! Silwyna hatte ihn vor ihr gewarnt. Seine Geliebte hatte gleich am ersten Tag des Wettschießens bemerkt, wie sehr ihn der Anblick der rothaarigen Jägerin aus dem Gleichgewicht brachte. Dass mit ihr die Geister der Toten zurückgekehrt waren. Silwyna hatte ihm wiederholt geraten, den Umgang mit dem Mädchen zu meiden. Sie kannte ihn gut. So gut ... Er sah zu ihr hinüber. Sie saß zu seiner Linken an dem groben Tisch, den man auf die Wiese gestellt hatte. All die Jahre war sie bei ihm geblieben.

Die Elfe spürte seinen Blick. Sie sah zu ihm hinüber und lächelte. Flüchtig streifte ihn ihre Hand. Dann wandte sie sich wieder den verbliebenen Bogenschützen zu. »Das Mädchen ist gut«, sagte sie stolz.

Alfadas betrachtete noch immer die Maurawani. Für einen Augenblick hatte er das Turnier und seine schmerzlichen Erinnerungen vergessen. Sie hatte das Haar aus der Stirn zurückgekämmt und zu einem Zopf geflochten. Das ließ ihr scharfkantiges Gesicht noch strenger aussehen. Sie trug lederne Jagdkleidung. Ihr schwarzer Zopf lag wie ein Schmuckstück um ihren Hals. So viele Jahre kannten sie sich schon. Sie sah noch immer so aus wie an jenem fernen Tag, an dem sie sich am Hof der Elfenkönigin zum ersten Mal begegnet waren. So würde sie noch aussehen, wenn sie an seinem Sterbebett saß. Er alterte und verfiel. Und sie hatte nicht ein einziges graues Haar. Die Zeit hatte keine Macht über Elfen. Oft fragte sich Alfadas, was Silwyna an seiner Seite hielt. Er war kein einfacher Mann. Nein, das war er wirklich nicht. Asla, sein Weib, hatte immer darunter gelitten, wie er zum Hartungskliff hinaufgeblickt und sich zurück nach Albenmark gesehnt hatte. Damals hatte er oft an Silwyna gedacht. Und nun ging ihm Asla nicht aus dem Kopf. Asla, der er nicht beigestanden hatte, als sie ihn am meisten gebraucht hätte.

Er musste wohl verrückt sein! Immer sehnte er sich nach dem, was er nicht hatte. Seine Seele fand keinen Frieden. Er hätte längst nach Albenmark reisen müssen, um dort seinen Sohn Melvyn zu besuchen. Doch er konnte das Fjordland nicht verlassen. Er durfte es nicht! Die Trolle waren unbesiegt. Niemand wusste, wann es ihnen wieder einfallen würde, gen Süden zu ziehen. Er durfte seinem Königreich nicht den Rücken zukehren! Die Trolle waren gekommen, weil die Fjordländer auf Seiten der Elfen gekämpft hatten. Seit Menschengedenken lebten sie hoch oben in den unwirtlichen Bergen, und nie waren sie ins Königreich eingefallen. Aber jetzt hatten sie Blut geleckt. Sie konnten jederzeit wiederkommen. Kaum ein Mond zog vorüber, ohne dass es Meldungen von der Grenze gab. Gestohlenes Vieh. Einsame Gehöfte, die man niederbrannte. Es konnte erst dann Frieden geben, wenn es ihm gelang, den Felsen einzunehmen, in dem ihre Höhlen lagen. Sie mussten fühlen, wie es war, vor den Gräbern der eigenen Kinder zu stehen.

Alfadas wurde die Kehle eng. Wenn es nur ein Grab für Asla und Kadlin gegeben hätte! Einen Ort, den er besuchen konnte, um dort zu trauern. Aber sie waren einfach aus seinem Leben gerissen worden. Und nichts gab es, was diese Lücke füllte, nicht einmal ein Grab.

Der König kannte die verrückten Geschichten, die man sich über seinen Sohn Ulric erzählte und über dessen Weib Halgard. Man hielt sie für Wiedergänger, für lebende Tote! Sie hatten keine Ahnung. Der lebende Tote, das war er und nicht sein Sohn!

Es gab nur eines, worauf er stolz war. Er hatte das Fjordland stark gemacht. Alfadas hatte mit harter Hand regiert, aber niemand nannte ihn einen ungerechten König. Er hatte aus Asche ein Reich errichtet. Und jedes Jahr drängten seine Krieger die Trolle ein kleines Stück weiter in den Norden zurück. In diesem Jahr würden sie eine Burg aus Stein am Hammerpass errichten. Ein uneinnehmbares Bollwerk. Den ganzen Winter über hatte er mit Gundaher an den Plänen gearbeitet. Aus der Schlacht um Phylangan wusste er, wie eine Burg beschaffen sein musste, wenn man die Trolle bluten lassen wollte.

Ein Johlen aus hunderten Kehlen riss Alfadas aus seinen Gedanken. Eirik hatte geschossen, und Vehleif war hinter die Strohscheibe getreten und streckte die geballte Faust hoch. Der Jagdmeister hatte ins Auge getroffen.

Lambi fluchte leise vor sich hin. Alfadas war immer wieder überrascht, dass dem Herzog nach all den Jahren, die sie sich kannten, immer noch neue Verwünschungen einfielen, die sich um Körperteile drehten, die nur selten das Licht der Sonne beschien.