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Trotz seines Protestes stemmte sich der Kobold hoch und spähte über den Dachfirst hinweg. Der Mond stand wie eine riesige Laterne am Himmel. Man musste schon ausnehmend dumm sein, um sich ausgerechnet diese Nacht zum Herumschleichen auszusuchen. Oder über beide Ohren verliebt. Seit drei Tagen rannte Melvyn in ihrem Lager herum, als habe ihn ein Büffel vor den Schädel getreten. Kein vernünftiges Wort brachte er heraus. Er fand keine Ruhe. Auch nachts nicht. Misht kannte ihren Hauptmann schon lange. Wenn er eine seiner Affären laufen hatte, war er immer ganz aufgekratzt. Aber diesmal war er irgendwie anders. Wie ausgewechselt. Offenbar hatte er sich tatsächlich verliebt. Aber warum, bei den Alben, musste es ausgerechnet eine verheiratete Frau sein! Und dann noch das Weib eines Elfenfürsten! Wolkentaucher hatte ihm verraten, wo Melvyn sich herumgetrieben hatte. Auch der Adler machte sich Sorgen um ihren Anführer. Er war es gewesen, der Misht und Nossew darum gebeten hatte, Melvyn den Rücken freizuhalten. Und Nossew, der kaum einmal ein Wort über die Lippen brachte, hatte natürlich zugestimmt.

Die gewölbten Dachschindeln drückten Misht gegen die Rippen. Mit den Füßen stützte er sich gegen einen gemauerten Kamin und beobachtete den Balkon, der zwanzig Schritt entfernt lag. Wie Banner wehten die safranfarbenen Vorhänge in der offenen Tür. Sie strahlten hell im Mondlicht und schienen ihm zuzuwinken.

Große Klasse, dachte er säuerlich. Melvyn wälzt sich da drüben in Seidenlaken, und ich liege mir hier die Rippen wund.

Misht rückte ein wenig zur Seite und versuchte eine bequemere Stellung zu finden. Aber es war unmöglich, es sich auf diesen verfluchten gewölbten Dachschindeln gemütlich zu machen!

Nossew schob sich neben ihn, spuckte den Harzklumpen, auf dem er herumgekaut hatte, in seine Hand und klebte ihn auf eine Dachschindel. Dann zog er sein Fähnchen heraus. Er benutzte es immer, wenn es darum ging, einen guten Schuss zu landen. Es war ein schmaler Seidenstreifen, nicht einmal einen Finger lang, den er an einen Zahnstocher geklebt hatte. Vor jedem Schuss warf er einen Blick auf sein Fähnchen, um Windrichtung und Geschwindigkeit abzuschätzen. Völliger Unsinn, wie Misht fand! Armbrustbolzen waren viel weniger anfällig für den Wind als der Pfeil eines Bogens. Aber Nossew bestand auf diesem Ritual. Und eines musste man ihm lassen: Er schoss beängstigend gut.

Aus irgendeiner Tasche holte sein Gefährte ein neues Harzklümpchen hervor und begann schmatzend darauf herumzukauen. Zwar war nicht zu befürchten, dass man sie hören könnte, unten am Wehr lärmten schließlich die Hämmer der Schmiede, aber das Geräusch ging ihm auf die Nerven.

Misht trommelte nervös mit den Fingern auf einer Dachschindel. Fürst Shandral nahm an der Besprechung der Feldherren draußen vor der Stadt teil. Er würde gewiss nicht so schnell zurückkehren. Selbst dann nicht, wenn er bemerkte, dass Melvyn dort fehlte, und ahnte, was das bedeutete. Würde Shandral jetzt Elodrins Zelt verlassen, dann würden auch die anderen ahnen, worum es ging. Melvyn hatte bedauerlicherweise einen gewissen Ruf. So lange Shandral blieb, hatte jeder der Heerführer und Fürsten Grund, sich Sorgen zu machen.

Misht fluchte leise vor sich hin. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Melvyn mit einem Pfeil im Rücken in einem der Kanäle landete. Oder, nein ... es waren ja Elfen. Die würden es wohl subtiler machen. Ihn in einer dunklen Gasse überwältigen, ihn zwingen, einen Krug Branntwein zu trinken, und ihn dann im Kanal ertränken. Diese verfluchten Elfenbastarde würden anschließend gewiss auch alle zu Melvyns Begräbnis kommen. Misht mochte den Wolfself, wie viele der Fürsten und Edlen seinen Hauptmann spöttisch nannten. Mit dem übrigen Elfengeschmeiß konnte er nicht viel anfangen. Wenn Melvyn nicht wäre, hätte er sich längst auf Seiten der Rotmützen geschlagen. Von den Mauslingen im Herzland bis zu den Holden in den fernen Mangroven am Waldmeer gab es kaum einen Kobold, der nicht von den Rotmützen wusste. Misht hatte sich einige der Schriften von Elija Glops vorlesen lassen. Und der Kerl hatte Recht! Er war kein Aufrührer, wie die Elfen behaupteten, Elija war ein Held!

Misht verlagerte sein Gewicht ein wenig in der Hoffnung, vielleicht doch noch eine bequeme Stellung zu finden, in der man auf diesem verfluchten Dach liegen konnte.

Der Lärm der Schmiedehämmer am Wehr war ohrenbetäubend. Dass die nicht einmal in der Nacht Ruhe gaben! Vermutlich würde man es nicht einmal hören, wenn sie einen Dachziegel lostraten und der unter ihnen auf dem Straßenpflaster zerschellte.

Mishts Blick wanderte über die umliegenden Dächer. Sämtliche Fensterläden waren verschlossen. Und das bei dieser Hitze. Soweit sie die Gassen von hier oben einsehen konnten, war alles wie ausgestorben. Der Geruch von glühendem Metall hing in der Luft. Er sah hinüber zu der Schmiede, die auf weiten, steinernen Brückenbögen stand. Vor ihr wurde das Wasser angestaut, damit die Schaufelräder unter den Brückenbögen auch im Sommer stets mit genug Wasser versorgt werden konnten. Leise quietschend drehten sie sich. In silberweißer Gischt spritzte das Flusswasser von den hölzernen Schaufeln. Die Kraft des Wassers bestimmte den Rhythmus der schweren Schmiedehämmer. Aus dem hohen Schornstein der Schmiede quoll dicker Rauch. Er wurde vom Feuer der Erzschmelze beleuchtet, sodass es schien, als glühe selbst der Rauch.

Irgendwo in der Dunkelheit grölten ein paar Betrunkene.

Misht klopfte gegen das hölzerne Bolzenmagazin, das auf seiner Armbrust steckte. Die fingerdicken Geschosse klapperten leise. Zuunterst hatte er einen Heuler liegen. Die Spitze dieses Bolzens war hohl, und es waren zwei kleine Löcher hineingeschnitten. Wenn das Geschoss flog, gab es einen schrillen, heulenden Laut von sich. In der Schlacht verwendete man solche Bolzen, um die Pferde der gegnerischen Reiterei zu erschrecken. Zwei oder drei von ihnen konnten mehr Schaden anrichten als eine ganze Salve scharfer Geschosse, wenn die Schlachtrösser scheuten und den ganzen Angriff durcheinander brachten. Heute Nacht hatte dieses Geschoss einen anderen Zweck zu erfüllen. Ganz gleich, wie geil sein Hauptmann war und wie sehr die Elfenschlampe unter ihm stöhnte, den Heuler würde Melvyn hören. Das schrille Pfeifen war unverwechselbar. Melvyn würde wissen, dass er in Gefahr war.

Die übrigen Bolzen im Magazin hatten ebenfalls keine scharfen Spitzen. Sie konnten die Gassen von Feylanviek schließlich nicht in ein Schlachtfeld verwandeln. Ein Polster aus geflochtenem Gras saß auf den Spitzen, überzogen mit einem Bezug aus Lumpen. Wer von einem solchen Bolzen am Kopf getroffen wurde, der ging zu Boden. Und wenn man ein Auge traf ... Lieber nicht daran denken.

Die Bolzen würden jedenfalls weniger Schaden anrichten als die schweren, vierkantigen Stahlspitzen, die üblicherweise auf ihnen steckten.

Eine Bewegung im Schlagschatten einer Gaube schreckte Misht aus seinen Gedanken. Tauben, die unruhig gurrten und mit den Flügeln schlugen. Was hatte sie aufgeschreckt? Schlich dort eine Katze übers Dach?

Nossew versetzte ihm einen Stoß mit dem Ellenbogen. Sein schweigsamer Gefährte nickte in Richtung des hohen Ziegelschornsteins bei der Schmiede. Ein Schatten glitt scheinbar schwerelos das Mauerwerk empor.

Die Tauben bei der Dachgaube flogen auf. An einem benachbarten Giebel glitten zwei weitere Schatten entlang.

»Spinnenmänner!« Misht spuckte das Wort aus wie einen Schleimklumpen.

Die Safranvorhänge teilten sich. Melvyn trat auf den Balkon. Er war angezogen. Einen beschisseneren Zeitpunkt hätte sich der Hauptmann nicht aussuchen können. Warum lag er nicht in den Armen seines Flittchens? Sonst war er mit den Weibern doch auch nicht so schnell fertig!

Der Kobold riss den Spannhebel seiner Repetierarmbrust zurück. Leise klackend wurde der Heuler auf die gefettete Führungsschiene gedrückt. Dann richtete er die Waffe zum Himmel und schoss. Heulend zog der Bolzen in die Finsternis davon.