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»Träumst du wieder?«, herrschte Mutter sie an. Und dann war da das verhasste Geräusch. Das satte Klatschen eines nassen Wäschestücks, das vor ihr auf den Waschstein fiel. Widerwillig tastete Halgard danach. Nach Größe und Gewicht musste es ein Hemd sein. Die Kälte biss ihr in die Hände. Sie mühte sich ab, den nassen Stoff, so gut es ging, auszuwringen, während Mutter schon das nächste Wäschestück in den Fjord tauchte und über den rauen Fels rieb.

Nach so einem Morgen wollten ihre Hände nicht einmal über einem Feuer wieder richtig warm werden. Halgard stöhnte. All ihre Wut ließ sie an der Wäsche aus. Sie drehte sie und spürte, wie das eisige Wasser ihre Finger entlangrann. Die Kälte fraß sich bis tief in ihre Knochen hinein. Am besten war es dann, weit weg zu reisen. In Gedanken in so weite Ferne zu gehen, dass man gar nichts mehr spürte.

Asla war nett. Manchmal steckte ihr die Frau des Jarls einen Honigkuchen zu, wenn Mutter die Wäsche hinaufbrachte. Das musste aber immer heimlich geschehen, denn Mutter nahm außer dem vereinbarten Lohn nichts an. Sie war so verdammt stur!

Wenn sie Mutter nicht helfen musste, dann spielte sie oft mit Ulric. Das war ein bisschen langweilig, weil er immer dasselbe spielen wollte. Sie war eine wunderschöne Prinzessin, die von einem Ungeheuer entführt worden war, das sie mit Käse und Brot zum Frühstück fressen wollte. Und er war der Held, der sie befreite und das Ungeheuer erschlug. Danach gingen sie oft zu Asla, und es gab wirklich etwas zu essen. Allein das war es wert, das blöde Spiel immer wieder mitzumachen.

Gestern hatte Ulric ihr erlaubt, seinen Zauberdolch zu berühren. Er hatte ihn von dem Elfenprinzen geschenkt bekommen. Es war wohl derselbe, der am Hartungskliff zu ihr gesprochen hatte, dachte Halgard. Seine Stimme war sehr seltsam gewesen. Halgard hatte die ganze Zeit über geglaubt, gleich wolle er singen. Sein Haar hatte sich wunderbar angefühlt. So weich wie Katzenhaar, nur dass es viel länger war. Er hatte auch gut gerochen. Gar nicht nach Schweiß oder Zwiebeln oder Met wie die anderen Männer, die sie manchmal auf den Arm nahmen. Das Mädchen schreckte aus ihren Gedanken. Etwas fehlte. Eine ganze Weile schon! Das Geräusch, wie Mutter die Wäsche über den Fels rieb.

»Mutter?«

»Still!«, zischte es neben ihr. Mutters Stimme war voller Angst. Halgard lauschte. Sie konnte viel besser hören als irgendwer sonst im Dorf. Sie hielt den Atem an. Da war das stete Flüstern der Wellen, die nach den Kieseln am Ufer tasteten und sich wieder zurückzogen. Das Geräusch des Windes, der über den Fjord heraneilte und durch die Äste der Bäume am Ufer strich. Sie hörte auch ihr Herz klopfen und das leise Rauschen ihres Blutes. Und ... Ja, da war noch etwas! Ein hölzernes Knarren, begleitet von einem regelmäßigen Platschen. Ein Boot war draußen auf dem Wasser. Aber es war noch ein ganzes Stück entfernt. Wenn es immer noch nebelig war, würde Mutter es kaum sehen können.

»Ist es das Boot?«, fragte sie leise.

»Nein, es ist ...« Mutters Kleider raschelten. »Steh auf! Lauf! Es hat uns gesehen! Es kommt!« Mutter packte sie und zerrte sie hoch. »Lauf!«

Stolpernd kam Halgard auf die Beine. Sie konnte nicht laufen! Mutter wusste das doch. Wenn sie lief, verlor sie die Orientierung. Und sie stolperte dauernd!

»Der Weg ist vor dir. Geradeaus!« Mutters Atem ging keuchend. »Am Ufer entlang. Wir müssen zum Priester! Nur er kann uns helfen. Schnell! Da ist nichts im Weg! Mach schon!«

Sie waren auf dem Lehmpfad. Wieder schmatzten die Schritte. Doch diesmal schien der Lehm sie festhalten zu wollen. Und er war so entsetzlich glitschig. Sie rutschte und konnte sich mit rudernden Armen gerade noch fangen. Hinter ihnen war kein Geräusch! Nichts konnte sich so lautlos bewegen! »Wovor laufen wir fort?«

»Das Tier! Mach schnell. Bitte, Halgard, bleib nicht stehen! Es ist aus dem Wasser gekommen. Seine Zähne ... Lauf! Bei allen Göttern, lauf!«

Halgard mühte sich ab, so gut sie konnte. Mutter beschrieb ihr den Weg. Sie blieb immer dicht hinter ihr, obwohl Mutter sie leicht hätte überholen können.

Halgard stieß gegen einen Stein. Diesmal konnte sie sich nicht mehr fangen. Der Länge nach stürzte sie auf den aufgeweichten Weg. Kalter Schlamm spritzte ihr ins Gesicht. Sie begann zu weinen. Sie konnte doch nicht laufen!

»Hoch! Hoch mit dir, mein kleines Täubchen.«

Halgard wurde emporgerissen. Dann spürte sie Mutters Atem auf dem Gesicht. »Du läufst jetzt zu Gundar und holst ihn. Ich halte das Tier auf. Es ist nicht mehr weit bis zur Hütte.«

»Was ist das?«, fragte sie schluchzend.

»Es ist groß wie ein Pferd. Aber es hat Zähne wie ein Wolf. Und es sieht aus wie Nebel. Jetzt geh! Schnell! Halt dich geradeaus, bis du die Schatten der Weiden spürst. Und dann nach links. Du kennst den Weg! Von den Weiden sind es nur noch zwanzig Schritt.«

»Warum höre ich es nicht?«

»Weil es wie Nebel ist!« Mutters Stimme klang nach mühsam zurückgehaltenen Tränen. »Frag nicht mehr. Lauf jetzt. Bitte! Gleich ist es hier.«

Halgard ging so schnell sie konnte. Der Wind vom Fjord schnitt durch ihre nassen Kleider. Sie zitterte am ganzen Leib. Ängstlich lauschte sie auf jedes Geräusch. Als sie die Weiden erreichte, hörte sie einen leisen Schrei. »Mutter?«

Halgard konnte die Bäume nicht sehen, aber sie spürte ihre Nähe. Es war, als seien jetzt noch dunklere Schatten in der Finsternis, die sie immer umgab. Und sie hörte, wie die dünnen Äste im Wind gegeneinander schlugen. Sie hielt sich links. Plötzlich war da kein Schlamm mehr. Sie hatte den Weg verloren. Hastig drehte sie sich und ging ein Stück zurück, doch sie fand nicht mehr zum Weg. Wenn wenigstens die Sonne da wäre! Das Licht auf ihrem Gesicht würde ihr helfen, sich zu orientieren.

Der Wind war eingeschlafen. Jetzt hörte sie nicht einmal die Äste der Weiden. Sie konnte nicht weit von Gundars Haus fort sein. Halgard rief seinen Namen. Hoffentlich war er schon wach! Sie wusste, dass der alte Mann gerne lange schlief.

Kurz überlegte sie, ob sie weitergehen sollte. Doch dann würde sie sich nur noch mehr verirren. Und wenn sie zu weit vom Haus des Priesters entfernt war, dann könnte er sie nicht mehr hören. Es war besser, einfach stehen zu bleiben und zu rufen!

Plötzlich wurde es kälter. Sie spürte keinen Wind auf dem Gesicht. Etwas stieß in ihre Brust. Ihre Rippen wurden wie Eis. So wie die Knochen in ihren Fingern, wenn sie zu lange das Wasser aus der Wäsche gewrungen hatte.

Ganz leise hörte Halgard das Knarren einer Tür.

Sie zitterte so sehr, dass sie nicht mehr zu stehen vermochte. Sie konnte auch nicht mehr rufen. Ihre Zähne klapperten so laut wie die Knochenrassel, die ihr Vater ihr einmal geschenkt hatte.

»Halgard, bist du das?«, erklang die warme Stimme des Priesters. Ja, sie war wie der Sommer, dachte das Mädchen. Wie der Sommer.

Da waren Schritte in nassem Gras.

»Halgard? Bei allen Göttern!«

Die Götterpeitsche

»Was kann das gewesen sein? Keine Kreatur aus meiner Welt tut Kindern so etwas an!« Asla flüsterte, aber das nahm ihren Worten nichts an Schärfe.

»Ich kenne auch in meiner Welt kein Wesen ...« Yilvinas Stimme brach. »Ich weiß nicht, was es war. Wirklich nicht.«