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Gundar atmete nur noch flach durch den Mund. Der Gestank war atemberaubend. Er musste wegsehen und hatte Mühe, seine Übelkeit zu unterdrücken.

Asla arbeitete hastig. Sie wusch die Wunden mit Branntwein aus. Ihr Onkel lag jetzt ganz still. Er war ohnmächtig geworden. Wie dürre Äste ragten zwei Knochen aus dem zerfetzten Fleisch. Die Haut der Oberschenkel war unnatürlich weiß. Deutlich hoben sich die Adern ab, entzündete rote Linien, die sich zu den Leisten hinaufzogen.

Asla wickelte frisches Leinen um die Beinstümpfe. Dunkle Flecken tränkten das Tuch.

Der Priester blickte der jungen Frau ins Gesicht. Er konzentrierte sich auf die feinen Fältchen, die ihre Augen rahmten. Sie war immer noch schön. Ihr goldenes Haar hing ihr in einem schweren Zopf über die Schulter. Gundar verstand, dass Kalf sie einfach nicht vergessen konnte.

Asla wechselte auch die Verbände an den Handstümpfen. Ihr Onkel lag noch immer in tiefer Bewusstlosigkeit. Was hatte er gemeint, als er von einer Götterpeitsche sprach?

Gundar hielt den Blick fest auf Aslas Gesicht gerichtet. Feine Schweißperlchen bildeten sich auf ihrer Stirn und benetzten ihre Augenbrauen. Endlich war sie fertig. Mit fahriger Geste wischte sie sich über die Stirn. Dann raffte sie die besudelten Verbände zusammen, warf sie in die Feuergrube und legte noch ein paar Tannenzweige darüber.

Gundar stand auf und schenkte sich noch einen Becher Branntwein ein. Seine Zunge fühlte sich pelzig an. Er hatte einen unangenehmen Geschmack im Mund, so als habe er von brackigem Wasser getrunken.

»Gibst du mir auch etwas?«, fragte Asla.

Sie stand über einen Eimer gebeugt und schrubbte sich mit einer Bürste. Als sie sich an den Tisch setzte, leuchteten ihre Hände feuerrot.

»Hat Kalf nicht eine von Oles Peitschen mitgebracht?« »Sogar zwei«, entgegnete Asla matt. »Sie lagen dort, wo er meinen Onkel gefunden hat.«

»Darf ich die einmal sehen?«

»Es sind nur seine Hundepeitschen. Diese grässlichen Dinger mit den Dornen drin. Du kennst sie doch.«

»Bitte.«

»Ich bin müde ...« Sie deutete auf eine eisenbeschlagene Kiste.

»Dort drinnen liegen sie. Was willst du damit?« Statt zu antworten, ging der Priester zu der Truhe. Yilvina folgte ihm mit neugierigen Blicken. Die beiden Peitschen lagen auf einem geflickten blauen Kinderkleid. Vorsichtig ließ der Priester eine der langen Lederschnüre durch die Finger gleiten. Erst vor kurzem waren mit hellen Lederriemen neue Metallstücke eingeflochten worden. Gundar prüfte eins nach dem anderen. Die Eisenteile, die von Anfang an zur Peitsche gehört hatten, waren nur mit dünnem Flugrost überzogen. Rieb man daran, glänzte das Metall sofort wieder silbrig. Die neuen Stücke sahen ganz anders aus. Hier hatte der Rost sich tief hineingefressen. Gundar betrachtete eine Messerspitze, von deren Schnittkante das Metall in Schichten abgeblättert war. Sie sah nun gestuft aus, als sei das Messer einmal aus vielen dünnen Eisenschichten zusammengefügt worden. Der Priester fand Ringe von Kettenhemden, Nägel, ein Stück von einem Pferdegeschirr. Überall war die Oberfläche körnig. Wind und Wetter hatten lange an diesen Metallstücken genagt. Er erinnerte sich an ein kurzes Gespräch, das er mit Ole geführt hatte. Der Hundezüchter hatte gemeint, er habe eine Pilgerreise gemacht und wolle nun mit Luths Hilfe seine Hunde das Gehorchen lehren. Gundar hatte das damals nicht ernst genommen ... Hastig stand der Priester auf und schob sich die Peitschen in den Gürtel.

»Und?«, fragte Asla.

»Er hat sich an den Göttern versündigt! Yilvina hat Recht. Die Bestie kommt nicht aus Albenmark oder dem Nichts. Ich hätte es wissen müssen! Die Leichen schreien es heraus, wer diese Strafe geschickt hat. Sie schreien es heraus!«

Verfolgt

Gundar hatte den Fjord schon ein gutes Stück hinter sich gelassen und stieg in die Berge hinauf. Es war derselbe Weg, den Mandred einst mit seinen Elfenfreunden gegangen war, als sie den Manneber verfolgt hatten. Der alte Priester hoffte, dass er nicht bis hinauf zur Höhle des Luth gehen musste. Ole war ein fauler Bursche! Er hatte sich sicher nicht die Mühe gemacht, für seinen Frevel bis zum Pass hinaufzusteigen.

Gundar blieb ruckartig stehen und sah sich um. Er hatte das Gefühl, dass ihm jemand folgte. Angestrengt blinzelte er in das Schneetreiben. »Dort draußen ist nichts«, sagte er halblaut. Es tat gut, in der Stille der Berge die eigene Stimme zu hören. »Es droht keine Gefahr! Ich bin ein heiliger Mann!«

Die letzten Worte hatte er etwas lauter gesprochen. Nicht um etwaige Verfolger zu beeindrucken. Nur um die eigene Stimme zu hören, log er sich vor und wusste es doch besser. Er war kein Mann für die Wildnis. Er fühlte sich dort wohl, wo stets ein regenfestes Dach in der Nähe war und eine Aussicht auf mindestens zwei warme Mahlzeiten am Tag bestand. Kalf hatte ihm angeboten, ihn zu begleiten, doch Gundar wollte allein sein. Er musste zu sich finden. Wie hatte er nur so lange brauchen können, um das eindeutige Zeichen zu erkennen! Alle Opfer außer Ole waren in unnatürlicher Geschwindigkeit gealtert. Der Priester dachte an Alfeid, die Wäscherin. Sie war eine junge Frau gewesen. Als man sie fand, war ihr Körper ausgezehrt wie der einer Greisin, die weit über ihre Zeit hinaus gelebt hatte. Und Halgard ... Gundar mochte gar nicht an das arme Mädchen denken. Es war keine Gnade, dass sie noch lebte. Ein Kind im Leib einer alten Frau. Wie konnte Luth nur so grausam sein! Der Schicksalsweber hatte einen geisterhaften Henker geschickt, der die Schicksalsfäden seiner Opfer aufwickelte, sodass ihr Leben binnen Augenblicken verstrich. Diese Todesfälle sollten ein Zeichen sein!

Gundar legte einen Schritt zu. Er hätte schneller begreifen müssen, was vor sich ging. Doch die Ereignisse der letzten Wochen hatten ihn blind gemacht. Zu viel war geschehen! Die Elfenkönigin, die Zuflucht suchte, Horsa, der König des Fjordlands, der gleich zweimal das Dorf besuchte. Der Zug durch das Elfentor. Das Heer.

Ole, dieser Narr, hatte die Eisenmänner bestohlen und damit den Zorn Luths auf Firnstayn herabgerufen. Gundar dachte an seinen Abschied. Er hatte die Leute im Dorf beschworen, ihre Häuser nicht zu verlassen, und auf alle Türschwellen Schutzzeichen mit Ruß und Kreide gemalt. Luth konnte sie doch nicht alle bestrafen, nur weil einer von ihnen gefehlt hatte! Keuchend mühte sich Gundar den Pfad hinauf. Der Schnee knirschte leise unter seinen Schritten. Es war ein freundliches, beruhigendes Geräusch. Wasser drang durch die Nähte. Er hätte seine Stiefel besser einfetten müssen. Seine Füße waren schon ganz nass. Nicht mehr lange, dann würde der Wehrberghof kommen. Dort konnte er über Nacht bleiben. Morgen sollte er sich mit mehr Sorgfalt um seine Stiefel kümmern!

Gundar blieb abrupt stehen. Hatte er da Schritte hinter sich gehört? Er drehte sich um. Das Schneetreiben war dichter geworden. Er sah nichts außer wirbelndem Weiß.

Der Sturm löschte vor der Zeit das Tageslicht. Gundar fluchte. Wenn er vom Weg abkam oder am Hof vorbeilief, dann war er in ernsten Schwierigkeiten. Seine Füße würden in den nassen Stiefeln erfrieren. Er hätte Kalfs Hilfe annehmen sollen!

Wieder blickte der Priester zurück. War da ein weißer Schemen? Gundar beschleunigte seine Schritte. Jemand starrte ihn an! Er spürte das ganz deutlich! Vorsichtig strich er mit der Hand über den Lederbeutel an seinem Gürtel. »Ich bringe dir zurück, was dir gehört, Luth«, flüsterte er. »Bitte gedulde dich noch einen Tag. Jeder im Dorf hat etwas Eisen gegeben, um dir zu opfern. Verzeih ihnen! Sie können nichts für Oles Taten.«

Gundar musste an Halgard denken. Die Erinnerung machte ihn zornig. Wie hatte Luth so etwas tun können? Was hatte das blinde Mädchen mit Ole zu schaffen? Fast vierzig Jahre war Gundar seinem Gott ein treuer Diener gewesen, aber in der letzten Nacht waren ihm zum ersten Mal Zweifel gekommen. Ein Gott, der einen so blindwütigen Rächer schickte, das war nicht der Luth, von dessen Weisheit er in all den Jahrzehnten gepredigt hatte! In diesen Taten konnte der Priester kein sinnfälliges Muster erkennen. Sie waren einfach nur grausam. Schritte! Jetzt hatte Gundar sie ganz deutlich gehört. Was erwartete er auch? Er verdammte Luth, wenn auch nur im Geiste. Dem Schicksalsweber würde das nicht verborgen bleiben. Der Priester drehte sich um. »Schick ihn schon, deinen Mörder!«, rief er ins Schneegestöber. Er stemmte die Hände in die Hüften.