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»Komm schon, bring es zu Ende! Ich stehe hier und warte!«

Was tat er da? War er denn wahnsinnig? »Lass mich das gestohlene Eisen zurückbringen«, sagte er in versöhnlicherem Ton. »Und dann nimm mich als Opfer. Ich bin es, der neben Ole Schuld auf sich geladen hat. Verschone mein Dorf.«

Nicht weit entfernt wieherte ein Pferd. Der Wehrberghof. War er schon so nahe? Gundar ging weiter. War das ein Zeichen Luths? Wollte der Gott ihm den Weg zum Hof weisen? Gundar hielt sich ein wenig mehr nach links und schritt mit neuer Zuversicht aus.

Schon nach einem kurzen Wegstück zeichnete sich der Schemen eines Hügels im Schneetreiben ab. Dem Priester war klar, dass er am Hügel vorbeigelaufen wäre, hätte er nicht die Richtung geändert, nachdem er das Wiehern gehört hatte. Der Wehrberg, auf dem Thorfinns Gehöft lag, war von drei Ringen aus halb verfallenen Erdwällen umgeben. Vor langer Zeit hatte es hier wohl einmal eine Siedlung gegeben. Jetzt kauerte dicht unter der Kuppe im Windschatten nur noch der große Wehrberghof.

Gundar folgte dem alten Weg, der zwischen den Erdwällen hinaufführte. Es roch nach Rauch. Der Gedanke an ein Feuer und eine Schüssel mit warmem Brei ließ das Herz des Priesters schneller schlagen.

Im Schneetreiben sah der Giebel des Langhauses rabenschwarz aus. Zwei Drachenköpfe mit weit aufgerissenen Kiefern schmückten ihn. Die Rückseite des Hauses war ein Stück in den Hügel hineingebaut. Stall und Stube waren unter einem einzigen langen Dach vereint, nur eine dünne Holzwand trennte beide. Die dicken Erdwände und die Wärme, die von der Feuergrube bis zum Stall abstrahlte, hielten den schlimmsten Frost von den Tieren fern.

Gundar klopfte an die schwere Holztür. Nichts rührte sich. Der Wind hatte aufgefrischt. Der Priester drückte die Tür auf. Seltsam, dass zum Abend kein Riegel vorgelegt war. Er trat in die winzige Stiefelkammer. Ein dicker Wollvorhang trennte sie vom Wohnhaus. Auf einem Schemel brannte eine Öllampe.

»Thorfinn? Audhild?« An die Namen der drei Kinder erinnerte er sich nicht mehr. Die Familie kam einfach zu selten ins Dorf hinab. Gundar war zuversichtlich, dass sie ihm wieder einfallen würden, wenn er die Kleinen erst einmal sah. Es kam keine Antwort. Vielleicht waren sie im Stall und hörten ihn nicht. Er schloss die Tür und kratzte mit dem Schabholz, das am Schemel lehnte, die verharschte Schneekruste von seinen Stiefeln. Dann klopfte er leise vor sich hin summend den Schnee von seinen Kleidern.

Endlich schob er den Vorhang zur Seite und trat in die Stube. Es war angenehm warm. Frische Binsen waren auf den Boden gestreut. Ein Feuer glomm in einer mit Steinen eingefassten Grube in der Mitte der Stube. Darüber hing ein schwerer Kupferkessel an einem Eisenhaken. Es roch angebrannt. Ein leise blubberndes Geräusch war zu hören. Auf dem Tisch standen fünf Holzschüsseln. Ein Tonbecher am Ende der Tafel war umgestürzt. Wie Blut schimmerte eine Weinlache auf dem Holz. Es zeigte sich keine Menschenseele.

»Thorfinn? Audhild?« Wieder gab es keine Antwort. Sie hätten ihn eigentlich im Stall hören müssen! Gundar trat zur Feuergrube, nahm einen alten Lappen und hob den Kessel zur Seite. Hirsebrei. Er rührte um. Schwarze Krusten stiegen in dem Brei nach oben. Was war hier los? War da ein Geräusch? Gundar blickte zur Decke. Schwere, schwarze Balken stützten das Dach. Flüchtig glaubte er etwas Weißes zu sehen. Doch im unsteten roten Licht der Feuergrube war es unmöglich zu sagen, ob da oben tatsächlich etwas war.

Gundar schüttelte den Kopf. Für all das würde es eine ganz einfache Erklärung geben! Und was sollte schon zwischen den Dachbalken sein!

»Thorfinn? Audhild?« Vielleicht waren die beiden mit den Kindern draußen. Einer verirrten Ziege nachjagen ... Der Priester blickte zu der Tür, die von der Stube zum Stall führte. Sie stand einen Spalt weit offen.

Gundar ging zurück zur Stiefelkammer und holte die Öllampe. Das Licht weit vorgestreckt, wagte er sich in den Stall. Hier war es stockfinster. Ein paar Federn lagen im Lichtkreis der Lampe. Schmutziges Stroh. Ein umgestürzter Eimer.

Der Priester wagte sich einen Schritt vor. Braune Äste? Er hob die Lampe höher. Der Kadaver eines Pferdes lag mitten im Stall. Seine Läufe waren nur noch Haut und Knochen. Jede Rippe konnte man am ausgezehrten Leib sehen. Gundar schluckte. Bitte nicht auch hier, Luth, dachte er verzweifelt. Bitte!

Hinter einer brusthohen Holzwand lugte ein Stiefel hervor. Mit klopfenden Herzen trat Gundar über das Pferd hinweg. Dort lag Thorfinn! Sein schmales Gesicht war in einer Maske des Grauens erstarrt. Direkt neben ihm lag Audhild, sein Weib. Die Röcke waren ihr hochgerutscht, als sie versucht hatte, vor etwas davonzukriechen. Ihre dürren Beine erinnerten an das bleiche Treibholz, das man am Ufer des Fjords fand.

Thorfinn hielt noch eine hölzerne Forke in der Hand, mit der er vergeblich versucht hatte, etwas zu vertreiben. »Bitte nicht auch die Kinder«, flüsterte Gundar und trat in den hinteren Teil des Stalls. Die Flamme der Öllampe flackerte. Der Priester fühlte einen leichten Luftzug auf dem Gesicht. Es war schneidend kalt. Gundar machte einen Bogen um totes Federvieh, das auf dem Boden lag. Er fand auch zwei Ziegen. Sie alle hatten sich in den hintersten Teil des Stalls gedrängt. Und dann entdeckte er Thorfinns ältesten Sohn. Der blonde Junge war zwölf Sommer alt gewesen. Jetzt fiel Gundar auch wieder sein Name ein: Finn. Er lehnte zusammengesunken an der Tür, die seitlich aus dem Stall führte. Seine Hände drückten noch immer gegen das graue Holz. Die Tür hatte sich nur einen schmalen Spalt breit geöffnet. Schnee wehte in den Stall.

Gundar kniete neben dem Jungen nieder. Probehalber drückte er gegen die Tür. Sie bewegte sich kaum einen Zoll. Der Priester hob die Lampe an und spähte durch den Spalt nach draußen. Eine Schneewehe hatte die Tür versperrt. Der Schnee lag hüfthoch. Selbst ein kräftiger Mann hätte diese Tür nicht öffnen können. Finns Augen starrten in die Dunkelheit. Gundar wollte ihm die Lider zudrücken, um dem Blick zu entgehen, doch die trockene Haut zerriss.

Wo waren die anderen? Aesa, so hieß die Tochter. Und Tofi, der Jüngste. Der tote Junge blickte zum Schlitten hinüber ... Gundar schluckte. Er hatte Angst vor dem, was er finden würde. Mit weichen Knien ging er hinüber. Eine bunte Pferdedecke lag über der Sitzbank. Darunter malten sich undeutliche Umrisse ab. Mit einem Ruck zog er die Decke zurück. Dort lag nur das Pferdegeschirr. Vielleicht waren die Kinder ja entkommen.

»Aesa! Tofi! Ich bin es, Gundar, der Priester aus Firnstayn. Ihr braucht euch nicht mehr zu fürchten.«

Gundar lauschte in die Dunkelheit. Der Sturmwind fmg sich heulend unter dem Dachgiebel. Holz klapperte. Der Priester fuhr erschrocken herum. Etwas war in der Scheune!

»Wer dort?«

Wieder fuhr eine Bö heulend unter den Giebel. Ganz leise war ein heiseres Geräusch zu hören. Ein Flüstern!

Gundar stand der Atem vor dem Mund, so kalt war es. Die Hand, mit der er die Öllampe hielt, zitterte. Schatten tanzten über die Wände des Stalls.

Der Priester begann leise zu beten. Schritt um Schritt ging er zurück. Die Forke! Sie war Thorfinns Händen entglitten. Jemand musste daran gestoßen sein.

»Im Namen des Schicksalswebers, komm heraus!« Da war wieder dieses Flüstern. Vor seinen Füßen! Thorfinns Mund zuckte. Die Lippen waren vertrocknet und so weit zurückgezogen, dass man die gelben Zähne des Bauern sehen konnte. Heisere Laute entrangen sich seiner Kehle. Thorfinns himmelblaue Augen waren auf Gundar gerichtet.

»Kin...«

Gundar beugte sich vor, um ihn besser verstehen zu können.

»Kinder ... das Licht... Ich sehe ...«

»Schone deine Kräfte, Thorfiinn. Ich bringe dich zum Feuer.« Der Priester versuchte, den Bauern auf die Arme zu nehmen.