Gundar nickte. »Ja, auch die Kinder.« Er schob die Schüssel von sich. Das wäre ihr Abendessen gewesen. Er konnte nicht mehr ...
»Wo sind sie?« Ulric rückte näher. Schließlich legte Gundar dem Jungen den Arm um die Schultern und zog ihn ganz zu sich heran. »Sie sind in der Scheune. Wir können sie jetzt nicht begraben. Ich werde sie holen lassen, wenn wir wieder im Dorf sind.«
»Sehen sie alle aus wie Alfeid?«
»Ja.«
»Es ist gut, dass Halgard ihre Mutter so nicht sehen konnte. Sie sah so ...« Ulric begann plötzlich zu schluchzen.
Gundar drückte den Jungen fest an sich. Auch er war den Tränen nahe.
Schließlich schoben sie den Tisch und die Sitzbank zur Seite. Auf dem binsenbedeckten Boden breiteten sie dicht bei der Feuerstelle ihre Mäntel aus. In den Betten der Toten konnten sie nicht schlafen. Es kam ihnen unrecht vor.
Schweigend lagen sie nebeneinander und lauschten dem Knistern des Feuers und dem Sturm.
»Siehst du es auch?«, flüsterte Ulric. »Dort oben, ganz in der Ecke. Es sitzt auf dem Dachbalken und beobachtet uns.« Seine Stimme zitterte. »Ist es das? Das Wolfspferd?«
Gundar blinzelte. Da war tatsächlich etwas Weißes. Ein Kopf? Die Worte Thorfinns kamen ihm wieder in den Sinn. Es geht hindurch ... Einfach hindurch ... Saß die Bestie auf dem Dach und hatte ihren Kopf durch die Schindeln hindurchgeschoben, um sie zu beobachten? Gundar blinzelte. Er konnte einfach nicht deutlich sehen. Er schlug den Mantel zurück, sprang auf und warf eine Hand voll Holzspäne in die Glut. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis helle Flammen emporschlugen.
Ulric hatte seinen Dolch gezogen, bereit, jeden Augenblick zuzustoßen. Der Junge schien keine Furcht zu kennen. Unvermittelt brach er in lautstarkes Gelächter aus. »Da sitzt ein Huhn!«
Gundar kniff die Augen zusammen. Tatsächlich! Dort lauerte kein Geist. Ein verschrecktes Huhn drückte sich ganz am Ende des Balkens gegen die Dachschräge. Es musste durch den offenen Türspalt aus dem Stall geflüchtet sein. Der Priester fiel in Ulrics Lachen ein. Es war befreiend. Vielleicht konnten sie ja wirklich siegen, und es wurde alles wieder gut, wenn sie den geschändeten Eisenmann fanden und für Oles Frevel um Vergebung baten.
Sie legten sich wieder hin. Bald war der Junge eingeschlafen. Gundar stützte sich auf den Ellenbogen auf und betrachtete Ulric. Der Kleine lächelte.
Der alte Priester streckte sich und rollte sich in seinen Mantel. Ob er wohl auch noch manchmal im Schlaf lächelte? Was für ein törichter Gedanke, dachte er müde. Und wer sollte ihm schon beim Schlafen zusehen? Vom Feuer war nur ein mattes Glühen geblieben. Im Dunkel hinter dem Tisch regte sich etwas. Eine Spinne mit einem Leib groß wie ein Schwein sah zu ihnen hinüber. Ihre Kiefer klickten leise. Nein, sie sprach: »Bei der Spinne unter dem Regenbogen liegt mein Geschenk für dich.«
Freundschaft und tote Fische
Ollowain hatte den großen See in der Mitte der Himmelshalle erreicht und blickte zur Mandan Falah hinauf. Wo war sie geblieben? Ganz gleich, wen er nach Lyndwyn fragte, man wich ihm aus oder antwortete mit einem Schulterzucken. Sie war nicht fern. Sie hatte Phylangan nicht verlassen. Er konnte spüren, dass sie in der Nähe war. Manchmal träumte er sogar von ihr.
Welch ein Unsinn! Er hatte keinerlei magische Begabung. Wie sollte er spüren, dass sie in der Nähe war? Wunschdenken! Er wollte einfach nicht wahrhaben, dass sie ihn betrogen hatte. Sie hatte den Albenstein gestohlen und sich davongemacht.
Ollowain ahnte, dass auch dies nicht stimmte. Wieder blickte er zur Brücke hinauf. Was würde er dafür geben, noch einmal mit ihr dort oben zu stehen. Ihr tief in die Augen zu sehen. Den sanften Druck ihrer Hände zu spüren. In seinem Herzen fühlte er, dass sie ihn nicht betrogen hatte. Landoran wusste, wo sie war. Sie hatte sich auf irgendeinen törichten Handel mit seinem Vater eingelassen, damit er ihr half, ihn zu verführen. Wäre sie doch nur zu ihm gekommen, ohne Lysilla vorzuschicken!
Ollowain strich über die schneeweißen Lotusblüten, die am Ufer wuchsen. Schwerer Blütenduft lag über dem Wasser. Es war drückend heiß. Lyndwyn hatte Recht gehabt.
Er hätte sie niemals zu sich gelassen. Sie hatte ihm die Augen verbinden müssen, damit er der Stimme seines Herzens folgen konnte. Was für ein Narr war er doch gewesen!
Hufschlag ließ Ollowain aufhorchen. Orimedes kam den Weg zum Ufer hinab. Er trug einen Weinschlauch über der Schulter und hielt zwei schwere, silberne Pokale in Händen. »Na, weißer Ritter, du bist nicht leicht zu finden. Hilfst du mir, einen Wein zu vernichten, der auf keinen Fall Kriegsbeute der Trolle werden sollte?«
»Du glaubst also auch, dass die Trolle siegen werden?«
Der Kentaur hob die Brauen. »Du etwa nicht? Die Frage ist doch nicht, ob die Trolle siegen werden. Das steht außer Zweifel. Fraglich ist allein, wie lange wir uns halten werden.« Er hob den Weinschlauch. »Deshalb sollten wir das hier vernichten.«
»Vielleicht solltest du mit deinen Männern gehen? Noch ist Zeit dazu. Welchen Sinn macht es, hier in einem aussichtslosen Kampf zu sterben?«
Orimedes öffnete den Weinschlauch und füllte die Silberpokale. »Du bleibst doch auch.«
»Es ist mein Volk. Ich habe keine Wahl und ...« Er dachte an Lyndwyn. Er würde sie nicht im Stich lassen. Der Albenstein durfte nicht in die Hände der Trolle fallen. Er musste in der Nähe der Magierin bleiben!
»Und?«, setzte Orimedes nach und reichte ihm einen der Weinpokale. »Ich hoffe, du erweist mir die Ehre, mit einem Barbaren wie mir anzustoßen.«
Ollowain nahm den Pokal. »Du bist kein ...«
Der Kentaur stieß klirrend mit ihm an. Wein spritzte auf, benetzte Ollowains Ärmel und tropfte vom Stoff ab, ohne auch nur die geringste Spur zu hinterlassen. »Erzähl mir nichts, Elf. Ich weiß genau, was du von mir und meinesgleichen hältst. Du kannst niemanden leiden, der deiner Königin schon mal in den Ballsaal geschissen hat.« Der Kentaur grinste breit. »Es tut mir ja auch Leid, aber manche Dinge sind einfach stärker als ich.« Plötzlich wurde er ernst. »Ich bin gekommen, um mich bei dir zu bedanken. Ohne dich wäre ich in Vahan Calyd gestorben.«
Der Schwertmeister winkte ab. »Wir beide haben nur der Königin gedient.«
»Red kein dummes Zeug. Du warst bereit, dein Leben zu opfern, als wir aus den Zisternen gekommen sind. Und du hast mir Emerelles Leben anvertraut, obwohl ich doch ein ungehobelter Barbar bin. Ich kenne genug Elfen, um zu wissen, dass die meisten sich anders entschieden hätten. Sie hätten mich und meine Männer gegen die Trolle geschickt, statt uns die Königin anzuvertrauen. Das war einer der stolzesten Augenblicke meines Lebens. Und darauf trinken wir jetzt!«
Orimedes hob den Pokal an seine Lippen, und Ollowain tat es ihm gleich. Der Wein schmeckte lieblich. Das Aroma der Trauben hatte sich gut gehalten und war durch Waldbeeren und einen Hauch von Honig verfeinert worden. »Es wäre wirklich eine Schande, wenn dieser Wein von Trollen gesoffen würde.«
Orimedes nickte zufrieden. »Sag ich doch. Was hältst du von den Menschen? Also, die Sache mit den Schiffen ist doch ziemlich verrückt. Ich weiß, dass du Alfadas großgezogen hast, aber sein Plan ... Auf so eine Idee käme ich nicht einmal, wenn ich stockbesoffen wäre.«
Ollowain dachte an den Streit, den es im Kriegsrat um die Eissegler gegeben hatte. Aber letzten Endes war es Alfadas gelungen, sich durchzusetzen. »Ich denke, das Gute an seinem Plan ist, dass er so verrückt ist, dass die Trolle niemals damit rechnen werden, was auf sie zukommt.«
Orimedes lachte, und ein Schauer feiner Weinspritzer schlug dem Elfen ins Gesicht. »Ein Hund käme auch niemals auf die Idee, dass einer der Flöhe in seinem Pelz beschlossen haben könnte, ihn umzubringen. Und wenn er es wüsste, wäre er vermutlich nicht sonderlich beunruhigt.«
Ollowain nahm einen tiefen Schluck vom Wein und behielt ihn im Mund, um das Aroma voll auszukosten. Orimedes hatte schon Recht mit seinen Einwänden. Aber wenn Alfadas‘ Plan glückte, dann würde Phylangan erst gar nicht belagert. Das war das Wagnis wert.