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Gundar schluckte. »Ja«, sagte er leise. Er dachte daran, wie oft er selbst im Zweifel war. Das Vertrauen des Kindes tröstete ihn. Und zugleich war es ihm eine Bürde. Er durfte Ulric nicht enttäuschen! Hoffentlich würde dieses Wolfspferd verschwinden.

Der Priester starrte in die großen Augen der Statue. Gelassen erwiderte der Gott seinen Blick. Luth hatte ihm den Traum in der letzten Nacht geschickt. Spinnen wachten über den goldenen Palast des Gottes. Und manchmal halfen sie ihm auch beim Weben der Schicksalsfäden.

»Ich habe dir doch von meinem Traum erzählt, Ulric. Suche für mich nach einem Regenbogen. Luth wird ihn uns als ein Zeichen schicken, wenn er mit uns versöhnt ist.«

Der Junge blickte zweifelnd in den strahlend blauen Winterhimmel. Keine Wolke zeigte sich. Es war viel zu kalt, um mit Regen rechnen zu können. Woher sollte da ein Regenbogen kommen? Gundar war sich bewusst, dass sie auf ein Wunder warteten.

Der Priester nahm seine Arbeit wieder auf und versuchte, die gestohlenen Eisenstücke ins Holz zu bringen, ohne dass sie zerbrachen. Er hatte auch einen kleinen Tiegel mit klebrigem Fichtenharz mitgebracht. Ihn benutzte er, wenn ihm etwas zu zerbrechlich erschien, um es Hammerschlägen auszusetzen.

Die Arbeit ging nur schleppend voran. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Ulric den Engpass des Bergweges untersuchte. Er sah sich die kahlen Büsche an und suchte nach Spuren im Schnee oder auf den Felsen. Nachdem Gundar mit dem gestohlenen Eisen fertig war, öffnete er einen zweiten Beutel. Jeder Bewohner Firnstayns hatte ihm ein kleines Geschenk für Luth mitgegeben. Unermüdlich hämmerte er und blickte sich kaum noch nach dem Jungen um.

Plötzlich ließ ein schriller Ruf ihn aufschrecken. »Da ist sie!« Ulric hüpfte wie eine junge Ziege, die nach einem langen Winter zum ersten Mal wieder aus dem Stall kommt. »Der Schicksalsweber hat uns sein Zeichen geschickt! Komm, Gundar. Komm schnell! Hier ist der Regenbogen. Und ich sehe auch die Spinne!«

Gundar sah einen bunten Lichtfleck auf der grauen Felswand gegenüber dem Eisenmann tanzen. Ungläubig staunend stand er auf. Seine alten Knochen knirschten, und die Knie taten ihm weh. Hinkend ging er zu dem Jungen hinüber.

»Sieh nur, Gundar! Dort auf dem Felsen. Man muss sehr genau hinsehen. Direkt unter dem Regenbogen!« Der Priester blinzelte und rieb sich die Augen. Dann trat er noch näher an die schroffe Felswand. Seine Finger tasteten über die schwachen Linien, als forderten sie einen Beweis für das undeutliche Bild, das sich seinen Augen bot. Fast verwittert war dort eine Spinne in den Fels geritzt, nicht größer als sein Handteller. Und über der Spinne stand ein gekrümmter Lichtfleck, der in allen Regenbogenfarben schimmerte. »Die Spinne unter dem Regenbogen«, flüsterte Gundar. Sein Herz machte einen Satz. Das war ein Zeichen seines Gottes! Wie hatte er nur jemals an Luth zweifeln können! Ihr Opfer war angenommen.

Der Priester blickte den Pass hinauf. Die Sonne stand schon tief zwischen den Bergen. Ein funkelnder Eiszapfen, der von einem Fichtenzweig hing, erregte Gundars Aufmerksamkeit. Lag dort der Ursprung des Regenbogens? Doch was scherte ihn das! Luth hatte ihm ein Zeichen gegeben. Das war alles, was zählte.

»Lass mich den Schnee zur Seite räumen«, bat Ulric aufgeregt.

»Was für ein Geschenk mag sich dort verbergen?«

Gundar breitete lächelnd die Arme aus. »Woher soll ich das wissen?« Selig blickte er zum Himmel. Ein Geschenk Luths! Der Schicksalsweber ehrte ihn über alle Maßen.

»Ich komme hier nicht mehr weiter.« Ulric hatte den Schnee mit bloßen Händen zur Seite geschaufelt. Doch nun war er auf eine Schicht aus mit Eis verklebten welken Blättern gestoßen.

»Vielleicht liegt das Geschenk an uns ja schon sehr lange hier. Dann ist es mit dem Laub der verstreichenden Jahre bedeckt. Vielleicht ist es sogar eingegraben? Glaubst du, du kannst hier ein Feuer machen, damit der Boden auftaut?«

»Ich habe keinen Feuerstein und auch keinen Zunder«, sagte der Junge traurig.

»Aber ich. Such einfach ein wenig welkes Gras und trockene Ästchen. Vielleicht auch einen dicken Ast, den wir als Grabstock nehmen können.« Gundar blickte wieder zum Himmel. Die Sonne stand schon sehr tief. Sie würden es nicht vor Einbruch der Dämmerung zurück zum Wehrberghof schaffen. Wenn sie ihren Schatz heute noch heben wollten, dann müssten sie hier oben übernachten. Bei so klarem Himmel würde es sehr kalt werden. Der Priester deutete auf eine Gruppe Fichten, die von Dickicht umgeben waren. »Lass uns dort drüben ein Nachtlager vorbereiten. Dort sind wir vor dem Wind geschützt, und es gibt einen großen Felsen, der die Wärme des Feuers zurückstrahlt. Zuallererst müssen wir dort einen Holzvorrat anlegen, der uns über die Nacht bringt. Dann können wir hier weitermachen. Kannst du uns Holz suchen, Ulric? Ich muss noch einige der Opfergaben in den Eisenmann schlagen.«

Ulric nickte begeistert und lief los.

Zwei Stunden später schoben sie mit Stöcken die Glut an der Felswand zur Seite. Ulric hatte ein wenig übertrieben und ein Feuer entfacht, auf dem man einen Ochsen hätte braten können. Das welke Laub war zu Asche geworden. Gundar war unruhig. Zu spät erst war ihm aufgegangen, dass Luths Geschenk rettungslos verloren war, sollte es brennbar gewesen sein.

Ulric stieß seinen Grabstock mit aller Kraft in den Boden. Es bereitete einige Mühe, das mit Humus durchsetzte Geröll zu bewegen. Der Priester hielt eine Fackel, um dem Jungen zu leuchten. Ohne sich zu schonen, arbeitete Ulric und kniete bald in einer flachen Grube. Manchmal half Gundar ihm, wenn es galt, einen größeren Stein freizuhebeln.

»Hier ist ein Spalt!«

»Darf ich sehen?« Der Priester beugte sich weit vor. Alfadas‘ Sohn hatte einen fingerbreiten Riss am Fuß der Felswand freigelegt. Davor lag eine Gruppe faustgroßer Steine. »Die Steine dort sehen seltsam aus. Als hätte man sie aufgeschichtet.«

Ulric nahm sich einen dünnen Ast aus den Resten des verloschenen Feuers und schob ihn in den Felsspalt. »Da geht es tief runter! Vielleicht finden wir eine Schatzhöhle?«

Gundar musste lächeln. Er hatte keine rechte Vorstellung von dem Geschenk, das der Gott ihnen gemacht haben mochte, aber an eine Schatzhöhle glaubte er keinesfalls. Er zwängte seinen Grabstock in den Spalt. Mit einem Ruck hebelte er die Steine zur Seite.

Ulric war eifrig dabei, die Felsbrocken aus der flachen Mulde zu werfen. Je tiefer sie gruben, desto breiter wurde der Spalt. Schließlich konnte Ulric einen Arm hineinstecken. Er legte sich flach auf den Bauch und angelte mit seinen Fingern in dem Versteck. »Da unten ist etwas Glitschiges.«

»Kannst du es hochziehen?«

»Es ist schwer. Ich kann es nicht richtig greifen. Es rutscht mir immer wieder zwischen den Fingern hindurch.« Ulric richtete sich wieder auf. Sein weißer Mantel war ganz mit Schmutz bedeckt.

Schweigend gruben sie tiefer, bis die Öffnung weit genug wurde, dass Gundar seinen Arm hineinstecken konnte. Seine Finger ertasteten etwas Kaltes, Rutschiges. Modergeruch stieg aus dem Versteck. Als der Priester den geheimnisvollen Schatz endlich fest zu packen bekam, musste er all seine Kraft aufbieten, um ihn emporzuziehen.

Luths Geschenk war in schimmeliges Leder gehüllt. Etwas darin klirrte leise, als Gundar seinen Fund auf den Boden legte. Offenbar war das Leder einmal sehr sorgfältig eingeölt worden. Dort, wo keine Schimmelflecken waren, schimmerte es noch immer feucht.

»Willst du es nicht aufmachen?«, fragte Ulric ungeduldig.

Gundar schüttelte bedächtig den Kopf. Er hatte eine Ahnung, was er im Leder eingeschlagen finden würde, doch konnte er sich nicht vorstellen, was er als Priester damit anfangen sollte.

Wie es schien, schickte Luth ihn in den Krieg. Aber gegen wen? Mochte es sein, dass das Wolfspferd gar nicht vom Schicksalsweber gesandt worden war?

»Gehen wir hinüber zu unserem Nachtlager und legen dort neues Holz ins Feuer. Wir wollen unseren Schatz doch bei Licht betrachten.«

Das Logbuch des Eisseglers Rosenzorn